Daher war es für mich selbstverständlich, dass ich 1981 am ersten Bietigheimer Silvesterlauf teilnahm, schließlich waren viele Freunde aus dem Lauftreff dabei
Bietigheimer Silvesterlauf – Immer dabei gewesen… Neunundzwanzigmal beim Bietigheimer Silvesterlauf mitgelaufen – ein Rückblick
Als ich vor 36 Jahren mit dem Laufen begann, gehörte das Wort „joggen“ noch nicht zum Sprachschatz des Durchschnittsbürgers. Allenfalls sprach man vom Waldlauf und etwas später kam der Begriff des „Trim-Trabs“ auf. Den Bauern, denen ich damals auf meinen Runden zwischen Fellbach und Bad Cannstatt begegnete, waren Läufer etwas Ungewohntes, für einen der Arbeit verpflichteten schwäbischen Landmann vielleicht sogar etwas Unmoralisches.
Kein Wunder, dass mir einer hinterher rief: „Kerle, was rennsch denn so, hosch ebbes g´stohle?“
In Bietigheim, wohin ich mit Familie 1978 gezogen war, hatte man sich an Läufer, die am Sonntagmorgen und am Mittwochabend durch den Forst trabten, schon gewöhnt, denn hier bestand seit 1976 ein Lauftreff, eine kleine Gruppe Gleichgesinnter, der ich nach kurzem auch angehörte.
Neben dem gemeinsamen Lauf gab es nach einiger Zeit gemeinsame Wanderungen, Ski-Ausflüge und Ausfahrten zu den ersten Volksläufen. Später kam auch das Samstagstraining für die Marathonläufer dazu, denen ich mich ebenfalls anschloss. Aus dem gemeinsamen Sport ergaben sich menschliche Kontakte, die ich bis heute schätze.
Daher war es für mich selbstverständlich, dass ich 1981 am ersten Bietigheimer Silvesterlauf teilnahm, schließlich waren viele Freunde aus dem Lauftreff dabei. Im Vergleich zu dem riesigen Starterfeld derletzten Jahre war es eine kleine Zahl, die damals bei Schnee und Kälte am Start war. Dennoch waren 350 Läuferinnen und Läufer zusammengekommen. Und weil es noch keine Chips gab, die elektronisch die echte Laufzeit vermittelten, gab es schon ein erstes Gedränge um die Plätze in der vordersten Reihe. Daher gab es auch keinen Startschuss, weil die Läufer nicht warten konnten und auf die Strecke drängten, wie die Lokalzeitung nachher schrieb.
Die neueste Sportkleidung spielte damals noch keine Rolle. Und so starteten viele in dem Aufzug, der in eine Turnstunde gepasst hätte. Ein Bietigheimer Universitätsprofessor, der in diesem ersten Lauf in der Klasse der Sechzigjährigen siegte, war sogar trotz Schnee und Minustemperaturen in kurzer Hose und mit nacktem Oberkörper angetreten. Die Strecke, die in viereinhalb Runden zu durchlaufen war, betrug damals noch 13,7 km. Sie war erheblich schwieriger als die heutige Streckenführung. Die Zahl der Zuschauer war noch recht übersichtlich. Immerhin sollen es 1981 schon an die tausend gewesen sein.
Die einfache technische Ausstattung der Organisatoren der ersten Läufe funktionierte auch wenn die Zeiten mit der Hand gestoppt und die Ergebnislisten mit der Schreibmaschine getippt wurden. Man hatte damals noch mehr Geduld und die Bekanntgabe der Ergebnisse kurze Zeit nach dem Rennen im Internet war noch nicht vorstellbar.
Die Kontrolle, ob jemand alle Runden auch wirklich durchlaufen hatte, war in den ersten Silvesterläufen nicht problemlos. Daher soll es nach einem Silvesterlauf zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei Laufveteranen auf dem Bietigheimer Marktplatz gekommen sein.
