Die Vermutungen und Vorwürfe gegenüber Russland sind seit Jahren massiv, die Erwischten aus verschiedenen Sportarten fast Dutzendware, trotzdem werden sie von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) und dem IOC offensichtlich mit großer Zurückhaltung behandelt.
Keine Doper bei Olympia – 1999 von 2000 Tests negativ – Zurücklehnen nicht angesagt – die Frage der Olympiareife gilt aber für alle – Zwischen Vancouver 2010 und London 2012 – von Lothar Pöhlitz
Das der IOC–Präsident Jacques Rogge mit den Olympischen Winterspielen 2010 zufrieden war kann man gut nachvollziehen. Alle schienen zufrieden, die Athleten und Trainer, die Organisatoren trotz schwierigster Wetterbedingungen, das Fernsehen, die Sponsoren, die vielen deutschen Sportfans vor Ort oder in der Heimat und auch viele NOKs. Toll auch die Atmosphäre. Man hatte das Gefühl dass Canada zwei Wochen lang seine Gäste umarmt, umsorgt und belächelt hat.
Im Gegensatz zu unseren erfolgreichen deutschen Team, dass mit Jubel und Zufriedenheit über 30 Medaillen und 10 Olympiasiegen zu Hause toll empfangen wurde, mussten die russischen Funktionäre und Trainer wohl auf dem Moskauer Flughafen den Hinterausgang nehmen. Die Schelte des Präsidenten ob der mageren Ausbeute – vor allem auch in Hinblick auf die nächsten Winterspiele im eigenen Land – erschütterte sicher das ganze sporterfolgsverwöhnte Russland. Der NOK-Chef und der Vize-Leistungssport wurden inzwischen bereits abgelöst. Die Ergebnisse der Russen lassen durchaus den Schluß zu, dass die vielen erwischten Dopingsünder der letzten Jahre richtig Spuren und vor allem Unsicherheit in Vorbereitung ihrer Trainer und Athleten auf internationale Höhepunkte hinterlassen haben.
Offensichtlich haben sie, ob des flächendeckenden Dopings in der Zeit der Sowjetmacht, die Trainingsmethodik ein wenig vernachlässigt und sind nicht mehr auf dem neuesten Stand der Vorbereitung ohne Pillen. Da kann man jetzt schon voraussehen, dass die nächsten 4 Jahre für sie ob der Vorbildwirkung canadischer Erfolge beim Heimspiel nicht leicht werden.
Wada und IOC müssen alle nicht nur im Blick behalten
Die Vermutungen und Vorwürfe gegenüber Russland sind seit Jahren massiv, die Erwischten aus verschiedenen Sportarten fast Dutzendware, trotzdem werden sie von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) und dem IOC offensichtlich mit großer Zurückhaltung behandelt. Nicht nur hinter vorgehaltener Hand wird davon berichtet, dass das internationale Trainingskontrollsystem innerhalb der russischen Grenzen in den letzten Jahren immer wieder durch die Behörden behindert wurde. Man liest sogar von internen Gesetzen, die die Schwierigkeiten für ausländische Doping-Kontrolleure vorgeben, wie sie sich im Lande zu bewegen und zu arbeiten haben, beim Transport von Doping-Proben, beim Import und Export von Ausrüstungsgegenständen und sicher auch bei den Zielkontrollen für bestimmte Athleten.
Solche Praktiken, natürlich streng geheim, sind ja auch aus der Zeit überliefert als durch Medaillen die Welt von der „Überlegenheit der kommunistischen Weltbewegung“ und von einer „real existierenden sozialistischen DDR“ überzeugt werden sollte. Intern waren sich die Sportler aber schon im Klaren, dass man „aus der größten DDR der Welt“ nur durch das kleine Loch Leistungssport mal für wenige Tage durch die Mauer nach „drüben“ (d.h. in den Westen) durfte. Inzwischen sind 20 Jahre seit dem Untergang auch der Sowjetmacht vergangen, die Funktionäre von damals aber offensichtlich dort noch im Dienst. Aber Vorsicht, durch die immer neue, jährliche Russland-Diskussion besteht die Gefahr, dass von den vielen anderen abgelenkt wird, die ja bekanntlich auch keine Laien im Umgang mit „Drogen“ sind.
