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19
08
2011

Durch ganz Europa ist Rainer Koch schon gelaufen, jetzt bewältigt er im Laufschritt die USA vom Pazifik bis zum Atlantik – aus purer Lust. ©Lany Footrace 2011

Abenteuer Sport – Auf dem Fußweg nach New York – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel

By GRR 0

Durch ganz Europa ist Rainer Koch schon gelaufen, jetzt bewältigt er im Laufschritt die USA vom Pazifik bis zum Atlantik – aus purer Lust.

An diesem Tag ist Rainer Koch wieder in eine Tankstelle gegangen und hat sich ein Eis gekauft. Er hat auch wieder seinen Fotoapparat aus der Tasche geholt und ein paar Bilder von der Landschaft gemacht. „Jetzt gibt es mehr Bäume, mehr Hügel, Seen und Flüsse.“ So erzählt Rainer Koch abends am Telefon über seinen Tag beim „Lenni“, wie er ihn nennt und in seiner Stimme ist wenig davon zu hören, dass er gerade 61 Kilometer in der Hitze des Tages gelaufen ist. Und gestern 80. Und in den vergangenen 37 Tagen zusammen 2600 Kilometer, im Schnitt 70 Kilometer jeden Tag.

Lenni, das klingt zahm, nicht so fulminant wie es geschrieben dasteht als Abkürzung für Amerikas größte und so weit voneinander entfernte Metropolen Los Angeles, New York: LANY.

Rainer Koch wird sie zu Fuß miteinander verbinden beim LANYFootrace 2011, dem Transamerikalauf, den er mit 15 anderen Sportlern bestreitet. 70 Tage hat er Zeit, um vom Pazifik zum Atlantik zu laufen.

Rainer Koch, 30, Elektroingenieur für mobile Robotik in Nürnberg, liegt gerade in Führung. Vorne zu sein, aber sich noch Zeit zu lassen, um alles aufzunehmen, so lässt es Koch angehen. „Man kann auch mit dem Motorrad einmal durch Amerika fahren“, sagt er. „Aber beim Laufen habe ich ein anderes Gefühl, ich sehe mehr, ich erlebe mehr, es gibt sehr viele interessante Gespräche.“

Manchmal halten Autofahrer an und fragen, ob alles in Ordnung ist, manchmal lässt er sich auf ein Schwätzchen am Straßenrand ein, dann läuft er weiter. Jeder Tag ist anders, die Landschaft verändert sich von Bundesstaat zu Bundesstaat. Und auch Kochs Gefühl ist immer anders. „Es gibt Tage, da möchte man so schnell wie möglich ins Ziel. Und andere, da vertrödelt man etwas Zeit. Ich habe gerade einen recht großen Vorsprung, da vertrödle ich eben ein bisschen.“

An diesem Tag ist Koch an einem Urahnen vorbeigelaufen, Andy Payne, dem Gewinner des ersten von bisher neun Transamerikaläufen 1928, ein Denkmal in Oklahoma erinnert an ihn. Und für das Laufen durchs ganze Land gibt es noch ein Vorbild im Film: Forrest Gump, der so lange von einer Küste Amerikas zur anderen läuft, bis ihm der Bart bis unter die Brust reicht. „Ich hatte einfach Lust zu laufen“, sagt Forrest Gump.

So geht es auch Rainer Koch, er hatte einfach Lust zu laufen. Mit neun Jahren fing er an, es wurde gleich ein Marathon, aber den ist er noch gewandert. Wenig später begann er mit dem Joggen. Mit 18 absolvierte er seinen ersten Ultralauf: 50 Kilometer. „Es gibt Tage, an denen ich mir nach 100 Kilometern sage: Ich freue mich auf die nächsten 100.“

Ein Marathon ist das Mindeste, was Koch in den USA zurücklegen muss, 94 Kilometer ist die längste der 70 Etappen. Um am anderen Ende des Kontinents anzukommen, wird Koch 5200 Kilometer zurücklegen. Eine Steigerung von allem, was er bisher gemacht hat. Aber eine überschaubare. Vor zwei Jahren hat er Europa durchquert, einmal von Süden nach Norden, von Bari zum Nordkap, 4489 Kilometer. Bei diesem Transeuropalauf kam Koch als erster ins Ziel. Und weil er nun schon wieder in Führung liegt, könnte er sich amtierender Weltmeister der Erdteildurchquerung nennen.

