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13
08
2011

Grenzgänger am Berliner Strafraum. Herthas Stürmer Klaus Taube, hier im Mai 1961, wurde über Nacht von seinem Klub getrennt – für fast drei Jahrzehnte. ©Zentrum deutsche Sportgeschichte Berlin-Brandenburg e.V. (ZdS)

50 Jahre Mauerbau am 13. August 1961 in Berlin – Herthas Punkte-Teilung – Ein Beispiel für die Teilung des Berliner Sports. Jutta Braun und René Wiese vom Zentrum für Deutsche Sportgeschichte berichten im Tagesspiegel

By GRR 0

Heute vor 50 Jahren wurde in Berlin die Mauer gebaut – für 28 Jahre trennte die Mauer das Leben in Berlin und in Deutschland. Der Sport litt unter dieser Trennung ebenso, wie das allgemeine Leben. Wir übernehmen einen Beitrag aus dem Tagesspiegel von Jutta Braun und René Wiese vom Zentrum für Deutsche Sportgeschichte als ein Beispiel für diese unselige Teilung.

 

Am 13. August 1961 wollen die Berliner spielen, doch die Mauer wird gebaut. Ticketverkäufer aus dem Osten fehlen ebenso wie Mittelstürmer Klaus Taube

Auf dem Wacker-Platz in Reinickendorf herrscht am 13. August 1961 große Unruhe. Überall fehlen Ordner, auch die Straßenhändler aus Ost-Berlin, die sonst das „Berliner Fußball-Programm“ verkaufen, sind nicht auffindbar. Es ist schon kurz nach eins, und auch die Mannschaft von Hertha BSC, die hier zum Meisterschaftsspiel gegen Wacker 04 antritt, ist nicht vollzählig. Alle warten auf Mittelstürmer Klaus Taube. Die fußballerischen Fähigkeiten des Ost-Berliners, der seit 1951 für Hertha kickt, sind gegen Wacker 04 besonders gefragt. Mit seiner Schnelligkeit und Gewandtheit soll er die starke Abwehr der Gastgeber knacken.

Der 1935 in Breslau geborene Klaus Taube verbrachte seine Kindheit in Ost-Berlin.

Als er 1949 eine Lehrstelle bei AEG im Westteil der Stadt antritt, macht der Jugendfußballer vom VfB Friedrichshain erste Erfahrungen mit dem Grenzgänger-Alltag in der geteilten Stadt. Er will auch im Westen Fußball spielen. Viele Talente träumen wie er davon, als Vertragsspieler West-Berliner Meister zu werden und dann im Olympiastadion um die deutsche Meisterschaft zu spielen. Der DDR-Bürger Klaus Taube wird 1951 Mitglied bei Hertha BSC und gehört schon ein Jahr später zur ersten Mannschaft.

Hertha BSC versucht trotz der Teilung, für seine Ost-Berliner Anhänger und Mitglieder offen zu bleiben. In Scharen strömen die Zuschauer aus dem benachbarten Prenzlauer Berg regelmäßig auf den Hertha-Platz „Plumpe“ am Gesundbrunnen, sie drängen sich an die „Ostmark-Kassen“ des Stadions. Da helfen auch die Spiele des Armeevereins Vorwärts Berlin im benachbarten Jahn-Sportpark in Ost-Berlin wenig, die die DDR-Funktionäre parallel ansetzen. Vor allem wird Hertha, beheimatet unmittelbar an der Sektorengrenze, zum Auffangbecken von geflüchteten Fußballern und Sportgrenzgängern. Es winken Einkünfte in Westmark und attraktive Reisen mit der Stadtauswahl West-Berlins. Das kann der damals noch leistungsschwache und politisch isolierte DDR-Fußball nicht bieten. Auch deshalb schließt sich Taube der Hertha an.

Die Karriere des schnellen Stürmers entwickelt sich rasant: Der Amateur-Meisterschaft mit der Hertha 1955 folgen Einsätze in der West-Berliner Stadtauswahl. 1956 unterzeichnet er den begehrten Lizenzspielervertrag bei Hertha und wird 1957 und 1961 Berliner Meister. Klaus Taube hat bis zu diesem Zeitpunkt Stockholm, Reykjavik und Oslo gesehen und 1960 als DDR-Bürger gegen den brasilianischen Star Pelé im Olympiastadion gespielt. Die Träume von der Deutschen Meisterschaft bleiben jedoch unerfüllt. Hertha kommt über die Vorrunde nicht hinaus. Im Juni 1961 scheitert Taube mit Hertha in der Vorrunde an Werder Bremen im Olympiastadion. Nun soll ein neuer Anlauf auf die Berliner Meisterschaft folgen – im Spiel gegen Wacker.

