Als sie am 10. November 1989 in Berlin-Schönefeld landete, hatte sie bis dato nichts vom Mauerfall mitbekommen, spürte nur die Aufregung der Menschen: „Ich dachte, der Krieg wäre ausgebrochen.“
Von den Kiebitzbergen bis Moskau – Erika Schmidt läuft am Sonntag beim 6. Teltowkanal-Halbmarathon auf der ehemaligen Grenze – Peter Stein in der Märkischen Allgemeinen
Da, wo einst die Mauer stand, höchstens die Stiefel der Grenzsoldaten trampelten, wird sich am Sonntag der Tausendfüßler einer Läuferkarawane entlang des früheren Grenzstreifens schlängeln. Der 6. Teltowkanal-Halbmarathon bildet diesmal den großen Rahmen für das Finale im Brandenburg-Cup.
An der Knesebeckbrücke, die den Berliner Stadtteil Zehlendorf mit Teltow verbindet, befinden sich Start und Ziel. Beim „Fest ohne Grenzen“ wird den ganzen Tag über in Teltow gefeiert. Bevor die Rockgruppe Karat ihren Hit „Über sieben Brücken …“ spielt, werden die Läufer ein paar Mal zwischen dies- und jenseits des Kanals wechseln. Angeboten werden ab 10.30 Uhr Strecken zwischen 3,6, 7,4, 13,6 und 21,1 Kilometern. Erika Schmidt wird bei diesem besonderen Brückenschlag zum 20. Jahrestag des Mauerfalls als Läuferin über 7,4 Kilometer dabei sein.
Die 66-Jährige vom Kleinmachnower Laufclub lebte jahrzehntelang mit und an der Mauer, die nur zwei Häuser weiter stand. Die gebürtige Thüringerin kam durch das Studium ins Brandenburgische. Im Halbleiterwerk für Mirkoelektronik war die Mutter von drei Kindern – die mittlerweile 47,45 und 39 Jahre alt sind – als Abteilungsleiterin tätig. Nebenbei suchte sie nach einem sportlichen Ausgleich und fand diesen in der DDR-Meilenbewegung. Ihre zwei Kilometer lange Laufrunde führte durch die Kleinmachnower Kiebitzberge. Nach und nach wagte sie sich auch an längere Distanzen und nahm an Volksläufen wie dem Burgenlauf in Belzig teil.
1980 wurde sie schließlich zur „Meilen-Königin“ im damaligen Bezirk Potsdam gekürt und erhielt als Auszeichnung eine Reise zu den Olympischen Spielen nach Moskau. „Das war ein einmaliges Erlebnis“, erzählt die Sportsfrau. Damals konnte sie im Olympiastadion zum Beispiel dem Hochspringer Gerd Wesssig oder dem Marathonläufer Waldemar Cierpinski beim Goldgewinn zujubeln. Auch am stimmungsvollen Leipziger Turnfest nahm sie teil.
Die Hobby-Läuferin stellte jedoch klar: „Wenngleich die Grenze in unmittelbarer Nachbarschaft verlief, fühlte ich mich keineswegs eingesperrt.“ Umso unverständlicher indes empfindet sie es, wenn nun wieder neue Zäune oder gar Mauern wie am Ufer des Griebnitzsees errichtet werden. Denn die Läufer entdeckten den ehemaligen Grenzstreifen schnell als ideales Terrain. Erika Schmidt genießt die Natur im ehemaligen Grenzgebiet. Am liebsten schnürt sie ihre Schuhe für die Strecke in Richtung Europarc Dreilinden bis in die Parforceheide.
Dreimal in der Woche nimmt sie sich die Zeit, ihr Mann Heinz begleitet sie oft. Sonntags trifft sie sich mit der Laufgruppe ihres Vereins, die übrigens fifty-fifty aus ehemaligen „Ossis“ und „Wessis“ besteht, „die sich bestens verstehen“. Am 8. November werden sie zahlreich auf dem Heimatkurs entlang des Teltowkanals vertreten sein.
Natürlich denkt auch Erika Schmidt in diesen Tagen an die Geschehnisse vor 20 Jahren zurück. Acht Wochen vor dem Mauerfall war ihre Tochter Elke – damals 19 – noch durch die Oder geschwommen und wie so viele DDR-Bürger in die Bundesrepublik geflüchtet. Damals dachte sie nur: „Ich sehe mein Kind nie wieder.“ Erika Schmidt selbst weilte dienstlich in der Sowjetunion.
Als sie am 10. November 1989 in Berlin-Schönefeld landete, hatte sie bis dato nichts vom Mauerfall mitbekommen, spürte nur die Aufregung der Menschen:
„Ich dachte, der Krieg wäre ausgebrochen.“
Peter Stein in der Märkischen Allgemeinen, Mittwoch, dem 4. November 2009
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