Dieses Spiel hat eigentlich erst in den nuller Jahren begonnen. Die Gründung der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada vor zehn Jahren war dafür der Startschuss. Von da an hieß es: Katz und Maus, Dopingjäger verfolgt Doper.
Skandale – Hangeln am Abgrund – Zwischen Doping und Wettskandalen: Die totale Zockermentalität hat den Sport in große Gefahr gebracht. Und die Globalisierung hat es leichter gemacht, das System an der Nase herumzuführen – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel
Drei Sportler, die für die vergangenen zehn Jahre stehen? Da fallen einem Usain Bolt ein, weil er scheinbar unüberwindbare Grenzen leichtfüßig überlaufen hat. Michael Schumacher, weil er so beherrschend war über Konkurrenz und Technik. Und Cristiano Ronaldo, weil er mit Spiel und Eitelkeit zu einem Popstar geworden ist.
Sie haben der Zeit ihre Gesichter gegeben. Aber sind sie auch typisch für die Entwicklung, die der Sport in den vergangenen zehn Jahren genommen hat?
Besser zu sein, als dem menschlichen Körper zugetraut wird, länger an der Spitze zu bleiben, als das Durchhaltevermögen gewöhnlich zulässt und auch noch glamourös dabei zu wirken – all das kam im Sport auch vorher schon vor, wenngleich Bolt, Schumacher und Ronaldo alles noch einmal gesteigert haben. Doch neben der neuen öffentlichen Inszenierung des Sports, dem Public Viewing, gibt es ein anderes Element, das sich jetzt im Sport breitgemacht hat: das Zocken.
Es ist die Mentalität, Risiken bewusst in Kauf zu nehmen. Das Risiko etwa, beim Betrügen erwischt zu werden oder seine Gesundheit zu ruinieren, ja sogar zu sterben. Vielleicht sind deshalb weniger bekannte Athleten symbolhafter für die zu Ende gehenden nuller Jahre. Adrian Annus zum Beispiel. Adrian Annus steht für diejenigen, die sich verzockt haben.
Für den Olympiasieg im Hammerwerfen 2004 in Athen hatte der Ungar alles auf eine Karte gesetzt, er war gedopt ins Finale gegangen in dem Wissen, danach eine Probe abgeben zu müssen. Er ist aufgeflogen. Er hat das Spiel verloren.
Dieses Spiel hat eigentlich erst in den nuller Jahren begonnen. Die Gründung der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada vor zehn Jahren war dafür der Startschuss. Von da an hieß es: Katz und Maus, Dopingjäger verfolgt Doper. Erst seit Gründung der Wada gibt es international wirksame Standards der Dopingbekämpfung, erst seitdem spielen die Dopingjäger überhaupt richtig mit im Sport, auch wenn sie meistens verlieren.
Adrian Annus hatte sich wie sein Landsmann, der Diskuswerfer Robert Fazekas, auf dieses Spiel eingelassen. Auch Fazekas gewann in Athen seinen Wettbewerb, musste aber die Goldmedaille später ebenfalls zurückgeben. Ihre Betrugsversuche offenbarten einen Abgrund im Sport. Beide hatten bei Dopingproben nicht den eigenen, sondern fremden Urin abgegeben. Inzwischen wird von der „ungarischen Methode“ gesprochen: Der Urin wird über einen am Penis befestigten Schlauch in den Becher befördert.
Ob andere Betrugsmethoden ähnlich entwürdigend sind, darüber gibt es keine Gewissheit. Gerade die effizienten Methoden bleiben schließlich im Verborgenen. Auf jeden Fall ist das Doping der heutigen Zeit ein anderes als noch das Anabolikadoping der siebziger und achtziger Jahre. Denn wenn eine große Zahl an der Spitze dopt, macht nicht nur die Qualität des Sportlers den Unterschied, sondern auch die des Dopingmittels.
