Blog
31
08
2011

2011 IAAF World Outdoor Championships Daegu, South Korea August 27-September 5, 2011 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

Traumhaftes Aus – Oscar Pistorius scheitert bei der Leichtathletik-WM im südkoreanischen Daegu auf Prothesen im Halbfinale über 400 Meter, schreibt aber dennoch Sportgeschichte. Jörg Wenig und Claus Vetter im Tagesspiegel – So weit die Prothesen tragen

By GRR 0

Am Ende steht ein letzter Platz im Halbfinale in seiner Statistik, aber das ist nicht so wichtig. Der Südafrikaner Oscar Pistorius ist als erster Athlet bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften mit Unterschenkelprothesen an den Start gegangen und hat damit eine sporthistorische Leistung vollbracht. In seinem Rennen wurde er Achter in 46,19 Sekunden. Doch das Aus war keine Überraschung.

„Für mich ist ein Traum wahr geworden. Ich habe dafür jahrelang hart gearbeitet und viel Unterstützung von meinem Trainerteam erhalten. Ohne diese Unterstützung hätte ich diese Leistung hier nicht erreichen können“, sagte Pistorius. Ob er allerdings 2012 auch eine Chance haben wird, sich für die Olympischen Spiele zu qualifizieren, ist noch nicht entschieden.

Der internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) wird sich aller Voraussicht nach noch einmal generell mit dem Thema der Startberechtigung von behinderten Athleten bei den Titelkämpfen der nichtbehinderten Sportler beschäftigen. Dies erklärte das deutsche Council-Mitglied des Verbandes, Helmut Digel, dem Tagesspiegel.
 
Begeistert wurde Oscar Pistorius bei der Vorstellung der Teilnehmer des dritten Halbfinalrennens von den gut 25 000 Zuschauern empfangen. Kein anderer Läufer erhielt so viel Beifall vom Publikum wie der 24-Jährige, der mit speziellen Carbon-Prothesen läuft. Oscar Pistorius wurde bei der Auslosung der drei Halbfinalrennen, aus denen sich jeweils die ersten beiden Läufer plus die zwei weiteren zeitschnellsten Athleten für das heutige Finale qualifizierten, in den letzten Lauf gelost. Das hatte einen kleinen Vorteil. Denn dadurch wissen die Athleten, welche Zeit nötig ist, um gegebenenfalls auch mit Platz drei oder vier weiterzukommen. Gefragt waren 45,53 Sekunden und dabei mindestens Rang vier. Im Vorlauf war Oscar Pistorius noch 45,39 gelaufen und seine Bestzeit aus dieser Saison steht sogar bei 45,07 Sekunden.

Doch gegen die Weltklassekonkurrenz hatte der Südafrikaner am Montag keine Chance. Schnell hatten ihn die hinter ihm gestarteten Greg Nixon (USA) und der spätere Sieger des Rennens Jermaine Gonzales (Jamaika/44,99) überholt. Aufgrund der Prothesen kommt Oscar Pistorius in der Startphase langsamer auf seine Maximalgeschwindigkeit, doch am Ende des Rennens kann er diese dafür länger halten durch den federnden Effekt der Prothesen. Das allerdings half ihm im Halbfinale nichts mehr. Zu stark waren die anderen Läufer. Aufgrund von wechselnden Winden waren alle Athleten über ihren normalen Zeiten geblieben.

„Ich erwarte, dass sich das Council der IAAF in einer der nächsten beiden Sitzungen noch einmal mit dem Thema beschäftigen wird“, sagte Helmut Digel. „Wir haben bezüglich Hilfsmittel relativ eindeutige Regeln, und wir vermischen hier zwei verschiedene Wettbewerbe – die von Behinderten und von nichtbehinderten Athleten. Die einen laufen auf Carbon-Federn, die anderen auf Beinen. Das hat nichts miteinander zu tun.“

Zugleich zollte Helmut Digel dem Südafrikaner Respekt: „Er zeigt eine Ausnahmeleistung und ist ein Topstar.“ In Daegu wird Oscar Pistorius voraussichtlich noch einmal an den Start gehen: mit der südafrikanischen 4×400-m-Staffel. Hier werden die Vorläufe am Donnerstag stattfinden.

