2011 IAAF World Outdoor Championships Daegu, South Korea August 27-September 5, 2011 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET
Die Hinüberfliegerin – Strutz veredelt mit Silber einen steilen Aufstieg – Frank Bachner im Tagesspiegel – Wütend zu Bronze – Siebenkämpferin Oeser wird für Aufholjagd belohnt
Berlin – Vor ihrem letzten Versuch streckte Martina Strutz die Zunge heraus, eine Geste kindlicher Freude. Sie war bereits Vizeweltmeisterin, sie hatte bereits für eine Überraschung gesorgt, sie hatte mit 4,80 Meter deutschen Rekord gesprungen, es war eigentlich egal, ob sie auch noch 4,90 Meter überqueren würde.
Klar, sie wollte Weltmeisterin im Stabhochsprung werden, aber kaum jemand rechnete damit. Sie hatte 4,85 Meter im ersten Versuch gerissen und dann die Latte auf 4,90 Meter legen lassen, doch die Spannung war weg. Sollte doch Fabiana Murer, die Brasilianerin, mit ihren 4,85 Metern den Titel holen.
Martina Strutz vom ESV Hagenow in Mecklenburg-Vorpommern hatte längst mehr erreicht, als sie erhofft hatte.
„Ich bin total happy“, verkündete sie strahlend. Nachdem sie 4,80 Meter überquert und ihren deutschen Rekord um zwei Zentimeter gesteigert hatte, da vollführte die 29-Jährige noch auf der Matte einen Freudentanz. Das war dieselbe Frau, über die der Leitende Bundestrainer Herbert Czingon vor wenigen Monaten noch gesagt hatte: „Ich hatte nicht mehr damit gerechnet, dass sie die Kurve kriegt.“
Ihren letzten größeren internationalen Auftritt hatte Martina Strutz, 1,60 Meter groß, diverse Tattoos, vor fünf Jahren – da wurde sie Fünfte der EM, da sprang sie 4,50 Meter, persönlicher Rekord. Er hielt bis 2011. Doch nach der EM 2006 versank sie in der Unauffälligkeit. Das hatte mit Verletzungen zu tun, aber auch mit den Bierchen, die sie damals gerne zischte. 2010 war ihre beste Höhe 4,30 Meter.
Immerhin, muss man sagen, da war sie nämlich schon seit ein paar Monaten bei Thomas Schuldt, ihrem neuen Trainer. Der ist eigentlich Wurftrainer, hatte aber ein paar grundsätzliche Entscheidungen getroffen. Die wichtigste betraf ihre Ernährung. Wochenlang hat Martina Strutz danach nur Fleisch und Möhren gegessen; alle vier Stunden 100 Gramm Nackensteaks oder Hähnchen, dazu jeweils eine Karotte. Sie nahm zehn Kilogramm ab und arbeitete intensiv im Kraftraum.
Ein russischer Trainer, den sie eher zufällig in Taiwan traf, nahm ihren Arm und sagte in gebrochenem Deutsch: „Wenn Du so machen mit der Arme, dann springen 4,70 Meter.“ Weitere technische Tipps erhielt sie von Vladimir Ryzih, Vater der deutschen Stabhochspringerin Lisa Ryzih. Früher war sie beim Anlauf einer der Langsamsten, jetzt ist sie so schnell wie die anderen. Weil sie so klein ist, muss sie die körperlichen Nachteile mit mehr Kraft und Schnelligkeit ausgleichen. „Es war meine letzte Chance“, sagte Martina Strutz im Sommer.
In diesem Jahr katapultierte sie sich für Außenstehende quasi aus dem Nichts von Sieg zu Sieg. Ihren ersten Freiluft-Wettbewerb beendet sie mit 4,58 Metern. Am 12. Juli sprang sie mit 4,78 Metern deutschen Rekord und setzte sich an die Spitze der Jahresweltrangliste. Und Czingon sagte staunend: „So eine Steigerung habe ich noch nie erlebt. Das ist sehr, sehr erstaunlich.“ Bei den deutschen Meisterschaften gewann sie den Titel und ließ „pro forma“ 4,79 Meter auflegen.
Damals noch scheiterte sie an der nationalen Bestmarke. In Daegu nicht mehr.
Frank Bachner im Tagesspiegel, Mittwoch, dem 31. August 2011
Wütend zu Bronze – Siebenkämpferin Oeser wird für Aufholjagd belohnt
Der entscheidende Moment war die Sekunde, in der sich der Speer nach 51,30 Metern in den Rasen bohrte. Noch nie hatte Jennifer Oeser so weit geworfen. Aber selten zuvor hatte sie auch mit so viel Wut geworfen. Die 51,30 Meter brachten die Siebenkämpferin Oeser vor der letzten Disziplin wieder auf Platz drei, auf einmal war Bronze bei der WM wieder in greifbarer Nähe.
Die 27-Jährige musste jetzt nur noch die 800 Meter gut überstehen, ihr Vorsprung auf Natalia Dobrinska aus der Ukraine betrug ja nur 19 Punkte – und die Olympiasiegerin war lediglich Sechste. Also quälte sich Oeser über die zwei Runden und passierte nach 2:10,39 Minuten die Ziellinie.
Dahinter brach die Vizeweltmeisterin von 2009 zusammen, aber da hatte sie sich bereits Bronze gesichert. Mit 6572 Punkten, klar hinter Tatjana Tschernowa (Russland/6880) und Jessica Ennis (Großbritannien/6751).
Klarer Rückstand? Na und? „Bronze ist wie Gold für mich“, sagte Oeser, „ich habe noch nie so sehr um eine Medaille kämpfen müssen.“ Nach einem schwachen ersten Tag hatten ihr „einige in den Arsch getreten“, gab sie zu. „Aber das habe ich gebraucht.“
Sie hatte danach zwar kaum geschlafen, aber dafür eine „Mordswut“. Das genügte.
fmb – Der Tagesspiegel, Mittwoch, dem 31. August 2011