Im Gespräch: Leichtathletik-Vermarkter Magyar – „Der DLV darf sich nicht beklagen“ – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Patrick Magyar gilt als Vater der Diamond League. Vor dem Auftakt der weltumspannenden Leichtathletik-Serie in Doha am Freitagabend spricht der Leichtathletik-Vermarkter über die neue Serie, die deutsche Leichtathletik-Krise und Usain Bolt.
13. Mai 2010
Patrick Magyar, 47, ist Geschäftsführender Gesellschafter der Agentur Interface Marketing. Der Jurist gilt als Vater der Diamond League, der weltumspannenden Leichtathletik-Serie. Der Schweizer kam bei Weltklasse in Zürich mit der Welt des Profisports in Berührung. Er arbeitete für die Vermarktungsagentur ISL, dann für den Fußball-Weltverband (Fifa) und das America's Cup Segelsyndicat Alinghi. Eineinhalb Jahre war er ehrenamtlich Präsident von Swiss Athletics. Seit drei Jahren führt er als Direktor das Sportfest Weltklasse in Zürich.
Die Leichtathletik startet mit einer neuen, ambitionierten Serie. Und ausgerechnet ihr größter Star fehlt, Usain Bolt. Warum?
Man hat mit ihm einen Deal gemacht wie mit allen, die sich zwei Events aussuchen können. Tyson Gay, Allison Felix und Bolt starten auf verschiedenen Distanzen. Wir verpflichten sie für sieben Veranstaltungen, sie sagen, welche das sind. Usain eröffnet die Saison mit den 200 Metern in Schanghai, ich glaube, weil er dort im vergangenen Jahr absagen musste.
Vorher startet er, in der kommenden Woche, in Daegu.
Mit solchen Sachen werden wir noch zwei, drei Jahre leben müssen. Die Veranstalter von Daegu haben ein Riesenbudget, um Leichtathletik auf die Weltmeisterschaft in nächsten Jahr hin zu promoten. Vielleicht fängt Moskau an, solche Geschichten zu machen, sobald Daegu damit fertig ist. Wir sind ja kein Marktmonopol. Ich bin sicher, dass Daegu wesentlich mehr bezahlt als wir. Dafür wird Usain, glaube ich, auch im Winter noch mal hinfahren und auch im nächsten Jahr Promotion machen.
Werden Sie das einschränken?
Man will den Athleten ja nicht verbieten, Geld zu verdienen. Außerdem habe ich als Sohn eines Ungarn eine Abneigung gegen zentralistische Eingriffe. Aber es ist schon ein Problem, dass bei uns jeder starten kann, wo er will. Usain Bolt könnte morgen an einem Lauf in Osnabrück teilnehmen, wenn er wollte. Rafael Nadal und Roger Federer, die Besten im Tennis, können nicht spielen, wo sie wollen. Sie müssen bei den größten Turnieren starten, sonst werden sie bestraft.
Selbst wenn Sie Bolt hätten: Im ersten und zweiten Fernsehprogramm in Deutschland herrscht gerade Funkstille, was die Leichtathletik angeht.
In den großen europäischen Märkten ist die Wahrnehmung des öffentlich-rechtlichen Auftrags nicht so, wie sie mal war. Die Sender kämpfen ganz brutal um, ich sag manchmal: Tiefflug-Quoten. Wir sind in Deutschland bei Sport 1. Es ist gut, dass wir damit frei empfangbar sind. Sicher wären wir gern bei einem der Großen. Aber ARD und ZDF und Leichtathletik haben es gerade schwer miteinander.
Auch Istaf in Berlin ist nicht dabei…
Wie das Istaf in den vergangenen drei Jahren Publikum ins Olympiastadion gebracht hat und wie das Meeting ablief, spricht dafür, dass die Organisatoren einen Top-Job gemacht haben. Aber sie konnten der Diamond League nicht beitreten, weil sie keinen Fernsehvertrag hatten, der ihnen ausreichend viel Geld von den Sponsoren garantiert hätte. Womit sollte das Istaf wirtschaften? Mit dem Geld von Werner Gegenbauer?
Er hat sich aus dem Istaf zurückgezogen, ist Präsident von Hertha BSC geworden und gerade aus der Fußball-Bundesliga abgestiegen.