Um viertel vor vier ist er an diesem Tag aufgestanden, hat ein kleines Frühstück zu sich genommen, Milch, Kakao, ein bisschen Apfelmus und Joghurt. Dann hat er das Auto gepackt wie für die nächste Station einer Reise, nur dass das Auto wie ein Gepäckwagen mitfährt, mit einem Betreuer am Steuer. Um fünf Uhr hat sich die kleine Gruppe dann laufend in Bewegung gesetzt, eine halbe Stunde früher als sonst, das ist eine halbe Stunde mehr Schutz vor der Sonne.

Sein Tempo teilt sich Koch gewissenhaft ein. „Es bringt nichts, zu schnell zu laufen, um eine Etappe zu gewinnen. Das rächt sich am nächsten Tag. Wer zu schnell läuft, überlastet die Sehnen.“ Man muss sich schon vorher gut kennen, und man lernt sich unterwegs noch besser kennen. Der japanische Autor Haruki Murakami hat in seinem Buch „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“, geschrieben: „Das meiste über mich selbst und über das Schreiben von Romanen habe ich durch mein tägliches Lauftraining gelernt.“

Auf der Strecke, meistens ein Highway, selten querfeldein, denkt Koch schon mal über seine Arbeit nach. „Wenn man an einem großen Projekt hängt, fällt einem unterwegs etwas ein.“ Ansonsten lässt er die Landschaft auf sich wirken. Für 46 Kilometer braucht er 4:20 Stunden, also gut fünfeinhalb Minuten pro Kilometer. Ein sportliches Laufen mit Aussicht, ohne dass er dafür poetische Worte finden wollte.

Am Nachmittag, im Ziel, scheint die Anstrengung schon weg zu sein, nur das Schöne bleibt. „Es ist ein Glücksgefühl, wenn man den Tag gut überstanden hat. Man freut sich auf die Dusche, auf ein kühles Getränk und das Abendessen.“ Kleine Dinge werden zu großen Genüssen. Probleme habe er erst an einem Tag gehabt, als ihm die Hitze zu sehr zu schaffen machte. Andere haben dagegen unterwegs schon aufgegeben.

Das Ankommen zählt, deshalb stellen sich alle, die ihre Etappe schon bewältigt haben jedes Mal aufs Neue ins Ziel, um die Ankommenden zu beglückwünschen. „Es ist ein Wettkampf, das kann man nicht abstreiten“, sagt Koch und macht eine Pause, eine, bei der man hört, dass der Satz noch nicht zu Ende ist, „aber erstmal gegen sich selbst.“ Noch heute läuft Koch bei Veranstaltungen des Internationalen Volkssportverbandes mit, bei denen es nicht um den Sieg geht, sondern ums Laufen oder Wandern an sich.

Wenn man ihn fragt, ob es denn etwas zu gewinnen gebe beim LANY-Footrace, sagt er: „Nicht, dass ich wüsste.“ Koch hat dafür jede Menge Geld mitgebracht. 20 000 Euro hat er für den Transamerikalauf eingeplant, für Flug und Unterkünfte, aber auch eine Begleiterin, die ihn und einen anderen Teilnehmer auf der Strecke mit Essen und Trinken versorgt und das Auto fährt. „Im Moment glaube ich, dass ich mit 15 000 Euro hinkomme.“

Er wird es wissen, wenn er nach 70 Tagen ins Ziel läuft, am 27. August, im Central Park von New York. Und vielleicht der erste Läufer ist, der ein Rennen einmal durch die alte Welt und einmal durch die neue gewonnen hat.

Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Donnerstag, dem 18. August 2011

author: GRR

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