Klaus Taube fährt wie gewohnt mit dem Fahrrad aus Pankow kommend in Richtung Wollankstraße. Am Grenzübergang muss er seine Sporttasche abstellen. Überall herrscht Unruhe. Viele Neugierige in Ost und West sammeln sich am Grenzübergang. Die S-Bahn-Eingänge sind gesperrt. „Alles war dicht“, erinnert sich Taube. „Warten hatte irgendwann keinen Sinn mehr.“ Ein Versuch, die Hertha-Geschäftsstelle telefonisch zu erreichen, scheitert ebenfalls – die Leitungen sind gekappt. Klaus Taube kehrt um.

Auf dem Wacker-Platz rückt der Anpfiff näher. Langsam wird es gewiss: Die Mannschaft muss ohne Taube auskommen. Wie die West-Berliner „Fußballwoche“ berichtet, „musste Hertha improvisieren, weil drei Spieler aus dem Ostsektor beheimatet sind und nicht kommen konnten“. Die Schwächung hinterlässt Spuren. Herthas Angriffstaktik ist einfach auszurechnen. Nur ein enttäuschendes 0:0 erspielt sich der Berliner Meister. Auch Klaus Heuer, der Ersatz für Taube, ist mit seinen Gedanken woanders. Er „kam zwei Stunden vor dem Spiel von der Mutter aus dem Ostsektor und hat seine junge Frau drüben lassen müssen. Seine Leistung sollte man deshalb nicht allzu kritisch beurteilen“, schreibt Fuwo-Reporter Hans Uhlich. Er resümiert, dass die „besonderen Umstände des Tages sich zwangsläufig auf die Leistung auf dem Spielfeld auswirkten“.

Zwei Wochen später wird das volle Ausmaß der sportlichen Teilung deutlich: Auf einem außerordentlichen Verbandstag, den der West-Berliner Verband Berliner Ballspielvereine nach dem Mauerbau einberuft, zählt man schmerzliche Verluste
: Von den im Ostsektor wohnenden Verbandsmitgliedern werden 1105 als fehlend gemeldet. Die stärksten Einbußen beklagen Alemannia 90 (228), Union 06 (113), Hertha BSC (95) sowie Tennis Borussia (87). Und auch die Spieler leiden.

Klaus Taube muss schriftlich seinen Austritt bei Hertha BSC erklären, um überhaupt weiter Fußball spielen zu dürfen. Die Ost-Berliner Fußball-Hochburgen Dynamo und ASK Vorwärts bleiben für ihn jedoch tabu, in der Presse werden ehemalige Sportgrenzgänger als „kriminell und arbeitsscheu“ diffamiert. Seine neue sportliche Heimat findet Taube bei Lichtenberg 47 und später bei Einheit Pankow, wo er bis 1974 Spieler und Trainer ist.

Bis heute lebt er als Rentner in Pankow. Seine Hertha-Kollegen durfte Klaus Taube fast drei Jahrzehnte nicht mehr wiedersehen.


Jutta Braun und René Wiese leiten das Zentrum für Deutsche Sportgeschichte.
Der Tagesspiegel, Freitag, dem 12. August 2011

 

Zentrum deutsche Sportgeschichte

 

Rede des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Wowereit, zum 50. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 2011

Pressemitteilung
Berlin, den 13.08.2011

Es gilt das gesprochene Wort!

Das Presse- und Informationsamt des Landes Berlin teilt mit:

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, führte auf der Gedenkveranstaltung zum 50. Jahrestag des Mauerbaus am 13. August 2011 in der Gedenkstätte Bernauer Straße u. a. aus:

„Wir erinnern uns heute an den traurigsten Tag in der jüngeren Geschichte Berlins. Wie kein anderer Ort ist die Bernauer Straße zum Symbol für die Tragödie der Teilung unserer Stadt geworden.

Nichts war nach dem 13. August 1961 wie es vor diesem Schicksalstag gewesen war. Der Bau der Mauer traf uns Berlinerinnen und Berliner ins Mark. Fassungslos mussten wir mit ansehen, wie der SED-Staat die Teilung unserer Stadt zementierte. Wir waren geschockt und verzweifelt. Viele Menschen versuchten in letzter Sekunde noch, in den Westen zu gelangen. Die Bilder erschüttern uns heute noch. Sie erzählen vom Freiheitsdrang der Berliner. Sie dokumentieren die Unmenschlichkeit und das Unrecht der Mauer.

Und ich sage ganz persönlich: Mich spornt diese bittere Erfahrung an, nicht nachzulassen im Kampf gegen totalitäres Denken und Handeln – in welchem Gewand und mit welcher ideologischen Verbrämung auch immer.

Über 100 Menschen starben zwischen 1961 und 1989 an den 155 Kilometer langen Grenzanlagen rund um West-Berlin, weil sie versuchten, in die Freiheit zu gelangen. Aber dieser Traum von der Freiheit endete jäh im Kugelhagel der DDR-Grenzer.

