Blog
31
12
2009

1949 gab es die letzte Auflage der 25 km von „Quer durch Berlin“, die durch beide Teile Berlins führte.

„20 JAHRE MAUERFALL“ – Der Gesamt-Berliner NEUJAHRSLAUF am 1. Januar 1990 – Horst Milde berichtet.

By GRR 0

 Schon erwähnt hatte ich im Beitrag vom 12. November 2009 auf GRR, das Michael Coleman von der Londoner TIMES mich am 10. November 1989 vormittags anrief – einen Tag nach dem Mauerfall in Berlin – und mir vorschlug einen Neujahrslauf am 1. Januar 1990 vom Olympiastadion zum Alexanderplatz zu machen, d.h. von West-Berlin nach Ost-Berlin, das „würde einen Weltsensation werden“!

Der „Neujahrslauf“ und der „Berlin-Marathon durch beide Teile der Stadt“ das waren die Themen  des Treffens bei mir zu Hause am Nachmittag des 26. Berliner Cross-Country-Laufes  am Teufelsberg“  am 12. November mit der „Initiativgruppe“ mit Roland Winkler, Dr. Detlef Dalk und Gerd Engel. Die „Initiativgruppe“ schrieb an den Oberbürgermeister von Ost-Berlin Erhard Krack, ich an den Regierenden Bürgermeister von West-Berlin Walter Momper.  

Zunächst sollte es „als Aufgalopp“  einen BERLINER NEUJAHRSLAUF am 1. Januar 1990 durch beide Teile der Stadt geben – mit dem Durchlauf des Brandenburger Tors – und  am 30. September 1990 den 17. BERLIN-MARATHON  „unter Einbeziehung eines Streckenteils durch Berlin (Ost)“ – keine weitere Streckenfestlegungen  wurden getroffen, „nur durch das BRANDENBURGER  TOR  muss es gehen, als Voraussetzung“! So wurde es schon in einer meiner Pressemitteilung vom 15. November formuliert.

Während diese Nachricht in den Westmedien ein wichtiges Thema war, wurde die Ankündigung in den DDR-Medien ignoriert.  Die „DDR Initiativgruppe BERLIN-MARATHON“ formulierte eine „Absichtserklärung“ mit Forderungen den DTSB (Deutscher Turn- Sportbund der DDR) „basisdemokratisch zu strukturieren und die Sportpolitik transparenter zu machen“ , stellte die Forderung auf, einen „Läuferverband der DDR im DTSB“ zu gründen, die Funktionäre des DTSB sollten  ihre Posten räumen und der BERLIN-MARATHON  sollte als „Friedens- und Freundschaftslauf“ durch beide Teile der Stadt führen.

Gleichzeitig traf ich mich mit Mitarbeitern des  östlichen „Fachausschusses Leichtathletik Berlin – Laufkommission“   (Spitze  Stefan Senkel ), um die Möglichkeit der Organisation eines gemeinsamen  Neujahrslaufes zu diskutieren. Am 14. Dezember 1989 war die Überschrift der Pressemitteilung:

„Der KNALLER zum Jahresbeginn: Gesamt-Berliner NEUJAHRSLAUF perfekt!“

Mit einem Paukenschlag beginnen die Leichtathleten aus beiden Teilen Berlins das Neue Jahr 1990. Mit dem „ 1. Gesamt-Berliner NEUJAHRSLAUF am 1. Januar 1990 um 14.00 Uhr“ – mit Start und Ziel auf der Straße des 17. Juni, nahe der Entlastungsstraße, wird es  nach über 40 Jahren der Trennung zum ersten Mal einen grenzüberschreitenden Lauf geben. 1949 gab es die letzte Auflage der 25 km von „Quer durch Berlin“,  die durch beide Teile Berlins führte.