Jörg Wenig im Tagesspiegel, Dienstag, dem 30. August 2011

 

Oscar Pistorius – So weit die Prothesen tragen – Claus Vetter im Tagesspiegel

Oskar Pistorius durfte bei der Leichtathletik-Weltmeisterschaft der Nichtbehinderten antreten – und dass völlig zu Recht.

Oskar Pistorius fehlen beide Unterschenkel, schon in seinem ersten Lebensjahr wurden sie amputiert. Das hat den Südafrikaner nicht daran gehindert, einer der besten Mittelstreckensprinter zu werden. In seiner Klasse, bei den paralympischen Athleten, ist Pistorius auf seinen Prothesen der schnellste Mann der Welt.

Das hat Pistorius nicht gereicht, seit Jahren kämpfte er darum, bei den nicht behinderten Athleten antreten zu dürfen. Diesen Kampf gewann er, bei den Leichtathletikweltmeisterschaften in Südkorea ist er über 400 Meter gestartet – als erster behinderter Athlet bei einer WM der Nichtbehinderten.

Bringt die Behinderung am Ende sogar einen Vorteil? Da lag die Krux.

Jahrelang wurde darüber diskutiert, ob die Carbon-Prothesen Oskar Pistorius sogar schneller machen. 2008 noch kamen Gutachter zu diesem Ergebnis, in einem zweiten Gutachten sah es nun anders aus. Zwar gäbe es auf der geraden Strecke Vorteile, dafür aber am Start und in den Kurven Nachteile durch niedrige Beschleunigungsmöglichkeiten.

Diese Diskussion um Gerechtigkeit ist so alt wie der Sport selbst. Und sie ist müßig. Es treten im Sport immer Ungleiche gegen Ungleiche an. Mögen in der Leichtathletik – anders als etwa im Motorsport – auch bei nicht behinderten Sportlern die Chancen gering sein, sich durch Material technische Vorteile zu verschaffen, so sind die Menschen schon von ihrer Konstitution her nicht gleich. Trotzdem messen sie sich in Wettkämpfen, auch das ist ein Reiz.

Allerdings werden aufgrund der verschiedenen Konstitution der Menschen in vielen Sportarten verschiedene Klassen geschaffen. Männer und Frauen bleiben meist unter sich, und kein Fliegengewichtler würde im Boxen freiwillig gegen ein Superschwergewicht antreten. Insofern ließe sich leicht sagen, einer wie Oskar Pistorius habe bei einer WM der Nichtbehinderten nichts zu suchen. Das aber ist falsch. Wenn davon ausgegangen wird, dass die Prothesen keinen Vorteil verschaffen, dann darf Pistorius starten.

Es ist egal, ob jetzt irgendwelche Menschen fürchten, dass künftig auch andere Menschen mit Behinderung und anderen Prothesen antreten wollen. Oder – die Fälle gab es ja schon – Menschen nach Geschlechtsumwandlung die Startklasse wechseln. Wer sich innerhalb der Regeln bewegt, darf starten. Pistorius hat keinen Kampf für behinderte Menschen gewonnen, auch wenn er ihnen vielleicht Mut macht. Pistorius ist bei der WM in Südkorea innerhalb der Regeln gelaufen. Nicht mehr allerdings: Der Südafrikaner wurde Letzter in seinem Halbfinallauf, insofern hat seine Teilnahme die Elite der 400-Meter-Läufer nicht berührt.

Somit wurde die vielleicht interessanteste Frage bei der WM in Südkorea nicht beantwortet. Mitlaufen darf Oskar Pistorius, aber darf er auch siegen? Diese Frage wird frühestens 2012 bei den Olympischen Spielen in London beantwortet.

Denn da wird Oskar Pistorius wieder starten – wenn er denn darf.


Claus Vetter im Tagesspiegel,
Dienstag, dem 30. August 2011

author: GRR

Comment
0

Leave a reply