„Es ist heute leider so, dass einige Nationen sich Afrikaner einkaufen. Damit müssen wir aber klar kommen, die Welt mischt sich bunt durch.“
Goldener deutscher Abend in Barcelona – Wolfram Marx berichtet – Verena Sailer und Linda Stahl
Der dritte Tag wurde zum goldenen für zwei deutsche Athletinnen. Sprinterin Verena Sailer (MTG Mannheim) holte sich den Titel über 100 Meter und nur wenige Minuten später freute sich Speerwerferin Linda Stahl (TSV Bayer 04 Leverkusen) über ihren Sieg.
Der Donnerstag brachte dabei für die deutsche Leichtathletik gleich zwei Parallelen. 1992 holten innerhalb weniger Minuten Heike Henkel im Hochsprung und Dieter Baumann über 5.000 Meter in ebendiesem Stadion in Barcelona ihre olympischen Goldmedaillen und die beiden Protagonistinnen des dritten Wettkampftages aus deutscher Sicht hatten bereits bei U23-Europameisterschaft in Debrecen 2007 zusammen Gold geholt.
Stahl setzte sich im fünften Wurf mit 66,81 Metern und neuer persönlicher Bestleistung an die Spitze des Klassements und überflügelte die bis dahin führende Barbara Spotakova aus Tschechien. Direkt im Anschluss legte Christina Obergföll nach und setzte sich mit 65,58 Metern auf den zweiten Platz. Nachdem es lange nach einem weiteren Triumph der Tschechin ausgesehen hatte, kam es so zu einem deutschen Doppelsieg mit der Überraschungssiegerin Stahl. „Ich habe nie mit Gold gerechnet. Bis vor der EM war ich neunte der europäischen Bestenliste. Ich hatte das Glück, einen rauszuhauen“, war sie selbst noch ganz überwältigt. „Ich habe einen Wurf getroffen, mit dem ich nie gerechnet hatte.“
Bereits im dritten Versuch hatte die neue Europameisterin mit 63,17 Metern eine neue Saisonbestleistung aufgestellt. Den großartigen deutschen Abend machte Katharina Molitor (TSV Bayer 04 Leverkusen) perfekt, denn sie sicherte sich im letzten Versuch noch den vierten Platz.
Nur kurz vor der Siegesparty der Speerwerferinnen hatte sich Verena Sailer ihren Titel gesichert. In einem engen Rennen setzte sie sich mit Kampfkraft und einem vor allem auf der zweiten Rennhälfte starken Lauf und einem sehr starken Finish mit 11,10 Sekunden und neuer persönlicher Bestleistung gegen die Französin Véronique Mang durch. „Das war ein Triumph des Willens, ich wollte dieses Rennen unbedingt gewinnen und das schon das ganze Jahr über. Im Training habe ich mir immer wieder vorgestellt, wie ich hier als Siegerin über die Ziellinie laufe und dann auf die Ehrenrunde gehe.“
Bereits im Halbfinale hatte Sailer eine starke Leistung abgeliefert. Die 11,06 Sekunden waren allerdings von zu starkem Rückenwind unterstützt, doch nach einem kleinen Stolperer direkt nach dem Start war sie kurzzeitig außer Tritt, setzte sich aber souverän an die Spitze und gewann. „Der Stolperer war ein Zeichen, denn ich war vor dem Halbfinale nicht so aufgeregt wie sonst. Danach habe ich ein wenig gezittert, doch ich habe gewusst, was möglich ist.“ Sie hat auf ihre Stärke auf der zweiten Hälfte vertraut und sich darauf besonnen. „Ich wusste, bei einer EM ist etwas möglich, ich musste es nutzen. Mein Ziel war immer nur der Sieg, die Zeit war zweitrangig. Linda und ich haben heute hier einen Job gemacht, jetzt läuft es für die ganze Mannschaft.“
Die gute Stimmung in der deutschen Mannschaft trotz der Rückschläge im Diskuswerfen der Frauen durch den achten Platz von Nadine Müller (Hallesche LAF) und das Qualifikations-Aus im Hammerwerfen von Markus Esser (TSV Bayer 04 Leverkusen) hatte DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen bereits am Mittag vor den beiden Goldmedaillen herausgestrichen. Die Tatsache, dass drei Kugelstoßerinnen im Finale gewesen seien, spreche für die Disziplin. „Wir sind hier nicht zwingend von Medaillen ausgegangen“, rückt er die Erwartungen und die Ergebnisse zurecht.
