Ein einziger Sprung fehlte Björn Otto noch, dann hätte er alle überflügelt. Das war 2007 bei den Weltmeisterschaften in Osaka. Der Stabhochspringer hatte es selbst in Händen und Beinen, den Titel zu gewinnen. Alle anderen hatten ihren letzten Versuch schon gemacht. Doch Otto riss in seinem letzten Versuch 5,91 Meter und wurde anstatt Weltmeister Fünfter. ©EAA - European Athletics
Anlage nicht vermessen – Björn Ottos WM-Start in Gefahr – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel – Pannen in der Leichtathletik: Da hilft nur ein neuer Anlauf
Berlin – Ein einziger Sprung fehlte Björn Otto noch, dann hätte er alle überflügelt. Das war 2007 bei den Weltmeisterschaften in Osaka. Der Stabhochspringer hatte es selbst in Händen und Beinen, den Titel zu gewinnen. Alle anderen hatten ihren letzten Versuch schon gemacht. Doch Otto riss in seinem letzten Versuch 5,91 Meter und wurde anstatt Weltmeister Fünfter.
Jetzt, mit 33 Jahren, möchte er noch einmal zur WM. Gut genug ist er, denn er hat in der vergangenen Woche in Landau 5,80 Meter überquert. Nur leider war die Veranstaltung nicht gut genug. Der Anlaufsteg auf dem Obertorplatz in Landau war nicht optisch ausgemessen, als Qualifikationssprung für die WM ist Ottos Sprung damit wertlos.
Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) gab diesen Fehler am selben Tag bekannt, als eine andere Athletin noch durch die Hintertür zur WM durchgelassen wurde, die Ende August in Daegu, Südkorea, stattfindet. Die Geherin Sabine Krantz aus Potsdam darf nun doch mit einer Ausnahmegenehmigung des Internationalen Leichtathletik-Verbandes (IAAF) starten. Auch sie hatte die Qualifikationsnorm geschafft, doch der DLV hatte vergessen, diesen Wettbewerb als Qualifikationswettkampf anzumelden.
IAAF-Councilmitglied Helmut Digel hatte noch vor einigen Tagen einen Start von Sabine Krantz ausgeschlossen. Es gebe mehrere vergleichbare Fälle und eine Ausnahme würde viele andere Ausnahmen nach sich ziehen, was eine Aufweichung der Qualifikationsregeln zur Folge haben könnte. Doch die Verbandsspitze entschied sich anders. „Ich hatte IAAF-Präsident Lamine Diack einen Brief geschrieben, in dem ich auf die besondere Situation aufmerksam gemacht habe“, sagt DLV-Präsident Clemens Prokop.
Am Mittwoch erhielt er nun eine Antwort von IAAF-Generalsekretär Pierre Weiss: Krantz darf in Südkorea starten. „Ausnahmen müssen Ausnahmen bleiben, sonst brauchen wir keine Regeln mehr“, sagt Prokop, „aber es hat mich für Sabine Krantz besonders gefreut, weil eine WM für sie als Geherin eine der wenigen Möglichkeiten ist, um sich zu präsentieren.“
Nun könnte Prokop gleich den nächsten Brief an die IAAF aufsetzen. Denn auch Björn Otto hat eigentlich die geforderte Qualifikationsleistung für die WM erbracht. Doch in seinem Fall ist Prokop nicht so optimistisch. „Es gibt hier einen kleinen Unterschied. Im Fall von Björn Otto ist eine Regel nicht eingehalten worden.“ Die Regel, nach der die Wettkampfanlage auf bestimmte Weise geprüft werden muss, um zum Beispiel ein Gefälle beim Anlauf auszuschließen. In Landau wäre das besonders relevant gewesen, weil das Meeting auf einem öffentlichen Platz stattfand und nicht im Stadion. So wie auch an diesem Freitag Stabhochspringer und Weitspringer am Brandenburger Tor anlaufen werden, beim Länderkampf „Berlin fliegt“, den der DLV erstmals veranstaltet.
