Studie zu Doping West - Doping als Familiensache - Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ©privat
Studie zu Doping West – Doping als Familiensache – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Warum er in seinem Bericht über Doping in der Bundesrepublik Deutschland der siebziger Jahre so einen vorwurfsvollen Ton angeschlagen habe, musste sich der Referent von Lobbyisten des Sports fragen lassen. Da blieb Erik Eggers noch gelassen.
Als er sich aber bei der Präsentation seiner Forschungsergebnisse auch noch vorwerfen lassen musste, dass er eine Dissertation überbewerte, deren geringer wissenschaftlicher Rang daran erkennbar sei, dass sie nicht international veröffentlicht wurde, da musste er sichtlich an sich halten. Schließlich hatte er gerade dargestellt, wie mittels des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (BISp) staatlich finanzierte Dopingforschung in der Bundesrepublik funktionierte:
Die Untersuchung des Mediziners Gerd Reinhard von 1977 wurde unterschlagen, weil sie Gefahren von Anabolika-Doping belegte, bis hin zum Krebsrisiko. Der Kölner Sportmediziner Wildor Hollmann, erster Gutachter der Arbeit, ignorierte sie; das BISp, das sie finanzierte, hat sie bis heute nicht publiziert.
Kritischen Fragen und Vorwürfen waren Eggers und seine Kollegen aus der Forschungsgruppe der Humboldt-Universität Berlin unter Leitung des Historikers Giselher Spitzer am Dienstag ausgesetzt. Eigentlich ist die Diskussion von Ergebnissen wissenschaftlicher Usus. In diesem Fall allerdings lag ständig der Verdacht in der Luft, dass jeder Einwand an den Kern der Forschung geht: ihre Veröffentlichung selbst. Die heftigste Kritik nämlich kam von Mitgliedern des Projektbeirates, dreizehn Vertretern des deutschen Sports. Diese haben sich vorbehalten, die Berichte der Forschungsgruppen aus Berlin und Münster zu kürzen, womöglich zu redigieren und Namen zu schwärzen.
Einen Berg von Puzzleteilen
Ihre Schlussredaktion könne in zwei Wochen abgeschlossen sein, sagten Spitzer und sein Kollege Michael Krüger aus Münster. Doch frühestens Mitte Dezember, in zweieinhalb Monaten, sollen die Arbeiten ins Netz gestellt werden, kündigte die Vorsitzende des Beirates an, Dorothea Alfermann, Sportspsychologin an der Universität Leipzig und Präsidentin der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft. Die Beiratsmitglieder arbeiteten ehrenamtlich, sagte sie; man müsse ihnen Zeit geben, die siebenhundert Seiten zu lesen.
Neun der 13 Beiratsmitglieder hatten immerhin Zeit, an dem Symposion teilzunehmen. Gudrun Doll-Tepper, die den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) vertritt, sagte nach der ersten Vortragsrunde: „Es gibt Nachfragen.“ Ihre betraf Willi Daume, den charismatischen Sportführer und Vater der Olympischen Spiele von 1972 in München, der sich nach den Erkenntnissen Eggers‘ über Dopingpraktiken informieren ließ. Das müsse man im Daume-Archiv verifizieren, sagte sie zweifelnd. „Bisher haben wir eine solche Aussage nicht gefunden.“
Eine Fülle von Details haben die Forscher zusammengetragen, und selbst wenn einige Fakten nicht neu sind, gebührt ihnen das Verdienst, aus einem Berg von Puzzleteilen ein Gesamtbild zusammengefügt zu haben. Bei ihrem zweiten Zwischenbericht mussten sie nun einen ungewöhnlichen Weg gehen: Erst stand die Pressekonferenz mit den Zusammenfassungen auf dem Programm, tags darauf folgte das Symposium.
Neben dem Umgang mit der Studie über die Gefahren von Hormondoping benannten die Berliner Forscher die sogenannte Dreier-Konferenz am BISp in Köln als zentrales Ereignis der Dopingpolitik im Sport der Bundesrepublik. Auf ihr gab im Januar 1977 der stellvertretende Leiter des Instituts, Richard Felten, die Devise aus, dass die Macht der Zwänge es vertretbar mache, die medikamentöse Behandlung (mit Anabolika) unter dem Gesichtspunkt der Substitution vorzunehmen.
Über die Umsetzung jenseits der Forschung gibt es so gut wie keine Dokumente. Auf die Kraft des Faktischen allerdings gibt es einen Hinweis: Bei einer Dopingkontrolle schon 1974 während der deutschen Hallen-Meisterschaft der Leichtathleten in München sollten zehn Sportler getestet werden. Einer rannte davon; von den übrigen neun waren sechs positiv; fünf Kugelstoßer und ein Hürdensprinter.
Olympiaarzt Joseph Keul aus Freiburg und sein Kölner Kollege Wildor Hollmann führten das große Wort in der westdeutschen Sportmedizin, indem sie behaupteten – und in aufwendigen Studien vorgeblich zu beweisen versuchten –, dass die Anwendung von Anabolika und Testosteron wirkungslos seien. Ihre Argumentation zielte darauf ab, die Substanzen von den Dopinglisten streichen zu lassen. „Die Anabolika-Befürworter hatten keine Mehrheit“, sagte Eggers. „Sie waren eine kleine Clique, deren Macht in der Gunst des Innenministeriums, des BISp und der Funktionäre lag.“
Welche Macht sie hatten, zeigt der Umgang mit dem Dopingkontrolllabor der Spiele 1972. Das Gerichtsmedizinische Institut der Olympiastadt bot sich an, die Einrichtung weiter zu führen. „Keul und Hollmann haben das Innenministerium mit Briefen bombardiert“, stellte Christian Becker aus Münster fest – und indem der Biochemiker Manfred Donike an der Sporthochschule Köln den Zuschlag erhielt, blieb der Umgang mit den Proben in der Familie.
Donike war ehemaliger Radrennfahrer.
Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 27. September 2011