Blog
07
08
2011

Schwimmer Axel Mitbauer - Eine Flucht und ihr bleibendes Bild. In einer Ausstellung in Berlin wird DDR-Spitzensportler Axel Mitbauer porträtiert und interviewt. Er schwamm einst durch die Ostsee. ©Laura Soria

Sportverräter – Diplomaten auf der Flucht – Klaus Weise im Tagesspiegel

By GRR 0

Er wurde angefeindet. „Läuft für Adenauer“. Und unter Druck gesetzt. „Du musst dich bekennen!“ So hat er es kürzlich erzählt. Manfred Steinbach, Weltklasse-Leichtathlet, der als erster Deutscher über acht Meter weit sprang, war beim SC Wissenschaft Halle aktiv, ehe er 1958 halb legal mit einem eigens für Sportler ausgestellten Reisepass in den Westteil Berlins floh. Auf seine Flucht folgten Schauprozesse stalinistischer Art, sein Trainer Walter Richter musste zwei Jahre und acht Monate ins Gefängnis.

Steinbachs Schicksal ist eines von vielen im Sport. Bis 1989 wechselten 600 Athletinnen und Athleten vom Osten in den Westen Deutschlands, was der um Reputation durch Medaillen bemühten DDR besonders wehtat.

Schließlich hatte sie ihre Sportler zu „Diplomaten im Trainingsanzug“ erhoben. Diese Inanspruchnahme für eigene ideologische Zwecke vor allem war es, die manchen Athleten missfiel. Sie wollten einfach nur ihren Sport machen.

Heute, 50 Jahre nach dem Mauerbau, erzählen die Athleten offen von ihren Schicksalen. In Berlin eröffnet heute eine Ausstellung über ihre unterschiedlichen Lebenswege gen Westen. Gemeinsam ist ihnen, dass man aus ihren Geschichten lernen kann, wie die DDR mit unangepassten Sportlern umging.
 
    Falko Götz, Fußballer, geflohen 1983: "Meine Mutter wurde 16 Stunden verhört, um sie weich zu kochen. Ich saß im Westen und konnte nichts dagegen tun. Und – doch ich konnte was tun, nämlich meine Karriere ernst nehmen. Ich wollte ein bekannter Bundesligaspieler werden, um meine Eltern stolz zu machen." 
    Karin Balzer, Leichtathletin, geflohen 1958: "Nach der Wende habe ich natürlich auch meine Stasiakte öffnen lassen. Und war doch ganz schön entsetzt, dass so viele IM auf mich angesetzt waren, unvorstellbar. Das ist hart und bitter, dass man einfach als Staat auch nicht verzeihen konnte." Quelle:
    Peter Kotte, Fußballer, verhaftet 1981: "Mir wurde erklärt, dass ich keine Oberliga mehr spielen darf, keine DDR-Liga, nur noch Bezirksliga. Eine Welt brach für mich zusammen, weil ich mit Leib und Seele Fußballer war." Quelle:
    Ines Geipel, Leichtathletin, geflohen 1989: "Durch den Sport habe ich die Welt wirklich sehen können und auf Grund dieser Welt hinter der DDR war ich nicht mehr einzutakten. Der Weg zur Flucht war eigentlich in meinen Augen ziemlich zwangsläufig." Quelle:
    Frank Hoffmeister, Schwimmer, geflohen 1984: "Im Westen, bei der SG Wattenscheid, habe ich das wiederentdeckt, was ich doch immer so geliebt hatte an meinem Sport und was mir in der DDR durch die ganzen Pillen und die ganzen Verweise, die harten Ansagen abhanden gekommen war". Quelle:
    Jürgen Kissner, Radsportler, geflohen 1964: "Nach meiner Flucht hat die Stasi nachts meine Eltern zu Hause abgefangen. Sie wurden sofort getrennt, und meinem Vater wurde mitgeteilt: Mit ihrem Sohn ist etwas Fürchterliches passiert. Ja, was denn, ist er tot? Nein, es ist schlimmer, er ist abgehauen." Quelle:
    Axel Mitbauer, Schwimmer, geflohen 1969: "In der Nacht vom 17. auf den 18. August begann der Wettkampf meines Lebens. Ich schwamm mitten in der Nacht durch die Ostsee – und konnte mich nur an den Sternen orientieren."   

Renate Bauer, Schwimmerin, geflohen 1979: "Nach den Olympischen Spielen 1972 wurde das Training massiv intensiviert, es gab Medikamente und Spritzen. Man hat viel herum experimentiert. Wir waren Versuchskaninchen." 