Bleibt die Frage, wie es zu diesem Versäumnis kommen konnte. „Uns wurde vom Verband nicht mitgeteilt, dass der Anlauf per Laser geprüft werden muss“, sagt Dennis Schober, der Abteilungsleiter Leichtathletik des veranstaltenden Turnvereins Landau. Die Anforderungen seien beim Pfälzer Leichtathletikverband liegen geblieben und den Landauer Veranstaltern dadurch nicht rechtzeitig zugestellt worden. „Es war ein verwaltungstechnischer Fehler“, sagt Schober.
Bundestrainer Herbert Czingon, der auch Stabhochspringer trainiert, sagt: „Der Schwarze Peter liegt beim Veranstalter. Die Regel ist eindeutig, wie die Anlage beschaffen sein muss.“ Der Anlauf in Landau weise sogar eine Steigung von 35 Zentimetern auf. „Die Sache ist aber insgesamt sehr unglücklich gelaufen. Wenn der DLV früher informiert worden wäre, hätte er bestimmt einen Beobachter geschickt“, sagt Czingon. Der hätte die Veranstalter nochmal auf die Regeln aufmerksam machen können – und Björn Otto wäre zur WM gesprungen.
Otto muss sich jedoch noch einmal neu qualifizieren. Seine letzte Chance bekommt er am Samstag in Mannheim. „Eine gute Anlage, auf der schon viele Athleten persönliche Bestleistung aufgestellt haben“, sagt Czingon. Sonst müsste Otto darauf hoffen, dass DLV-Präsident Prokop mit seinem Einspruch so viel Erfolg haben wird wie im Fall der Geherin Krantz.
Prokop sagt allerdings: „Die Erfolgsaussichten für eine Ausnahmegenehmigung sind durch die Entscheidung für Sabine Krantz nicht höher geworden.“
Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Donnerstag, dem 11. August 2011
Der Kommentar – Pannen in der Leichtathletik: Da hilft nur ein neuer Anlauf
Schon wieder muss ein Athlet um seine WM-Teilnahme bangen, weil Funktionäre etwas versäumt haben. Doch Friedhard Teuffel findet, dass es zur Genauigkeit in der Leichtathletik keine Alternative gibt.
Von der Leichtathletik wird ja viel verlangt. Spannend soll sie sein, spektakulär und so sauber wie möglich. Etwas vergessen? Ach ja, sie muss genau sein. Es scheint, als würde das gerade in der sonst so gründlichen deutschen Leichtathletik nicht mehr so viel gelten. Erst vergaß der Verband, einen Wettkampf anzumelden, was die Geherin Sabine Krantz erst auf einem Umweg die WM-Qualifikation brachte. Jetzt stellt sich heraus, dass bei einem Stabhochsprung-Meeting in Landau der Anlaufsteg nicht vermessen war, und wieder ein Athlet, Björn Otto, um seine WM-Teilnahme bangen muss.
Die Pflicht zur Genauigkeit kann ziemlich anstrengend sein.
Die Leichtathletik wird dadurch überladen mit Regeln und Zahlen. Aber eine Alternative dazu gibt es nicht. Sonst könnte ja in Stadion A der 100-Meter-Lauf schon nach 95 vorbei sein und in Stadion B der Anlauf zur Weitsprunggrube Gefälle haben. Die Vergleichbarkeit wäre dahin. Aufwändiger wird es noch dadurch, dass die Leichtathletik aus dem Stadion hinaus auf öffentliche Plätze strebt – wie eben in Landau.
Björn Otto hilft das nicht weiter. Es ist unwahrscheinlich, dass er einen Vorteil durch einen regelwidrigen Anlauf hatte. Doch es wurde eben nicht überprüft. Fast genauso unwahrscheinlich scheint, dass der internationale Verband ihn aufgrund dieser Leistung starten lässt. Ihm bleibt nur die Chance, es noch einmal zu versuchen. Mit dem Selbstbewusstsein, hoch genug springen zu können.
Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Donnerstag, dem 11. August 2011