Athleten müssen daher auch mal etwas ausprobieren, ein Mittel, das die Konkurrenz vielleicht noch nicht kennt. Und damit vielleicht eines, dessen Risiken und Nebenwirkungen wahrscheinlich nicht einmal genau erforscht sind. Der Tod von bekannten Sportlern wie Birgit Dressel (achtziger Jahre), Florence Griffith-Joyner (neunziger) und Marco Pantani (dieses Jahrzehnt) hat dabei wahrscheinlich keine oder nur wenig abschreckende Wirkung. Hinter dieser Mentalität steckt für den Sportwissenschaftler Eike Emrich die „Glühbirnentheorie“. Sie besagt: „Lieber eine Zeit lang hell strahlen, aber dafür nicht so lange.“
Der zweitklassige Profi hangelt sich von Vertrag zu Vertrag, wer an der Spitze steht, wird dagegen überschüttet mit Geld und Aufmerksamkeit. Diese Schere scheint immer weiter auseinanderzugehen. Um maximale Aufmerksamkeit zu bekommen, spielen Sportler also mit Unsicherheiten. Diese Unsicherheit sei ohnehin fest im Sport verankert, weil sich sportlicher Erfolg nicht planen lässt, sagt Emrich. „Eine Mischung aus Berechenbarkeit und Glücksspiel mit Systemtipp“ nennt Emrich den Sport. Unsicherheit bringe auf jeden Fall Spannung mit sich, „alles, was Spannung verspricht, ist ein Gewinn an Gegenwart“. Und andersherum ein Verringern von Langeweile.
Tippen, Wetten, Spielen – all das gehört inzwischen zusammen beim Sport. Gerade in seiner populärsten Disziplin, dem Fußball. Die Live-Wette, bei der während des Spiels auf Tore, Einwürfe, Rote Karten gesetzt werden kann, ist für die Fernsehzuschauer mindestens zum Nebenschauplatz geworden, für Spielwütige sogar zum Hauptort des Geschehens. Neben Doping hat sich die Wette als größte Form des Zockens im Sport ausgebreitet und auch sie hat eine Symbolfigur. Eine, die nicht einmal direkt aus dem Sport kommt. Doch sie hat das Zocken mit dem Sport verknüpft: Ante S.
Der Berliner ließ von Schiedsrichtern und Spielern Fußballspiele manipulieren, auf die er selbst gewettet hatte. Ante S. und andere haben es sich dabei zunutze gemacht, dass Sport inzwischen so global geworden ist, dass sich auf deutsche Fußballspiele auf dem größten Wettmarkt der Welt in Asien Geld setzen lässt. Auch das ist eine Entwicklung der nuller Jahre.
Die jüngste Vergangenheit wurde damit zu einer Zeit der Wettskandale, 2005 der erste große im deutschen Fußball, der zweite wird gerade staatsanwaltschaftlich aufgearbeitet. Leichter macht es den Betrügern der Umstand, dass Sportler durch die Professionalisierung teilweise nur kurz an einen Verein gebunden sind. Das ständige Herumwandern kann Auffälligkeiten verschleiern. Es gilt der Handlungsgrundsatz: mit allen Tricks arbeiten, aber sich nicht erwischen lassen. Das große System Sport an der Nase herumzuführen, dürfte ohnehin ein Machtgefühl verleihen, Dopern ebenso wie Wettbetrügern.
Diese Risiko- und Spielmentalität hat den Sport in große Gefahr gebracht. Die Regeln verlieren an Bedeutung, die Schiedsrichter an Autorität. Und beinahe hilflos müssen die sonst so stark wirkenden Fußball-Organisationen gerade zusehen, wie die Staatsanwaltschaft den Wettskandal alleine behandelt.
Viele Zuschauer haben sich dagegen schon mit der neuen Wirklichkeit angefreundet. Bei Fehlentscheidungen haben sie im Stadion nicht mehr „Schieber“ gebrüllt, sondern den Namen eines bestechlichen Schiedsrichters, und dopingverdächtige Leistungen feiern sie mit großer Begeisterung. Es würde dazu passen, wenn bald Wetten angeboten würden, welcher Fußballspieler eine Begegnung manipuliert hat und welcher Athlet als Doper auffliegt. Falsches Spiel ist längst Folklore.
Friedhard Teuffel im Tagesspiegel vom Donnerstag/Freitag, dem 31.12.2009/1.01.2010