Spannung kam im Rennen der Männer erst auf, als Mutai seinen Konkurrenten souverän davonlief.
Einen Schritt voraus – Mary Keitany und Emmanuel Mutai aus Kenia gewinnen den London-Marathon. Mutai verpasst in 2:04:37 Stunden knapp den angepeilten Weltrekord des Äthiopiers Haile Gebrselassie. Keitany läuft das drittschnellste Rennen aller Zeiten.
Noch haben die Weltrekorde im Marathon dem Ansturm der neuen Läufergeneration standgehalten. Doch die beiden Überraschungssieger des London-Marathons am Sonntag, Mary Keitany und Emmanuel Mutai aus Kenia, bewiesen an der Spitze von 35.000 Teilnehmern mit ganz erstaunlichen Zeiten, dass die phantastisch erscheinenden Bestzeiten von Paula Radcliffe und Haile Gebrselassie gefährdet sind.
Die 29-jährige Mary Keitany siegte mit einem Solo über die zweite Hälfte der Strecke in 2:19:19 Stunden vor der russischen Vorjahressiegerin Liljana Schobukowa (2:20:15); nur drei Marathonläuferinnen waren je schneller als sie. Die Britin Paula Radcliffe lief den Rekord von 2:15:25 Stunden vor acht Jahren in London mit der Unterstützung von zwei männlichen Tempomachern; weder vorher noch seitdem hat das Reglement in London diese Hilfe zugelassen.
Der 26 Jahre alte Mutai hatte ebenfalls bereits einen Ruf in der Welt des Marathons: als gerngesehener Zweiter. Bei der Weltmeisterschaft von Berlin 2009 gewann er die Silbermedaille, bei den Marathonläufen von London und New York im vergangenen Jahr kam er ebenfalls jeweils auf Platz zwei. Nun setzte er sich mit einem Angriff weit vor dem Ziel durch und siegte in 2:04:40 Stunden. Bei dem scheinbar mühelosen Lauf unterbot er seine eigene Bestzeit um knapp eineinhalb Minuten. Mit seinem Sieg erreichte er die fünftbeste Zeit, die je auf der 42,195 Kilometer langen Strecke gelaufen wurde. Schneller als er waren bisher nur der Äthiopier Haile Gebrselassie 2007 und 2008 in Berlin, wo er den Weltrekord auf 2:03:59 Stunden steigerte, sowie die beiden Kenianer Kirong und Kwambai bei ihrem überraschenden Doppelsieg von Rotterdam 2009.
155.000 Dollar für Sieg und Streckenrekord
Das perfekte Wetter und die Siegprämien müssen es gewesen sein, die den beiden Siegern am Sonntag Beine machten. Zusätzlich zu 55.000 Dollar Siegprämie erhält Mary Keitany 75.000 Dollar Bonus für ihren Streckenrekord; Mutai wird für Sieg und Streckenrekord sogar mit 155.000 Dollar belohnt – beide bekommen das Geld zusätzlich zu ihrem Antrittsgeld.
Mary Keitany lief bis zur Hälfte des Rennens beherrscht in der Spitzengruppe hinter einer Tempomacherin. „Marathon ist hart“, habe sie bei ihrem Debüt in New York im vergangenen Jahr gelernt, erzählte sie in London. „Man muss hart dafür trainieren.“ Bei ihrem Triumph am Sonntag unterbot sie die Zeit ihres New Yorker Debüts um zehn Minuten. Die kleine Kenianerin ist keine Unbekannte: 2007 machte sie sich als Zweite der Halbmarathon-Weltmeisterschaft in Udine bekannt.
2008 wurde sie Mutter und kehrte im Jahr darauf zurück, diesmal als Siegerin der Halbmarathon-WM. Im Januar dieses Jahres verbesserte sie in Ras Al Khaimah in den Vereinigen Arabischen Emiraten den Weltrekord im Halbmarathon um 35 Sekunden auf 1:05:50 Stunden. In Berlin unterbot sie 2010 den Weltrekord über 25 Kilometer um mehr als 90 Sekunden; er steht seitdem bei 1:19:53 Stunden.
Irina Mikitenko jubelte über Platz sieben
Die Halbmarathonzeit von London – 1:10:37 Stunden – mag ihr recht gemütlich erschienen sein, obwohl nur wenige der Favoritinnen bis dahin an der Spitze mithielten. Auf eine Tempoverschärfung von Liljana Schobukowa reagierte Mary Keitany jedenfalls mit einer Attacke – und lief die zweite Hälfte nicht nur allein an der Spitze, sondern auch noch schneller als die erste: in 1:08:40 Stunden. Dritte wurde die Kenianerin Edna Kiplagat (2:20:46). Die zweimalige Siegerin Irina Mikitenko (Gelnhausen), die wieder im deutschen Nationaltrikot lief, kam in 2:24:24 Stunden auf Platz sieben; sie jubelte im Ziel. Sie hatte die Spitzengruppe früh ziehen lassen, ihr Tempo aber beibehalten. Sie war glücklich, dass sie, im Gegensatz zum vergangenen Jahr, durchkam.
Spannung kam im Rennen der Männer erst auf, als Mutai seinen Konkurrenten souverän davonlief. Zunächst hatte der kurzfristig von einer langen Verletzungspause zurückgekehrte Martin Lel als Einziger folgen können. Dann holte Patrick Makau ihn, den dreimaligen Sieger von London und zweimaligen Triumphator von New York, ein und ging an ihm vorbei. Als Lel geschlagen schien, weniger als fünfzig Meter vor dem Ziel, zog er einen Spurt an, dem Makau nichts entgegenzusetzen hatte.
In 2:05:45 wurden die beiden Zweiter und Dritter. Vorjahressieger Tsegaye Kebede aus Äthiopien, der sich in Zeitungsinterviews als stark genug für den Weltrekord eingeschätzt hatte, war nach 2:07:48 Stunden im Ziel, als Fünfter.
Auch Europameister Viktor Röthlin aus der Schweiz konnte seine Erwartungen nicht erfüllen, 2:10:00 Stunden und den Europarekord zu unterbieten. Immerhin qualifizierte er sich in 2:12:43 Stunden jetzt schon für die Olympischen Spiele 2012; er wurde Elfter.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sonntag, dem 17. April 2011
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