Am 14. Dezember 1989 war noch nicht klar, ob das Brandenburger Tor geöffnet sein würde, deswegen war   den Behörden vorgeschlagen worden: Entlastungsstraße, Bellevuestraße, über den „Übergang“ Potsdamer Platz, Grotewohlstraße (gibt es heute nicht mehr!), Unter den Linden, Karl-Liebknecht-Straße bis zur Wende zum Roten Rathaus und die gleiche Strecke zurück bis zur Straße des 17. Juni, Streckenlänge etwa 6,5 km;  ohne Wettkampfcharakter,  kein Startgeld, aber Spenden für UNICEF und die beiden Bürgermeister sollten gemeinsam den Startschuss abgeben.

Voran gegangen waren zu dieser Erfolgsmeldung zahlreiche Treffen mit Behörden in Ost und West. Schwer in Erinnerung geblieben ist mir ein Treffen im Volkspolizeipräsidium (Grenztruppen) am Alexanderplatz. Das Gebäude zu betreten war schon beängstigend mit seinen vielen Kameras und Bewachern. Am Verhandlungstisch saßen, neben Stefan Senkel (von ihm kam ich einen Passierschein für die Grenze) und meinem Sohn Karsten  10 – 12 Offiziere/Generäle, für die meine Vorstellungen einen Lauf in West-und Ost-Berlin zu organisieren, wohl ein Stück aus dem Tollhaus waren.

Mit einem Fahrzeug und einem Funkgerät vorneweg zu fahren sei ein „Ding der Unmöglichkeit“ in Ost-Berlin. Alle Ausländer, die am Lauf teilnehmen wollen, müssten über den  „Checkpoint Charlie“ ein- und ausreisen, beim Überlaufen der Grenze müssten die „Pässe gestempelt“ werden

Ich stellte die ganz einfache Gegenfrage, wie man das bei erwarteten 10 bis 20.000 Teilnehmern machen sollte. Ich versuchte zu erklären, wie derartige Straßenläufe in Berlin (West) üblicherweise über die Bühne gehen, was wohl Fassungslosigkeit seitens der volkspolizeilichen Obrigkeit hervorrief.  Bis zu diesem Zeitpunkt war aber das Brandenburger Tor durch den „antifaschistischen Schutzwall“  – sprich Mauer – umgeben und man einigte sich darauf, daß der Lauf überhaupt stattfindet.

Inzwischen kündigte sich ein „Run“ auf den Berliner Neujahrslauf an,  Journalisten aus aller Welt meldeten sich, um bei diesem einzigartigen Ereignis dabei zu sein, obwohl überhaupt noch nicht feststand, wie die Organisation gemeistert werden sollte. Stefan Senkel organisierte mit der (Ost) Berlin „ Laufkommission“ den Ablauf mit Ordnern u.a.m.  in den Straßen Ostberlins, während die Organisation des BERLIN-MARATHON  für den Ablauf in Westberlin verantwortlich war.

Als Sponsor für den Lauf wurde die Berliner Bank gewonnen, die die Startnummern und Urkunden finanzierte und in ihren Filialen die Startnummern ausgab.

Die lang erwartete Sensation war  zwei Tage vor Weihnachten (am 21./22. Dezember 1989 perfekt) der Durchbruch der Mauer rechts und links des Brandenburger Tores mit dem Treffen von Bundeskanzler Helmut Kohl und DDR-Regierungschef Hans Modrow. Nach 28 Jahren war es wieder möglich durch die Säulen des Tores zu gehen.

Am 27. Dezember 1989 gab es dann eine Ortsbesichtigung mit der Volkspolizei am Brandenburger Tor. Für mich war wichtig, daß der Lauf nicht nur durch das freie Stück der Mauer verlief, sondern daß die Teilnehmer auch durch das Tor laufen konnten, d.h. sie mußten durch den Engpaß der Mauer, dann praktisch zurück laufen, dann wieder eine Wende machen um dann durch die Säulen des Brandenburger Tors laufen zu können.  Diesen „Slalomlauf“, um von hinten durch das Tor zu rennen,  störten aber die Abfertigungs- oder Aufenthaltshäuschen der Grenztruppen, wobei ich mir bei der Begehung die Bemerkung erlaubte, „die müssen aber hier noch weg“ – was utopisch erschien – aber am 1. Januar 1990 waren die „Häuschen“  tatsächlich weg – und die Utopie des freien Laufens durch das Tor war Wirklichkeit.

