Isinbajewas Burnout – „Ich habe das Feuer verloren“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Jelena Isinbajewa hat 29 Mal die Weltrekorde in der Halle und draußen verbessert und auf inzwischen 5,00 und 5,06 Meter getrieben. Niemand konnte ihr widersprechen, als sie vor der Hallen-WM in Doha prahlte: „Ich würde sagen, dass ich ziemlich allein vorn bin. Die anderen Mädchen werden erst Rivalinnen, wenn sie fünf Meter springen. Jetzt haben sich einige auf 4,80 Meter verbessert. Das ist nichts; die springe ich seit sechs Jahren.“
Der Riesendruck, immer die Beste sein zu müssen, lastet auf Isinbajewa
Der Star, der vollmundig einen Weltrekord versprochen hatte, hat seinen Glanz verloren. Die Russin Jelena Isinbajewa, die vielleicht bekannteste Leichtathletin der Welt, Olympiasiegerin von Athen 2004 und Peking 2008, Weltmeisterin von Helsinki 2005 und Osaka 2007 und dreimalige Hallen-Weltmeisterin, scheiterte bei der Leichtathletik-WM unterm Dach an der Höhe von 4,75 Meter und schied als Vierte aus. Das Unglück deutete sich schon an, als sie in der Qualifikation am Freitag drei Versuche brauchte, um 4,55 Meter zu überspringen.
Riesendruck, immer die Beste sein zu müssen
Jelena Isinbajewa hat sich in Doha vor Dutzenden von Journalisten ein Burnout-Syndrom diagnostiziert und ihren Rückzug vom Sport womöglich für die gesamte Sommersaison angekündigt. „Ich bin nicht mal enttäuscht“, sagte sie und strahlte wie immer, wenn eine Kamera auf sie gerichtet ist. „Körperlich war ich in Form. Aber ich spüre einen Riesendruck, immer die Beste sein zu müssen, immer die Goldmedaillen holen zu müssen. Alle erwarten das von mir: die Russen, die Fans, ich selbst.“
Nicht in ihrem Trainingslager in Rieti, nicht in ihrer Luxuswohnung in Monte Carlo, in Russland werde sie eine Auszeit nehmen, kündigte sie an und mit ihrem Trainer Witali Petrow in Ruhe besprechen, wann sie wiederkomme. „Vielleicht bedeutet das, die gesamte Sommersaison auszusetzen“, sagte sie. „Ich habe das Feuer verloren. Ich will nicht auch mein Gesicht verlieren.“
Sie wünscht sich Kinder und Familie
Schon vor sieben Monaten bei den Weltmeisterschaften in Berlin war die zweifellos beste Stabhochspringerin der Welt ohne gültigen Versuch ausgeschieden: eine Sensation. Und sie gab sich damals wie diesmal sogar dankbar. „Es sind merkwürdige Dinge, die mit mir passieren. Vielleicht habe ich Berlin nicht richtig analysiert, und Gott gibt mir eine zweite Gelegenheit dazu“, sagte sie in Doha. Wenige Wochen vor der WM war sie in London zum ersten Mal seit sechs Jahren in einem wichtigen Wettkampf unterlegen gewesen – und hatte auch damals von dem Glück gesprochen, dass sie nun einen richtigen Ansporn habe.
Vermutlich ist es weniger Gott als das Geld, das sie in eine Trainingsroutine und einen Wettkampfstress treibt, an denen sie nun zu zerbrechen droht. Es ist kein Geheimnis, dass sie sich eine Familie und Kinder wünscht – ihr sehr persönliches Engagement für Waisenkinder in ihrer Heimatstadt Wolgograd trägt Züge einer Ersatzhandlung. Es ist allerdings ein Geheimnis, das russische Journalisten sich zuflüstern, dass sie einen neuen Lebensgefährten habe. Und es ist der Stolz ihres Managers Daniel Wessfeldt, dass sie einen Vertrag mit dem chinesischen Ausstatter Li Ning geschlossen hat, der ihr Jahr für Jahr mindestens eineinhalb Millionen Dollar einbringen soll.
Dafür musste sie allerdings ihren Plan aufgeben, nach den Olympischen Spielen 2012 ihre Karriere zu beenden, sondern soll bis zur Weltmeisterschaft im Jahr darauf in Moskau weitermachen. Dann wird sie dreißig Jahre alt sein und zwei Drittel ihres bisherigen Lebens im Hochleistungssport verbracht haben.
Die ebenso überraschte wie überraschende neue Weltmeisterin Fabiana Murer – sie siegte mit 4,80 Meter – will gleichwohl nicht von einer Wachablösung sprechen. „Sie ist immer noch die Größte“, sagte sie über Jelena Isinbajewa.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Mittwoch, dem 17. März 2010
Pole Vault – W Final – IAAF
Position | Bib | Athlete | Country | Mark | . |
---|---|---|---|---|---|
1 | 19 | Fabiana Murer | BRA | 4.80 | . |
2 | 190 | Svetlana Feofanova | RUS | 4.80 | (SB) |
3 | 175 | Anna Rogowska | POL | 4.70 | . |
4 | 194 | Elena Isinbaeva | RUS | 4.60 | . |
5 | 54 | Jirina Ptácniková | CZE | 4.60 | (PB) |
6 | 29 | Kelsie Hendry | CAN | 4.50 | . |
7 | 98 | Kristina Gadschiew | GER | 4.40 | . |
. | 108 | Nikoléta Kiriakopoúlou | GRE | NM | . |
Athlete | 4.30 | 4.40 | 4.50 | 4.60 | 4.65 | 4.70 | 4.75 | 4.80 | 4.85 |
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Fabiana Murer | – | – | O | O | – | O | XXO | O | XXX |
Svetlana Feofanova | – | O | – | O | – | O | – | XO | XXX |
Anna Rogowska | – | O | – | XXO | – | XO | XXX | ||
Elena Isinbaeva | – | – | – | O | – | – | XXX | ||
Jirina Ptácniková | O | O | O | XO | XXX | ||||
Kelsie Hendry | – | XXO | XO | XXX | |||||
Kristina Gadschiew | O | O | XXX | ||||||
Nikoléta Kiriakopoúlou | XXX |