Keine Doper heißt noch nicht kein Doping
Natürlich war Rogge über jede negative Dopingprobe in Vancouver erfreut und hatte auch das gute Recht die erfolgreiche Dopingbekämpfung zu loben.
Das er ausdrücklich zur Objektivität aufforderte, darauf hinwies, dass alle Proben zur Nachuntersuchung acht Jahre konserviert werden, dass sicher Einiges noch nicht nachweisbar und der Kampf noch nicht gewonnen ist, unterstreicht sein ungutes Gefühl.
Es ist wie bei der Verfolgung von hohen sportlichen Zielen: man darf nie aufgeben. Nur wer mit Überzeugung und Leidenschaft die Ziele rund um die Uhr verfolgt wird eines Tages Sieger sein. Dies muß auch für die Dopingbekämpfung und deren Mitarbeiter gelten. Wer aufmerksam zugesehen hat ist überzeugt, unsere Sportler haben die neuen Herausforderungen angenommen, sind bereit zur Mitarbeit, können gut damit leben, wenn doch nur die anderen kontrolliert würden wie die Deutschen. Die wünschen sich vor allem dass sie „menschlich“ behandelt werden und die Kontrolleure nicht gerade dann „an ihnen rumzerren“, wenn Athleten, die sich 4 Jahre mit höchster Intensität vorbereitet haben, gerade Olympiasieger geworden sind oder in der Nachtruhe die grenzwertige Belastung des Vortages in Leistung umgesetzt wird.
Auch ohne uM kann man der Weltspitze nahe sein – Die Athleten wünschen sich dafür Doping-Ersatzbedingungen
Wie immer, auch in Vancouver kamen neue Erfahrungen dazu. Bestätigt wurde auf alle Fälle dass man auch ohne unterstützende Mittel (uM) der Weltspitze nahe sein kann. Unsere Wintersportler haben dies beim größten Fest des Sports aller 4 Jahre bewiesen. Da hofft man, dass unsere Verantwortlichen, die für den Hochleistungsbereich zuständigen beim DOSB , aber auch in den Verbänden, bei den Statements der Besten nach ihren Erfolgen in Vancouver gut zugehört haben: von außerordentlicher Begabung, Talent, von den besonderen Voraussetzungen der Sieger, von der Konzentration auf die Aufgabe über Jahre, von notwendiger Vernachlässigung der beruflichen Karriere, von der Vorbereitung im Team, von ganzjährigem Höhentraining, von erforderlicher Zeit für die umfangreiche Trainingsbelastung und die beim Physiotherapeuten und den Ärzten haben sie gesprochen.
Das sind die Doping-Ersatzbedingungen die geschaffen werden müssen, wenn Sportler heutzutage in der Weltspitze konkurrenzfähig sein sollen. Die Hilfe für Trainer und Athleten, Bedingungen und Voraussetzungen um das notwendige Training und die vorbereitenden Wettkämpfe über mindestens den Zeitraum einer Olympiade auf höchstem Niveau absolvieren zu können – wie sie beispielsweise den canadischen Athleten mit dem Programm „own the podium“ bereitgestellt wurden – sind die zu erledigenden Aufgaben. Dies gilt für alle olympischen Sportarten, auch für den DLV.
Fair geht vor muss nicht nur für die Sportler gelten
Niemand hat das Recht Top-Sportlern ohne echte Nachweise Doping zu unterstellen. Vor allem nicht die Dopingfahnder, die Nada und Wada, der DOSB, die Medien, Funktionäre, nicht Dr. Franke und auch nicht die „Dopingexperten der Medien“ solange nicht in allen Ländern, in allen olympischen Sportarten und Disziplinen, ganzjährig Trainingskontrollen organisiert und durchgesetzt sind. In der Zeit wo die Leistungen für die Höhepunkte vorbereitet werden, sind die Kontrollen wichtig, weniger bei den Wettkämpfen selbst. Vancouver hat erneut bewiesen, dass nach ….zigjährigen Erfahrungen, bei Wettkämpfen nur noch Dumme erwischt werden.