Eine Episode sei noch erwähnenswert. Ich erzählte dem einen Volkspolizisten, daß die Mauerstücke überall jetzt als attraktive Souvenirs gesucht seien und ich unserem Sohn Mark in den USA ein Stück schicken wollte, ging er unaufgefordert in einen Schuppen – und holte mir einen vollen Eimer Mauerstücke heraus  – das allein war schon überwältigend!

Mit Stefan Senkel traf ich mich auf dem U-Bahnhof Kochstraße – „letzter Bahnhof im Westsektor“ praktisch subversiv – um letzte Informationen und Papiere auszutauschen, ohne  eigentlich zu ahnen, was uns bevorsteht.

In Ostberlin gab es den Neujahrslauf traditionell schon seit fast seit zwei  Jahrzehnten, eingeführt durch den bekannten Radioreporter Heinz-Florian Oertel. Dieser Lauf fand immer mit viel sportlicher Prominenz im Volkspark Friedrichshain statt, 1990 war am 1.01.1990 um 11.00 Uhr dort die 19. Auflage fällig – aber schon um 31.12.1989 fand der Silvesterlauf von BSG Motor Lichtenberg im Plänterwald (Ost-Berlin) und um 14.00Uhr der 14. Berliner Silvesterlauf („Der Pfannkuchenlauf“) vom SCC am/auf dem Teufelsberg statt. Die Berliner Laufgemeinde war also gefordert.

Am Vorabend des 31.12.1989 transportierte ich abends gegen 20.00 Uhr die Pfannkuchen für den 14. Berliner Silvesterlauf aus unserer Konditorei  in das Mommsenstadion. Das Stadion lag im Dunklen, aber am Eingang zum Stadion stand eine Gruppe, durch die ich durch mußte.  Ich fragte sie, auf wen sie denn warteten, die Antwort war verblüffend: „Na, auf Horst Milde, wir hatten dem geschrieben, daß wir aus der DDR (Vogtland) kämen und an den Läufen in Westberlin teilnehmen wollen.  Er solle uns auch Quartier besorgen.“

Natürlich war bisher kein Brief bei mir angekommen – und vorbereitet war natürlich auch nichts. Die Gruppe bestand aus 8 Personen – aber es kamen noch vier Läufer hinzu, die unterwegs waren, „um mit Horst Milde zu telefonieren“! Meine Frau war nicht wenig überrascht, als plötzlich 12 Personen mehr zum Haushalt gehörten – die schlafen und essen wollten, denn alle Hotels waren in Berlin ausgebucht.

Hinzu kam, daß die Tage um den Jahreswechsel in einer Bäckerei-Konditorei die arbeitsintensivsten des ganzen Jahres sind, sodaß mir im Rückblick nicht mehr ganz klar ist, wie wir  das mit dem Beruf und zwei Lauf-Veranstaltungen – und einem „Fast-Hotel“ – alles geschafft haben.

Nach der Feier des Jahrhunderts  am Brandenburger Tor am 31. Dezember 1989 begann der 1. Januar 1990 am Frühstückstisch mit einem Anruf morgens um 8.00 Uhr der Bild-Zeitung, die mich fragten, ob denn der Neujahrslauf überhaupt  stattfände, wegen des tödlichen Unfalls während der Silvesterfeier, da ein Gerüst zusammengebrochen sei und ein Beteiligter ums Leben kam.  Das war bis dato nicht bekannt, stand nun aber nicht mit der Laufveranstaltung im Zusammenhang.  Eine für die alle Beteiligten größeres Problem sei aber der gewaltige Anfall von Abfall, angefangen von Feuerwerkskörpern bis zu Flaschen und Scherben. Während in Westberlin die Stadtreinigung schon schwer am Aufräumen war,  passierte in Ostberlin wenig.

