Und da gibt es schließlich die beiden Ärzte Dr. med. Rainer Hartwich und Prof. Dr. Michael Oettel, die beruflich weit verstrickt sind in die illegalen Menschenversuche mit nicht ausreichend erforschten Hormonpräparaten im DDR-Volkseigenen Betrieb (VEB) Jenapharm
Erzähltes Leben aus der „Black Box DDR“ … auf den Spuren zum Sport – Dr. Detlef Kuhlmann stellt vor
In diesen Tagen und Wochen erinnern wir uns „hüben wie drüben“ an den Fall der Mauer in Berlin am 9. November 1989 und an das Zusammenwachsen der Menschen, die zusammen gehören.
Unter dem geheimnisvoll dunkel klingenden Titel „Black Box DDR“ versammelt jetzt ein Band insgesamt 33 Porträts von Menschen aus dem untergegangenen Land, verteilt auf die vier Jahrzehntes seines Bestehens und ebenso verteilt auf ganz unterschiedliche Lebens- und Wirkungsbereiche dieses im Umschlagtext sog. „Kollektivs Ost“.
Wer das Buch in die Hand nimmt und auf Spuren zum Sport als dort praktizierte „Körperkultur“ absucht, der muss zwar schon ein Weilchen blättern und genau lesen, wird aber keineswegs enttäuscht durch die Funde und Be-funde, die hier aus den Biografien von Menschen teilweise rührend und teilweise beängstigend in unterschiedlichsten Facetten (nach)erzählt werden.
Da gibt es einen gewissen Dr. Alfred Pöge aus Leipzig, durchaus eine Fußballgröße mit lokaler Popularität. Er avanciert zum „Spielball“ des politischen Regimes. Pöge gründet nämlich im März 1984 in seiner Wohnung im Stadtteil Marienbrunn die „Internationale Föderation für Fußball-Geschichte und Statistik“ (kurz die: IFFHS, „International Federation of Football History & Statistics“). Die FIFA findet das ganz toll und gibt ihren Segen dazu … nur für die DDR-Staatsführung ist das illegal, sie verlangt die sofortige Auflösung und eröffnet sogar ein Gerichtsverfahren gegen den auch als Arzt angesehenen Dr. Pöge.
Herbert Fischer-Solms, Sport-Redakteur beim Deutschland-unk in Köln erzählt diese dramatische Geschichte, die ihren Ausgang schließlich darin findet, dass Dr. Pöge sich mit 14 schweren Koffern, zehn davon voll gestopft mit Fußball-Literatur, Kopien, Notizen, Statistiken etc. im Hauptbahnhof von Leipzig wieder findet, wo an einem schönen Sommerabend sein Abschied mit der Ausreise aus der DDR bevor steht.
Da gibt es aber auch die tragische Geschichte von Mario Oehme mit dem Titel „Für sich haben die einen Strich unter die Sache gemacht“. Oehme (geboren 1964 in Weimar) treibt gern und viel in seiner freien Zeit Sport, lässt sich zum Rettungsschwimmer ausbilden und lernt das Schießen in der Gesellschaft für Sport und Technik (GST) der DDR. Ein Berufsunfall sollte sein Leben jedoch alsbald radikal verändern. An den Unfall selbst als Brigadier in Block 418 im Schachtbereich Beerwalde kann er sich nicht mehr erinnern. Dafür umso mehr und angenehmer an seine zahlreichen vorderen Plätze bei Deutschen und bei Europameisterschaften und an die Paralympics 1996 in Atlanta und 2004 in Athen, wo er in seinem neuen Leben zwei Goldemaillen im Bogenschießen holte.
Und da gibt es schließlich die beiden Ärzte Dr. med. Rainer Hartwich und Prof. Dr. Michael Oettel, die beruflich weit verstrickt sind in die illegalen Menschenversuche mit nicht ausreichend erforschten Hormonpräparaten im DDR-Volkseigenen Betrieb (VEB) Jenapharm in der thüringischen Saalestadt Jena … alles nur zum Wohle und Werden des DDR-Sports, dessen Bilanz mit 203 Goldmedaillen, 768 Welt- und 747 Europameistertiteln sich weltweit sehen lassen konnte. Aber um welchen menschlichen Preis?
Nach dem Ende der DDR gehörte Hartwich zu den wenigen Tätern, die wenigstens eine pau-schale Mitverantwortung einräumten; heute arbeitet er als Chefarzt der On-kologie in Bad Liebenstein. Der Veterinärmediziner Oettel betätigte sich zu-dem als fleißiger Spitzel für die Stasi und blieb bis zu seiner Pensionierung Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung bei der Jenapharm GmbH.
Ines Geipel/Andreas Petersen: Black Box DDR. Unerzählte Leben unterm SED-Regime. (marix-Verlag: Wiesbaden 2009; 320 S.)
Dr. Detlef Kuhlmann