Am 13. August 1961 sperrte die DDR-Führung ihr Volk ein und nahm so Zehntausenden ihre persönliche Lebensperspektive. Das SED-Regime gewann dadurch zwar Zeit, aber bereits damals war es die Bankrotterklärung eines Systems, dem die Menschen wegliefen.

Heute, 50 Jahre nach dem Bau der Mauer, gedenken wir der Opfer des DDR-Grenzregimes, aber auch all derer, denen – in Bautzen, Hohenschönhausen oder an einem der anderen Orte des Schreckens – Unrecht angetan wurde, weil sie frei sein wollten. Wir erinnern uns an den Durchhaltewillen so vieler Berlinerinnen und Berliner, die trotz aller Widrigkeiten an die Zukunft unserer Stadt geglaubt und alles dafür gegeben haben. Wir denken auch an die vielen menschlichen Erleichterungen, die Willy Brandt und seine Nachfolger als Regierende Bürgermeister und als Kanzler erreicht haben. Wir erinnern heute an die vielen Menschen weltweit, die Berlin in schwerer Zeit beigestanden haben. Erinnert sei an John F. Kennedy, der uns mit seinem Satz: ‚Ich bin ein Berliner.’ Mut machte.

Unsere Dankbarkeit gilt heute ganz besonders den Aktiven der Bürgerrechtsbewegung der DDR, denen die Evangelische Kirche den so wichtigen Freiheitsraum geboten und Mut gemacht hat. Die Friedliche Revolution und der Sieg der europäischen Freiheitsbewegungen in Polen, Ungarn und der Tschechoslowakei über die kommunistischen Diktaturen: Sie haben den Weg zur Überwindung der Teilung geebnet. Und dass es ein friedlicher Wandel wurde, haben wir vor allem einem zu verdanken: Michail Gorbatschow, unserem Ehrenbürger.

Als am 9. November 1989 die Mauer fiel, konnten wir Berliner unser Glück nicht fassen. Wir lagen uns in den Armen und feierten das Ende einer traurigen Epoche des Eingeschlossenseins und der Enge. Und mit uns feierte die ganze Welt.

Knapp 22 Jahre ist das her. Berlin hat sich seither in rasantem Tempo gewandelt und gilt heute als eine der spannendsten Metropolen der Welt. Darauf können wir stolz sein. Es gibt allerdings auch Menschen in Ostdeutschland, die dieser Wandel aus der Bahn geworfen hat. Sie verdienen unsere Solidarität und ihre Lebensleistungen unseren Respekt.

Keinerlei Verständnis verdienen jedoch diejenigen, die Teilung und Mauer nostalgisch verklären. Die Mauer war Teil eines diktatorischen Systems, eines Unrechtsstaats. Und es ist erschreckend, dass auch heute noch einige meinen, die SED habe gute Gründe für die Abriegelung gehabt. Nein! Für Unrecht, für die Verletzung der Menschenrechte, für Tote durch Mauer und Stacheldraht gibt es keine guten Gründe und keine Rechtfertigung.

Die Mauer ist Geschichte. Aber wir dürfen sie nicht vergessen. Wer sich damit auseinandersetzt, wird sensibel gegenüber Unrecht und totalitären Ideologien. Wir sind in der Bernauer Straße an einem Brennpunkt des Geschehens vom 13. August 1961. An diesem authentischen Ort erinnern wir an die Geschichte der Berliner Mauer. Und wir erweitern heute diese Gedenkstätte um einen wichtigen Abschnitt. Mit weit über 500.000 Besuchern jährlich ist dies der meist besuchte Gedenkort zum SED-Unrecht. Und doch belegen Umfragen immer wieder: Es gibt eine zunehmende Gedankenlosigkeit und auch Unkenntnis in Bezug auf Teilung und Mauerbau.

Heute, 50 Jahre nach dem Mauerbau, ist es an der Zeit, dass diese wichtige Epoche unserer jüngeren Geschichte breiteren Raum im Schulunterricht einnimmt, dass Eltern mit ihren Kindern über ihre Erinnerungen sprechen und dass wir das Gespräch mit Zeitzeugen suchen, die mitten unter uns leben.

Eine Berliner Tageszeitung schrieb am 14. August 1961, einen Tag nach dem Bau der Mauer: ‚Diesen Tag vergessen die Berliner nicht.’ Heute, am 50. Jahrestag des Mauerbaus, füge ich hinzu: Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, die Erinnerung wachzuhalten und an die nächste Generation weiterzugeben, Freiheit und Demokratie zu pflegen und alles zu tun, damit solches Unrecht nie wieder geschieht.“

author: GRR

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