Der Unterlegene behauptete, sein Konkurrent habe abgekürzt und somit den Pokal zu Unrecht erhalten. Schließlich sei er, der Unterlegene, bei früheren Rennen schon geduscht gewesen, während der angebliche Sieger noch über die Strecke geschnauft sei. Der Protest hatte Erfolg. Der Pokal, der allerdings durch die vorausgegangene Rangelei der beiden Konkurrenten schon etwas verbeult worden war, wechselte den Besitzer.
Die Zahl der Läufer, der Zuschauer und die technische Organisation haben sich seit 1981 zwar erheblich geändert. Geblieben aber ist die Begeisterung der Läuferinnen und Läufer bis heute. Das beginnt schon beim Abholen der Startunterlagen. Ich habe selten so viel freudige Erwartung erlebt wie in dem Augenblick, wenn die Läufer sich den Tischen in der Bietigheimer Sporthalle nähern, wo ihnen ein brauner Briefumschlag mit ihrer Startnummer und einer Handvoll Sicherheitsnadeln überreicht wird.
Seit dem ersten Lauf hat sich übrigens nicht geändert, dass jeder Teilnehmer mit den Startunterlagen eine Silvesterüberraschung in Form eines kleinen Geschenks erhält. Mit dem Startschuss und den ersten hundert Metern an dicht gedrängten Zuschauern vorbei entlädt sich die Spannung der Läufer, die im Starterfeld auf den Beginn des Laufs gewartet haben. Seit der neuen Streckenführung beginnt nach dem Start gleich die Steigung die Schwarzwaldstraße hinauf, was meine Beine in den letzten Jahren immer stärker bemerken. Aber mit etwas Erfahrung geht man diesen Buckel vorsichtig an. Auf der Höhe angekommen kann man erkennen, dass sich das Feld schon auseinander gezogen hat.
An der Wobachbrücke muntert mich seit Jahren der Mediziner aus dem Lauftreff mit einem lateinischen Imperativ zu einem schnelleren Schritt auf. Hundert Meter weiter steht meistens ein Ehepaar aus der Nachbarschaft, das mir ein gutes Neues Jahr wünscht. Die Reihe der freundlichen Zurufe setzt sich fort und treibt mich voran. Daran ändert auch die Stimme eines früheren Kollegen nichts mit dem Satz „Du warst auch schon mal schneller“, auch wenn dies der Wahrheit entspricht.
Die eigentlichen Herausforderungen der Strecke stehen noch bevor, denn hinter der alten Enzbrücke geht es in die Altstadt hinauf. Hier scheinen mir die Anstiege in den letzten Jahren noch steiler geworden zu sein – und sie sind zweimal zu durchlaufen. In der zweiten Runde geht es hinter dem Schwimmbad entlang dem Viadukt entgegen. Von der anderen Seilte der Enz sind nun die Lautsprecher zu hören, die schon den Einlauf der Sieger verkünden, während die meisten Durchschnittsläufer noch einigen Schweiß vergießen werden, bis sie selbst über die Ziellinie gehen werden.
Wenn dann aber die Steigungen der Altstadt erneut überwunden sind und der Turm der Grauen Pferde hinter einem liegt, geht es am Rathaus vorbei die Hauptstraße hinab, wo auch die Läufer der längeren Laufzeiten noch reichlich Beilfall abbekommen. Die Trommler am unteren Tor geben meinen Beinen noch den letzten Schwung, der mich bis ins Ziel trägt.
Auf den letzten hundert Metern reicht es noch zu einem kurzen Spurt. Vielleicht kann ich noch zwei oder drei Vorauslaufende mit letzter Kraft überholen und schon überschreite ich die Ziellinie. Es ist wieder einmal geschafft! Im Ziel nichts wie strahlende Gesichter, auch wenn der Atem noch pfeift und der Schweiß strömt.
Das Jahr hat mit dem Silvesterlauf den schönsten Abschluss gefunden.
In diesem Jahr will ich noch mal dabei sein und die Dreißig voll machen. Im nächsten Jahr werde ich mit etwas Wehmut zuschauen. Man muss wissen, wann man aufhören sollte.
Manfred Sommer, M.A.