Geoffrey Mutai läuft Sensationszeit – aber keinen Weltrekord in Boston
Einen Tag nach den Weltspitzenzeiten beim London-Marathon übertrumpfte das zweite World Marathon Majors-Rennen des Frühjahres die Ergebnisse des Sonntags noch: Beim 115. Boston-Marathon stürmte Geoffrey Mutai (Kenia), der nicht verwandt ist mit dem London-Sieger Emmanuel Mutai, zur schnellsten je gelaufenen Zeit über die klassischen 42,195 km. Dass er auf der nicht leicht zu laufenden Bostoner Strecke nach 2:03:02 Stunden im Ziel war, ist eine Sensation – auch wenn der Rückenwind am Montag sicherlich hilfreich war.
Damit unterbot der Kenianer den Weltrekord des Äthiopiers Haile Gebrselassie, der 2008 in Berlin 2:03:59 gelaufen war, gleich um 57 Sekunden. Allerdings heißt der Weltrekordler weiterhin Haile Gebrselassie, denn die Strecke in Boston erfüllt nicht jene Kriterien, die für die Anerkennung eines Weltrekordes nötig sind. Das jedoch mindert nicht die enorme Leistung, die Geoffrey Mutai an der US-Ostküste vollbrachte.
Ebenso wenig die seines nur vier Sekunden hinter ihm ins Ziel kommenden Landsmannes Moses Mosop. In seinem Marathon-Debüt (!) rannte er die zweitschnellste je gelaufene Zeit von 2:03:06. Die Ergebnisse der beiden Kenianer zeigen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, wann der Weltrekord auch offiziell fällt. Eine Reihe von Kenianern haben das Vermögen, bei einem der schnellen Herbstmarathonrennen, zum Beispiel in Berlin, Chicago oder sogar Frankfurt und Amsterdam, Weltrekord zu laufen.
Während der Äthiopier Gebre Gebremariam in Boston mit 2:04:53 Stunden Dritter wurde, verbesserte sich Ryan Hall (USA) als Vierter auf 2:04:58. Das ist die schnellste je gelaufene Zeit eines Amerikaners. Doch auch der US-Verband erkennt das Ergebnis nicht als Rekord an. So bleibt der aus Marokko stammende Khalid Khannouchi, der in London 2002 mit 2:05:38 einen Weltrekord aufgestellt hatte, der US-Rekordler. Auf den Rängen fünf und sechs folgten in Boston Abreham Cherkos (Äthiopien/2:06:13) und der Titelverteidiger Robert Kiprono Cheruiyot (Kenia), der nach 2:06:43 im Ziel war.
In Boston herrschten am Montag ideale Wetterbedingungen. Zur Startzeit betrug die Temperatur rund 10 Grad Celsius, mittags waren es 16 Grad. Bei Sonne profitierten die Läufer auf der Punkt-zu-Punkt-Strecke von Hopkinton nach Boston von einem eher seltenen Rückenwind. Bei diesen Bedingungen liefen auch die Frauen Topzeiten. Dabei gab es zum wiederholten Mal in Boston eine Spurtentscheidung um den Sieg und die damit verbundene 150.000-Dollar-Prämie. Caroline Kilel (Kenia) setzte sich schließlich in 2:22:36 Stunden mit nur zwei Sekunden Vorsprung vor Desiree Davila (USA) durch. Dritte wurde mit nur sechs Sekunden Abstand zur Siegerin Sharon Cherop (Kenia/2:22:42). Ihr folgten Caroline Rotich (Kenia/2:24:26), Kara Goucher (USA/2:24:52) und Dire Tune (Äthiopien/2:25:08).
Die Bostoner Ergebnisse können aus zweierlei Gründen nicht als Rekorde anerkannt werden. Als vor rund zehn Jahren der internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) Rekorde in den Straßenläufen erstmals offiziell anerkannte, wurden in Zusammenarbeit mit der Association of International Marathons and Distance Races (AIMS) unter anderem Streckenkriterien aufgestellt. Ohne deren Erfüllung finden entsprechende Ergebnisse keinen Eingang in die Rekordlisten. So dürfen Strecken bei Straßenläufen nicht mehr als einen Meter pro Kilometer abfallen. Im Marathon wären dies also maximal 42 Meter. Die Bostoner Strecke hat ein Gefälle von 139 Metern. Ohne Zweifel ist sie aufgrund diverser Hügel trotzdem schwer zu laufen. Das zweite entscheidende Kriterium ist die Entfernung zwischen Start und Ziel. Diese darf maximal 50 Prozent der Streckenlänge betragen. In Boston sind Start und Ziel jedoch deutlich weiter als 21,0975 km voneinander entfernt. Durch derartige Punkt-zu-Punkt-Kurse können Läufer, wie am Montag in Boston, von Rückenwind profitieren.