Der Startort des 1. Gesamt-Berliner  NEUJAHRSLAUFES war auf der Straße des 17 Juni – zwischen Siegessäule und der damaligen Entlastungsstraße – in Richtung Brandenburger Tor. Als Equipment gab es nur Tische für die Ausgabe von zusätzlichen Startnummern, später der Urkunden – und der Ausgabe von Tee und Getränken durch das DRK.

Karsten Milde war mit dem Führungswagen (und Funksprechgerät) – über die Übergangsstelle Potsdamer Platz  gefahren und stand am Brandenburger Tor – er teilte mir um 13.30 Uhr mit, daß  jetzt der Pariser Platz – und die weiterführenden Straßen von der (Ostberliner) Stadtreinigung gereinigt sei.

Berlins Regierender Bürgermeister Walter Momper  und der Oberbürgermeister Erhard Krack waren pünktlich zu Stelle – standen auf einem kleinen Podest in der Mitte der Straßen – und gaben den Startschuss ab.  Zuvor war er Andrang  von Teilnehmern (aus aller Welt) unbeschreiblich, an eine geordnete Aufstellung, wie bei einem wettkampfmäßigen Lauf war durch die hochgehenden Emotionen nicht möglich. Der Versuch die Läufer hinter die Startlinie zu „schieben“ erwies sich als undurchführbar – die ersten Reihen waren zufälligerweise durch stämmige und kräftige US-Gis besetzt, die keinen Schritt zurückgingen. Warum auch – es ging schließlich nicht um Sieg und Niederlage.

Der Lauf  durch die Mauer und dann durch die Säulen des Brandenburger Tors zum Roten Rathaus und zurück  war  eine hoch emotionale und gefühlsbeladene „Zeremonie“  für über 20.000 Teilnehmer aus vielen Nationen , für die Zuschauer und die Medien, die dieses einmalige Ereignis durch das  Live-Fernsehen in alle Welt verbreiteten.  Eine Einmaligkeit, die nie wiederkehrt – und die alle zu Tränen rührte.

Für alle Teilnehmer  gab es ein Erinnerungs-Urkunde – 20.000 Stück waren gedruckt – sie reichten nicht aus und mussten nachgedruckt werden – die Berliner Bank gab dann einige Tage später in ihren Filialen die Urkunde nachträglich aus.

Nach  dem Lauf wurde um 16.00 Uhr im Restaurant in der Kongresshalle eine Pressekonferenz mit dem Präsidenten der IAAF Premio Nebiolo, der extra nach Berlin einflog (seine Frau nahm am Lauf teil, dem Präsidenten des DLV Helmut Meyer, dem Präsidenten des Landessportbundes Berlin Manfred Freiherr von Richthofen, dem Präsidenten des DTSB Rudi Ebmeyer, dem Vorstand der Berliner Bank Helmut Fuchs, Stefan Senkel und mir abgehalten.

Die Spendensammlung für UNICEF erbrachte 12.696,37 DM in fünf verschiedenen Währungen, incl. Ostmark, Rubel und Dollar, die BERLIN BANK  erhöhte auf  DM 13.000,00.

Der Berliner NEUJAHRSLAUF hatte seine eigene Geschichte gemacht – und bleibt wohl unauslöschlich in den Köpfen aller Teilnehmer.

Horst Milde

"20 Jahre Mauerfall":

Der 26. BERLINER CROSSLAUF am 12. November 1989 – "20 JAHRE MAUERFALL" Teil II – Der erste Lauf in Deutschland mit Läufern aus Ostberlin und der DDR – Horst Milde berichtet.

Der 26. BERLINER CROSSLAUF am 12. November 1989 – "20 JAHRE MAUERFALL" Teil II

 

Mauerspechte und freudetrunkene Läufer – Manfred Steffny in SPIRIDON – "20 JAHRE MAUERFALL" – Teil I

"20 JAHRE MAUERFALL I – in SPIRIDON

author: GRR

Comment
0

Leave a reply