Es dürfte aber auch nicht heißen Urin- oder Bluttests, sondern beides zugleich, fordert die Praxis. Sollen sie erwischt werden oder besser nicht, oder ist für diese, zugegeben fast nicht zu lösende Aufgabe das Geld oder sind die Fachleute nicht vorhanden? Viele Fragen bleiben offen.
Vancouver ohne Doper hat unterstrichen, dass es keine Fortschritte in den Kontroll- und Nachweisverfahren gibt. Die Wissenschaftler in den Laboren haben in den letzten Jahren mit nur sehr geringem Erfolg viel Geld verbrannt und rufen nach immer mehr. Anabolika ist aus der Diskussion obwohl es heute noch genauso wirksam ist wie damals. Wichtig wäre die Reisekosten und -wege der Kontrolleure zu optimieren und die Forschung zu qualifizieren. Abschreckung durch Präsenz. Auch kleine Länder haben Zugang zu Apothekern und Ärzten. Und von den großen Ländern ist doch bekannt, in welchen Ecken sie sich wann vorbereiten. Dabei sollte für alle die Devise sein fair miteinander umzugehen und die Verurteilungen erst nach einer positiven B-Probe vorzunehmen. So sind doch wohl die derzeit bestehenden Regeln.
Es dürfen nur Beweise gelten – Indizien sind eine Farce
Es ist nicht fair im Vorfeld Olympischer Spiele Sportler öffentlich ohne echte Beweise an die Wand zu nageln und andere, die mit ähnlichen Indizien vorgeführt werden könnten, gleichzeitig zu verschweigen. Es ist schlimm, wenn DOSB-Generalsekretär Vesper im Bild-Interview vom 14.2.2010 von einem „sehr komplizierten Verfahren ohne positive A- und B-Probe, aber kräftigen Indizien“ im Falle von Claudia Pechstein und von unterschiedlichen Meinungen und wissenschaftlichen (?) Gutachten von Fachleuten – obwohl nur einer von 9 Blutparametern „auffällig“ war, spricht. Man spürte, für ihn bedeutete es: „überführt“?
Ist das nicht eine leichtfertige Vorverurteilung und politische Meinungsbildung zugleich? Die Öffentlichkeit will doch wissen: hat sie oder hat sie nicht! Und wer es nicht beweisen kann sollte besser schweigen, schließlich hat auch der DOSB viele Jahre ihre Erfolge auch als die seinen vermarktet.
Nun ist Olympia Geschichte und bei einer Pressekonferenz bei N24 wurde am 15.3.2010 allen vorgeführt was eigentlich eine solche Dopingverurteilung ohne ausreichendes fachliches Hintergrundwissen in der Öffentlichkeit für Athleten und Trainer bedeuten kann. Wird die Athletin nun nach ihrer zuvor „öffentlichen Hinrichtung“ rehabilitiert, entschuldigt sich Herr Vesper, treten die Vorverurteiler zurück oder zukünftig in den Hintergrund ? – Ein Gendefekt, eine angeborene Blutanomalie, Sphärozytose, keine Blutdoping-Beweise.
Echte Experten, Professoren für Hämatologie und Onkologie haben Ergebnisse umfangreicher Untersuchungen in Zusammenarbeit mit Claudia Pechstein der Öffentlichkeit präsentiert. „Wir können mit wissenschaftlicher Sicherheit ausräumen dass Claudia Pechstein gedopt hat“ war ein Statement. Blut – Doping ausgeschlossen und dabei wurde gleichzeitig deutlich, dass fanatische Dopingjäger sie um die Olympiateilnahme gebracht und ihr eigentlich schweres Unrecht zugefügt haben! Interessant war zu beobachten wie schnell danach sich sogenannte Dopingexperten mit wenig überzeugenden Argumenten gegen ihre Niederlage in Position gebracht haben und ihnen auch sehr schnell nach der Pressekonferenz der nötige Platz zum Zweifeln eingeräumt wurde.