Das Rennen der Männer
Als im vergangenen Jahr Robert Kiprono Cheruiyot in Boston eine Zeit von unter 2:06 Stunden erreichte, galt dies bereits als Sensation angesichts der hügeligen Strecke. Nach 2:05:52 war Cheruiyot damals im Ziel und hatte den Kursrekord um deutlich über eine Minute verbessert. Auch am Montag mischte der Kenianer lange Zeit vorne mit und bestimmte immer wieder das Tempo. Ebenfalls sehr aktiv an der Spitze war Ryan Hall, der für einen sehr schnellen Rennbeginn gesorgt hatte. Nach 14:29 Minuten erreichte er ein paar Schritte vor der Gruppe hinter ihm die 5-km-Marke. Auch die folgenden Zwischenzeiten der Spitzengruppe bewegten sich alle in einem Bereich unter der Weltrekordzeit von Haile Gebrselassie. Nach 61:57 Minuten war die erste Hälfte gelaufen – an der Spitze der zehnköpfigen Führungsgruppe rannten wieder Hall und Cheruiyot. Die beiden hatten sicherlich großen Anteil daran, dass das Rennen derart schnell wurde. Doch wahrscheinlich verloren sie beim Kampf um den Sieg dabei auch einige Kräfte.
Bis zur 25-km-Marke verloren Hall und Cheruiyot dann jeweils rund zehn Sekunden zur Spitzengruppe, die diese Marke in 1:13:16 Stunden erreichte. Während der Kenianer in der Folge weiter zurückfiel, schaffte Hall überraschend noch einmal den Anschluss im hügeligen Teil des Kurses. Bei Kilometer 30 – hier lag die Zwischenzeit mit 1:28:23 erstmals etwas außerhalb der Weltrekordzeit von Gebrselassie – war der Amerikaner wieder ganz vorne in der achtköpfigen Spitzengruppe.
Auf den folgenden Kilometern, im Bereich des berüchtigten Heartbreak Hill, fiel eine Vorentscheidung. Nun war es Geoffrey Mutai, der die Initiative ergriff, so dass die Gruppe auseinander fiel. An der 35-km-Marke führte er in 1:42:35 mit sechs Sekunden Vorsprung vor Moses Mosop. Der auf Rang drei folgende Gebre Gebremariam lag hier bereits 34 Sekunden zurück. Nun war auch Ryan Hall (1:43:29) endgültig geschlagen.
Obwohl Geoffrey Mutai das Tempo an der Spitze hoch hielt und den 40-km-Punkt nach 1:56:48 Stunden erreichte, hatte Moses Mosop die Lücke zu Mutai wieder schließen können. Mit Kilometerzeiten von rund 2:50 Minuten waren die beiden, sicherlich auch unterstützt vom Wind, unter anderen über den Heartbreak Hill und von Kilometer 30 zu 40 gestürmt. Am Ende hatte Geoffrey Mutai das etwas bessere Stehvermögen, sicherte sich Prämien in Höhe von 225.000 Dollar und gewann vor Moses Mosop, der das mit Abstand schnellste Marathondebüt lief. Die beste Debützeit hatte zuvor der Kenianer Evans Rutto 2003 bei seinem Chicago-Sieg mit 2:05:50 Stunden erreicht.
Der 29-jährige Geoffrey Mutai hatte im vergangenen Jahr bewiesen, dass er in der Lage ist, an den Weltrekord von Haile Gebrselassie heranzukommen. Er belegte in Rotterdam und Berlin jeweils knapp hinter seinem Landsmann Patrick Makau den zweiten Platz und steigerte sich dabei bei weniger guten Wetterbedingungen auf 2:04:55 Stunden.
Das Rennen der Frauen
Fast 30 Kilometer lang lief Kim Smith (Neuseeland) im mit Vorsprung vor den Männern gestarteten Frauen-Eliterennen alleine an der Spitze in Richtung Boston. Nachdem sie die Halbmarathonmarke in 70:52 Minuten passiert hatte, betrug ihr Vorsprung in der Folge bereits knapp eine Minute. Doch dann verlor sie diesen binnen weniger Kilometer, was offenbar mit einem Muskelproblem zu tun hatte. Noch vor der 30-km-Marke (1:41:49 Stunden) wurde sie von der sechsköpfigen Verfolgergruppe eingeholt und gab das Rennen wenig später auf.
Es war dann überraschend Desiree Davila (USA), die sich an die Spitze setzte. Nur zwei konnten ihr auf Dauer folgen: Caroline Kilel, die im vergangenen Jahr den Frankfurt-Marathon in der Kursrekordzeit von 2:23:25 gewonnen hatte, und Sharon Cherop. Doch es reichte am Ende nicht ganz für Desiree Davila, die mit einer Bestzeit von 2:26:20 ins Rennen gegangen war. Sie verpasste den ersten Boston-Sieg einer US-Läuferin seit Lisa Weidenbach 1985 um nur zwei Sekunden. Caroline Kilel war im Endspurt etwas stärker als Desiree Davila.
race-news-service.com
Leading Results:
MEN –
1. Geoffrey Mutai, KEN, 2:03:02
2. Moses Mosop, KEN, 2:03:06
3. Gebre Gebremariam, ETH, 2:04:53
4. Ryan Hall, USA, 2:04:58
5. Abreham Cherkos, ETH, 2:06:13
6. Robert Kiprono Cheruiyot, KEN, 2:06:43
7. Philip Kimutai Sanga, KEN, 2:07:10
8. Deressa Chimsa, ETH, 2:07:39
WOMEN –
1. Caroline Cheptonui Kilel, KEN, 2:22:36
2. Desiree Davila, USA, 2:22:38
3. Sharon Cherop, KEN, 2:22:42
4. Caroline Rotich, KEN, 2:24:26
5. Kara Goucher, USA, 2:24:52
6. Dire Tune, ETH, 2:25:08
7. Werknesh Kidane, ETH, 2:26:15
8. Yolanda Caballero, COL, 2:26:17