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25
11
2009

Natürlich wird der größte Teil nicht Weltmeister, aber wahr ist auch: Für alle hat sich die Ausbildung gelohnt.«

»Immer dieselbe Denke« – Der Mathematiker gegen den Soziologen: Jochen Zinner bricht eine Lanze für Sporteliteschulen – Klaus Weise in „Die Tageszeitung – Junge Welt“

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Seit dem Frühjahr ist der 66jährige Jochen Zinner im Berliner Landessportbund für den Leistungssport zuständig. Bis dahin leitete der ausgebildete Mathematiker und einstige DDR-Wasserball-Nationalspieler 14 Jahre lang den Berliner Olympiastützpunkt, der als Kronjuwel des deutschen Sports gilt.

Zinner ist »Workaholic« und Dauerbrenner auf allen sportlichen Bühnen der Republik. Sein Wort hat Gewicht. Was man auch von seiner aktuellen Wortmeldung in Sachen Eliteschulen hoffen darf. Zu der hat sich der Vogtländer genötigt gefühlt, nachdem er vor einigen Wochen in der FAZ einen Bericht über den Sportwissenschaftlichen Hochschultag in Münster las, Überschrift: »Schlechtes Zeugnis für die Eliteschulen des Sports – Kein Erfolgsmodell: Weder sportlicher Ertrag noch schulische Ausbildung rechtfertigen die hohen Kosten«.

Eigentlich wähnte man dieses Thema erledigt. Nach dem Mauerfall befreite man die »ideologisch überfrachteten« Kinder- und Jugendsportschulen von der Leistungsorientierung. Diese ideologisch bestimmte Flurbereinigung zeitigte die bekannten Wirkungen – der deutsche Sport begab sich vor allem in den Sommerdisziplinen auf den Sinkflug. Damit waren die Ideologen eines Besseren belehrt. Allmählich erholt sich der Sport von diesem Nachwende-Kahlschlag.

 Erstaunlich bei der nun aufpolierten Kritik an den Eliteschulen ist, daß mit Eike Emrich der für Leistungssport verantwortliche Vizepräsident des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV) der Hauptstichwortgeber ist. Der promovierte Soziologe und Volkswirtschaftler, der sich noch im November aus dem DLV-Präsidium verabschieden wird, hat die Eliteschulen für »nicht effizient« befunden.

Dabei hatten gerade Absolventen dieser Einrichtungen den Verband bei der WM in Berlin aus dem chronischen Tief geführt. Diskus-Weltmeister Robert Harting – Eliteschüler, Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius – schon ab 1986 KJS-Schülerin in Rostock. Nur die zwei leuchtendsten Beispiele aus einer Reihe, die sich leicht verlängern ließe.

Zinners Replik auf den FAZ-Artikel: »Aus dieser Richtung kommt immer dieselbe Denke: Erfolg wird gerade dadurch möglich, daß man ihn nicht ansteuert; die Grundlage für den Erfolg ist nicht das Training, sondern die pure Lust am Wettkampf; Eliteschulen sind gut für die Betreiber, weniger für ihre Absolventen.« Aus Zinners Sicht ist das Unsinn, mit Fakten widerlegbar. »Eliteschulen sind der Hauptweg zum sportlichen Erfolg, nicht der Königsweg, das Wort würde ich nicht verwenden, denn es suggeriert einen Automatismus, den es so nicht gibt. Man wird nicht bequem in der Sänfte zum Ziel getragen. Geh’ zur Eliteschule und du wirst Weltmeister – das funktioniert nicht. Damit die Schulen halten können, was sie versprechen, bedarf es der dauerhaften Anstrengung aller.«

Berlin, sagt Zinner, hat 913 Schulen, vier davon für die Sport-Elite. Von dort kommen »55 Prozent aller Berliner Kaderathleten und 72 Prozent der Berliner, die bei Deutschen Meisterschaften 2008 Medaillen gewannen – das kann sich doch sehen lassen! Bei den zehn Olympischen Spielen seit 1992 waren 68 Prozent der Berliner Teilnehmer Eliteschüler, nämlich 252 von 373. Sie haben 75 der 110 Medaillen gewonnen. Ist das ineffizient?« Wohl kaum.

Auch das Argument, die Eliteschulen präferierten den Sport auf Kosten der Bildung, ist aus Zinners Sicht unhaltbar: »Eliteschüler sind in der Mehrheit zielstrebig, fleißig, konzentriert, weltgewandt, können mit Niederlagen umgehen.

Natürlich wird der größte Teil nicht Weltmeister, aber wahr ist auch: Für alle hat sich die Ausbildung gelohnt.«

Klaus Weise in "Die Tageszeitung – Junge Welt". Dienstag, dem 24. November 2009

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