Genauso schlimm ist es, wenn die Medien immer im Vorfeld Olympischer Spiele die große Dopingkeule herausholen, beispielsweise gestreute österreichische, noch dazu anonyme Beschuldigungen deutscher Wintersportler zum Anlass nehmen altes Archivmaterial zum wiederholten Male im TV und in jeder Kreiszeitung aufzuwärmen, um Sportler und Trainer zu diskriminieren und sicher auch eine Antipathie der Zuschauer zum Leistungssport zu provozieren oder vielleicht sogar einzelne Sportler zum Buhmann aufzubauen.
Und nicht wenige, die sowieso gegen Hochleistungssport sind, hängen sich dran, auch weil von jeder Verdächtigung etwas bei den Leuten hängen bleibt. Wenige Wochen später berichten sie dann von Olympischen Spielen oder anderen großen Wettkämpfen, messen an den Einschaltquoten das Interesse der Zuschauer und vermitteln am liebsten welche Sportler die Erwartungen nicht erfüllt haben.
Die Olympiareife sollte für alle Akkreditierten gelten – Nicht nur Rotwein, auch positives denken tut der Seele gut
Sachlich konkret, spekulationsfrei und objektiv würde man sich die Arbeit der Medien wünschen. Weniger abschreiben und Wiederholungen des gleichen Materials bei vielen Sendern und Zeitungen. Was heute im TV publiziert wird liest man am darauf folgenden Tag in den Zeitungen. Warum werden so viele Journalisten und Fotoreporter beschäftigt, akkreditiert und finanziert wenn in den Reportagen doch nur wenige Texte und Bilder allüberall präsentiert werden.
Jede sportliche Leistung ist messbar und sollte auch entsprechend beurteilt werden, die Gute und die Schlechte, aber wenn der Zweite bereits der erste Verlierer hinter dem Sieger ist, darf man doch wohl berechtigt an der Seriosität zweifeln. Hatten sie bei den Übertragungen von den Sportstätten rund um Vancouver nicht auch das Gefühl, dass Bronzemedaillengewinner schon Verlierer waren und der miese 10. Platz in der einen Sportart als eine bemerkenswerte Leistung, in einer anderen als Enttäuschung dargestellt wurde?
Wer bei einer WM oder bei Olympischen Spielen die Silber- oder Bronzemedaille erkämpft ist zweit- bzw. drittbester in der Welt! Im Wintersport bei etwa 80, in den Sommersportarten bei etwa 200 konkurrierenden Ländern. Und die Fans zu Hause sind Stolz. Eine eigentlich sensationelle Leistung. Bei einer Reihe Berichterstattern vermisst man Respekt und nicht selten ein entsprechend angemessenes Niveau, oft würde es für sie in einer Rangliste nicht zu einem Platz im Finale reichen.
Offensichtlich sind sie nicht Stolz unsere besten Sportler bei Olympischen Spielen begleiten zu dürfen. Manchmal hat man sogar den Eindruck, dass sie es als Last empfinden. Wieso brauchen Sportjournalisten bei ihren Berichten eigentlich Fachexperten an ihrer Seite, fehlt es ihnen an Fachkompetenz? Wer verschafft ihnen das Privileg von Urteilen und Bewertungen nach „Noten“, wie z.B. im Fußball? Welcher Maßstab wird bei ihrer Auswahl angelegt?
Deshalb darf man sich vielleicht schon für die Olympischen Spiele 2012 in London wünschen dass „Olympiareife“ für alle Akkreditierten bei großen Sport-Events gelten muß und ihre Ansprüche an Sportler, Techniker, Ärzte, Trainer oder auch Dopingfahnder auch für sie selbst gelten sollten.
Lothar Pöhlitz