Ja, Werner Gegenbauer hat jetzt andere Sorgen. Die deutsche Leichtathletik hatte die Chance, jemanden wie ihn zu gewinnen. Er hat sicher ein paar Millionen Euro ins Istaf gesteckt, um mit seinem Meeting die WM in Berlin vorzubereiten. Und was gab es an Kooperation mit dem DLV? Nichts, null, niente! Der DLV darf sich nicht darüber beklagen, dass er keine Top-Meetings mehr hat in Deutschland.
Erwarten Sie das Istaf irgendwann zurück?
Wenn Sie mal weg sind, ist es ganz, ganz schwer, zurückzukommen. Wir haben bis zum letzten Moment die Tür offen gelassen. Das Fernsehen hat tolle Einschaltquoten gehabt bei der WM. Aber nicht einmal danach kam ein committment. Ich glaube, dass es generell kein Land auf der Welt gibt, in dem die Medienthematik bedeutender war als in Deutschland.
Was meinen Sie?
Man hat in Deutschland alles klein geschrieben und auf Dopingskandal gesetzt. Für uns als Ausländer ist es immer wieder erschreckend, mit welcher Häme diese Athleten überzogen wurden. In zwanzig Jahren deutscher Einheit hat sich die Ost-West-Verschmelzung nicht gut vollzogen. Es gibt kein Land auf der Welt, in dem jeglicher Dopingfall mehr aufgebauscht wurde als in Deutschland. Ich nehme die Funktionäre nicht aus. Wenn der Präsident des Verbandes sagt: Meine Leute sind clean, alle anderen aber nicht, dann ist das schon sehr speziell, vor allem, wenn man Gastgeber der Weltmeisterschaft ist.
Entschuldigung, da wurde doch nichts aufgebauscht. Eine Gesellschaft hat realisiert, dass die Basis sportlicher Erfolge, die aus einem Land eine so genannte Sportnation machte, auf Doping basierte. Und dann hat sie erfahren, dass es auf der anderen Seite auch nicht viel besser war.
Ich habe eine deutsche Mutter. Das historische Verständnis der Deutschen von Schuld und Sühne ist etwas Spezielles, das lässt sich nicht leugnen. Man ist schon brutal kritisch sich selbst gegenüber. In meiner Zeit bei der Fifa habe ich das Public Viewing konzipiert. Seit meiner Kindheit bin ich immer wieder in Deutschland. So viele Deutsche mit einer deutschen Fahne hatte ich vor der Weltmeisterschaft 2006 nicht gesehen. In welchem Land in Europa ist das Nationalbewusstsein noch so gebrochen? Da hat's ein Problem in Deutschland…
…aus gutem Grund.
Selbstverständlich, aus gutem Grund.
Hier in Doha sind nur fünf deutsche Leichtathleten am Start. Sie hatten es schon nicht leicht, in die Startfelder der Golden League hineinzukommen…
Nein, nein! Die Deutschen sind absolute Trainingsweltmeister. Ich sage das, weil wir Schweizer da mithalten können: Die gehen im Frühjahr ins Trainingslager, im Sommer ins Trainingslager, dann muss noch ein Höhentrainingslager eingebaut werden – nur ja keine Wettkämpfe! Immer heißt es: Die Weißen können nicht so schnell laufen wie die Schwarzen. Dann kommt ein Alberto Salazar und sagt: Ich brauche 100.000 Dollar pro Jahr. Man unterstützt ihn, und nach drei, vier Jahren laufen seine Jungs die 5000 Meter reihenweise unter dreizehn Minuten. Bei den Mädchen das Gleiche. Haben Sie gesehen, wie die laufen? Sie gehen in jeden Wettkampf und rennen so hart, wie es geht. Und bei uns hören Sie: Das Tempo war zu hoch! Ich hatte keinen Pacemaker! Vorne liefen sie mir weg! Wir sind zum Teil auch schon Weicheier geworden. Es tut uns gut, wenn wir uns der Konkurrenz stellen.
Es mangelt nicht an Können, sondern am Wollen?
Ich habe das Gefühl, bei den jungen Deutschen kommen einige. Ich halte auch das Chef-Bundestrainer-Duo für eine gelungene Besetzung.
Ist Deutschland ein Entwicklungsland in der Leichtathletik oder nicht?
Natürlich nicht. Deutschland ist kein Entwicklungsland. Aber es muss sich wieder besinnen.
Die Fragen stellte Michael Reinsch. Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 13. Mai 2010
EN