Bei Schwimmer Axel Mitbauer, zweifacher DDR-Meister, war ein halb legaler Wechsel gen Westen nicht mehr möglich, die Mauer stand schon. Nach einem gescheiterten Fluchtplan saß er mehrere Wochen bei der Stasi ein. Dunkelzelle, Einzelhaft, „das volle Programm“, sagt er lakonisch. Wieder „in Freiheit“, waren die Olympischen Spiele 1968, von denen er geträumt hatte, vorbei.

Nach Entdeckung des Fluchtplans hatte er ohnehin lebenslanges Startverbot erhalten. „Damit war mein Leben in der DDR zu Ende, denn mein Leben war und ist das Schwimmen.“ So schwamm er im August 1969 22 Kilometer durch die Ostsee, um bei einer Ruhepause auf einer Leuchtboje in der Lübecker Bucht von einer Fähre aufgenommen zu werden. Er feierte es als seinen zweiten Geburtstag. „An dem Tag habe ich für mich die Mauer eingerissen.“

Die Flucht von Sportlern hatte viele Gesichter und Geschichten, manche stellten auch Ausreiseanträge. „Nichts hat die DDR mehr geprägt als die Mauer“, sagt Jutta Braun vom Zentrum deutsche Sportgeschichte. „Und der Sport war ein höchst sensibles Thema für die DDR-Führung.“ Braun zitiert gern eine Aussage von DDR-Sportchef Manfred Ewald vom Anfang der 80er Jahre: 30 Goldmedaillen würden nichts nützen, „wenn nur einer abhaut“.
 
Denn dann würde die Westpresse über nichts anderes schreiben. Um dies zu verhindern, arbeitete die DDR einerseits mit Privilegien, andererseits mit Bespitzelung und Repression. „Die politische Justiz gegen DDR-Sportler war weiter verbreitet, als man denkt“, stellt Braun fest.

Mitbauers Flucht war in dieser Hinsicht eine Zäsur. „Von da an wurden alle Verbindungen von DDR-Leistungssportlern gen Westen lückenlos überwacht und registriert“, erzählt Forscherin Braun. Als gefährlich seien „Republikfluchten“ von Sportlern vor allem wegen möglicher Dopingenthüllungen angesehen worden.

In Mielkes Überwachungsapparat hatte der „Zentrale Operative Vorgang“ der Athletenbespitzelung einen bezeichnenden Namen: „Sportverräter.“ So heißt nun auch die Ausstellung über die Sportler, die ihren eigenen Weg gehen wollten.

Klaus Weise im Tagesspiegel,  Freitag, dem 22. Juli 2011

 

 Der Tagesspiegel präsentiert Erinnerungsschau

Im Willy-Brandt-Haus (Wilhelmstraße 140, Berlin- Kreuzberg) präsentiert ab Freitag bis zum 28. August (Di-So, 12-18 Uhr) das Zentrum deutsche Sportgeschichte in Kooperation mit dem Tagesspiegel die Ausstellung „Sportverräter – Spitzenathleten auf der Flucht“.

Anlässlich des 50. Jahrestags des Mauerbaus werden 15 Beispiele der Republikflucht im Sport beleuchtet. Jeder der 15 Protagonisten wurde von der mexikanischen Künstlerin Laura Soria interviewt und gefilmt. Diese Interviews (auch mit englischen und spanischen Untertiteln verfügbar) sind ebenso Teil der Ausstellung wie auch alte Stasi-Dokumente und zeitgenössische Zeitungsberichte.

Die Flüchtigen machten auf ganz unterschiedliche Weise rüber und erzählen nun davon. Soria begreift ihre Videoinstallation als Reflexionsraum. Es geht der Künstlerin um den Moment des Erinnerns.

Der Mensch, sagt sie, sei heutzutage verloren in einem Meer aus Informationen und würde dadurch den Kontakt zu seiner eigenen Geschichte verlieren. Durch die Interviews auf den 15 Leinwänden bringt sie dem Publikum die Geschichten wieder auf eine alte, neue Art näher. (Tsp)

 

Sportverräter

www.zentrum-deutsche-sportgeschichte.de

 

Willy-Brandt-Haus

 

Wilhelmstraße 140 / Stresemannstraße 28
10963 Berlin-Kreuzberg
phone 49 (30) 25993-700
fax 49 (30) 25993-720
email info(at)vbb-wbh.de
internet www.willy-brandt-haus.de

Subway
lines U1 or U6, station “Hallesches Tor“
line U7 station “Möckernbrücke“

S-Train
lines S1 or S2, station “Anhalter Bahnhof“

Bus
line M41 Willy-Brandt-Haus

Opening Hours:

Tuesdays through Sundays 12 p.m.-6 p.m.
Mondays closed
Admission is free
Please bring your passport, identity card, or driver´s license

author: GRR

Comment
0

Leave a reply