Weitspringer Christian Reif (ABC Ludwigshafen) zumindest, der am heutigen Freitag in die Qualifikation muss, lässt sich durch die Misserfolge der Mannschaftskollegen nicht aus dem Konzept bringen. „Ich habe keine Angst davor, dass mir etwas passieren könnte. Ich mache mir da keine Gedanken.“ Er zieht seinen Optimismus aus seinen diversen Acht-Meter-Sprüngen in dieser Saison, der Weite, die in der Qualifikation gefordert wird. Die beiden Titelgewinne können auch für ihn nun zu einem zusätzlichen Schub werden.
Auch mit der Leistung von Langstrecklerin Sabrina Mockenhaupt (Kölner Verein für Marathon) zeigt sich die Verbandsspitze zufrieden. Sie erneuerte nochmals ihre Kritik am Start der aus nicht-europäischen Ländern stammenden Läuferinnen, die im Finale vor ihr gewesen waren. Einen Punkt, den auch Arne Gabius (LAV asics Tübingen) nach seinem Vorlauf über 5.000 Meter ansprach. „Ich hatte gedacht, als das Gewitter anfing, das ist gut für mich, denn die Afrikaner mögen keinen Regen“, sagte er mit einem Augenzwinkern. Doch auch grundsätzlich beschäftigt ihn das Thema wie auch andere Athleten: „Es ist heute leider so, dass einige Nationen sich Afrikaner einkaufen. Damit müssen wir aber klar kommen, die Welt mischt sich bunt durch.“
Die Verbände müssten sich dann aber die Frage nach Sinn und Zweck der EM stellen. Explizit ausgenommen aus dieser Kette hat der Tübinger aber Läufer wie den britischen 10.000-Meter-Europameister Mo Farrah, der bereits als Kind aus Somalia nach Großbritannien gezogen ist. „Das ist völlig okay.“ Okay war aber auch Gabius' Rennen. Nach einem ersten Kilometer in 2:49 („Nach dem zweiten Kilometer mit 2:38 waren wir auf Bestzeitkurs für mich.“) musste er zweimal Lücken zur Spitzengruppe schließen, was ihm aber gut gelang. Er lief aktiv in der Gruppe mit und kämpfte.
Erst gegen Ende des Rennens musste er abreißen lassen und konnte die dann entstandene Lücke zur Spitze trotz einer Schlussrunde in 58 Sekunden nicht mehr schließen, kam aber mit 13:39,78 ins Ziel und qualifizierte sich damit als einer der Zeitschnellsten fürs Finale. Die letzten drei Kilometer absolvierte er in etwa 8:10 Minuten, ein für ihn guter Wert im Rahmen eines 5.000-Meter-Rennens. „Es war ein verdammt hohes Tempo für einen Vorlauf, doch ich habe gekämpft und alles versucht. Ich hätte nichts besser machen können.“
Damit haben sich die deutschen Mittel- und Langstreckler bei dieser Europameisterschaft bislang mit respektablen Ergebnissen achtbar aus der Affäre gezogen. Christian Glatting, Jan Fitschen (beide TV Wattenscheid) und Filmon Ghirmai (LAV asics Tübingen) platzierten sich mit den Plätzen neun, zwölf und 15 im Rahmen der Möglichkeiten, Sabrina Mockenhaupt wurde in ihrem Rennen sechste und erreichte ihr bestes Resultat in einem Bahnrennen bei einer internationalen Meisterschaft. Carsten Schlangen über 1.500 Meter und eben Arne Gabius über 5.000 erreichten das Finale, ein Ergebnis, das so nicht unbedingt zu erwarten gewesen war. Medaillen waren und sind in diesen Disziplinen derzeit nicht zu erwarten, doch könnte der doppelte Finaleinzug der deutschen Laufszene einen Schub verschaffen.
Überzeugen konnte hierbei auch die Art und Weise, wie beide ihre Rennen bestritten. Sie kämpften, machten keine taktischen Fehler und waren immer aktiv. Auch Steffen Uliczka (SG TSV Kronshagen/Kieler TB) über 3.000 Meter Hindernis hat gute Chancen, sich für das Finale zu qualifizieren und sich dort unter den besten acht Europäern zu platzieren, einen Anspruch, den er selbst im vergangenen Jahr äußerte.
Derzeit hat die deutsche Mannschaft sechs Läufer und Läuferinnen in Finalrennen auf europäischer Ebene, ein Ergebnis, auf dem sich auf jeden Fall aufbauen lässt. Nun ist der Verband gefordert.
Wolfram Marx
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