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26
01
2011

Die Schattenseite eines Marathons: Der Volksgesundheit diene der Massensport keinesfalls, sagt Simon.

Im Gespräch: Wissenschaftler Perikles Simon – „Ist Sport wirklich gesund?“ Der Mediziner und Molekularbiologe Perikles Simon hat ein Nachweisverfahren für Gendoping entwickelt. Der 37-Jährige forscht und lehrt an der Gutenberg-Universität in Mainz. Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Seit Weihnachten verfügen Sie über ein Labor für molekulare Belastungsphysiologie und sprechen davon, Gendoping-Proben von den Olympischen Spielen 2012 in London auszuwerten. Wollen Sie sich als Doping-Kontrolllabor akkreditieren?

Technisch können wir das bewerkstelligen. Aber es gibt viele Baustellen im Anti-Doping-Kampf. In der Analytik von Peptidhormonen etwa muss man vorankommen, Epo ist immer noch ein Thema, IGF1, der insulinähnliche Wachstumsfaktor, ist akut, Wachstumshormon und Testosteron, über Pflaster appliziert, sind es auch immer noch.

Sie haben Zweifel, dass Gendoping tatsächlich praktiziert wird?

So ist es. Wenn der Nachweis bis 2012 nicht eingeführt wird, hat das weniger technische Gründe. Vielmehr dürften die knappen Resourcen uns zwingen, uns zu optimieren.

Sie haben das Labor nicht eingerichtet, um den Nachweis von Gendoping zu etablieren?

Wir können das leisten. Aber wir wollen in der klinischen Diagnostik weiterkommen, insbesondere in der Tumor- und Leistungsdiagnostik. Chemotherapie ist sehr belastend. Sport ist ein sehr guter Ansatzpunkt, um die Symptome zu lindern.

Und warum Leistungsdiagnostik?

Wir wollen die Belastung in der Krebsnachsorge feiner justieren. Dafür suchen wir nach molekularen Markern, anhand derer wir im Vorfeld feststellen können, ob jemand von einer Sport-Intervention eher profitiert oder ob eine psychosoziale Intervention besser wäre. Ein weiterer Punkt ist, dass wir im Blut nicht nur hochsensitiv Gendoping-Erbsubstanz von natürlicher unterscheiden können, sondern auch Erbsubstanz aus Krebszellen, die anders aussieht als natürliche, gesunde. Bei einer akuten Krebserkrankung ist sie im Blut nachweisbar. Wir wollen versuchen, mit hochsensiblen Verfahren Tumore besser und damit früher zu entdecken.

Verhindert Sporttreiben das Entstehen von Krebs?

In der aktuellen California Teachers Study über Brustkrebs hat man untersucht, wie hoch Rückfallquote und Überlebenschance bei denen sind, die Sport treiben, und bei denen, die es nicht tun. Wer seit je Sport treibt, dem geht es besser. Aber wenn man den Pool derjenigen betrachtet, die früher keinen Sport getrieben hatten und sich durch die Tumorerkrankung dafür entscheiden, stellt sich heraus: Die Zahl der Rückfälle ist genauso hoch wie die derjenigen, die sich entscheiden, nichts zu tun.

Sie leben länger, denn sie sind gegen alle anderen Erkrankungen – Herz-Kreislauf und Diabetes – besser geschützt. Meine Befürchtung ist: Es retten sich überwiegend diejenigen, die ohnehin schon gerettet waren. Wer sich fitter fühlt, treibt nach der Erkrankung eher Sport.

Sport ändert also nichts?

Auch in diese negative Richtung kann man nicht pauschalisieren. Aber wir werden uns kritisch mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob nicht Sport überwiegend diejenigen rettet, die ohnehin schon gesegnet sind. Das wäre eine traurige Erkenntnis: Sport vor allem Ausdruck eines besseren Zustandes.

Aber es ist doch eine Binsenweisheit, dass sportliches Leben gesund ist.

Als Wissenschaftler müssen wir fragen: Ist Sport wirklich gesund, und können wir das belegen? Im Vergleich zu dem Aufwand, den wir treiben, um die Wirkung von Medikamenten zu erforschen, sieht es schlecht aus. Arzneimittelkonzerne investieren dreistellige Millionenbeträge in die Entwicklung eines einzigen Medikaments. Wenn wir so präzise zeigen wollten, ob und wie Sporttherapie wirkt, sollten wir auch einmal vierhundert Millionen Euro in die Hand nehmen.

Es gibt kein einziges Programm auf der Welt, das auch nur annähernd solch eine Summe eingesetzt hätte. Der Kampf für gesunden Sport ist mindestens so rückständig wie der Kampf gegen Doping. Über allem steht die Annahme „Wird schon gesund sein“. Deshalb wird in die Erforschung des Gesundheitssports unverhältnismäßig wenig investiert. In Binsenweisheiten muss man schließlich nicht investieren.

Wann ist Freizeitsport schädlich?

Wenn der Hausarzt einem übergewichtigen Patienten pauschal rät: Mach mal Sport! Stellen Sie sich vor, der fängt daraufhin an zu joggen. Sehr schnell können sich orthopädische Probleme wie Gelenkschäden oder ein kaputter Rücken einstellen. Was der Patient bräuchte, wäre eine gute Anleitung für Sportart, Trainingsumfang und -intensität. Diese gute Anleitung gibt es in der Regel nicht. Deshalb kann sogar das Gegenteil von „Wird schon gesund sein“ richtig sein.

Was ist Ihre Lösung?

Wenn schon Spitzensportler, die ein sehr gutes Gefühl für ihren Körper haben, genaue Anleitung von Trainern und Sportmedizinern brauchen, wie viel wichtiger ist da die Anleitung von Übergewichtigen und Diabetikern. Diese Leute sind oft über Jahre hinweg körperlich inaktiv und haben kein Körpergefühl mehr. Wir müssen sie davor schützen, Sport falsch und ineffektiv zu treiben. Wir müssen ihnen helfen, sich so zu bewegen, dass es ihnen Spaß macht. Sie sollen schließlich selbständig und dauerhaft das tun, was ihnen hilft. Jeder Einzelne braucht den richtigen Sport und die richtige Belastung.

Wollen Sie sagen, dass der Aufbruch in den Breitensport mit „Trimmy“ und Mitmach-Angeboten unspezifisch und schädlich war?

Mich würden die negativen Nebeneffekten interessieren, die so etwas provoziert. Ein Marathonlauf ist nichts, was die Volksgesundheit fördert, im Gegenteil. Ein Drittel aller Teilnehmer taucht Studien zufolge anschließend beim orthopädischen Facharzt auf, um sich behandeln zu lassen. Das sind bei der Zahl von Marathonläufern in Deutschland – 100.000 bis 150.000 – beachtliche Kosten.

Was sollen da Pauschalaussagen wie Trimm Dich! Just Do it! Du kannst es schaffen! Nach Paracelsus gibt es kein Ding, das nicht auch toxisch wird. Und die giftige Dosis von Sport ist für jemanden, der keinen begnadeten Körper hat, sondern zwanzig Jahre im Sessel verbracht hat, ziemlich niedrig. Hier liegt eine Riesenaufgabe für den Sport, sich in der Primärprävention zu engagieren.

Die Fragen stellte Michael Reinsch. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Dienstag, dem 25. Januar 2011

author: GRR

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