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15
10
2011

Zum letzten Mal: Ja, es gab auch im Westen Deutschlands Doping. Und nicht nur als Privatangelegenheit. Die Bundesrepublik finanzierte Anabolikaforschung zur Leistungssteigerung und Minister forderten, „alles“ zu tun, um erfolgreich zu sein. ©EAA - European Athletics

Der Zweck war die Medaille – Friedhard Teuffel im Tagesspiegel

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Zum letzten Mal: Ja, es gab auch im Westen Deutschlands Doping. Und nicht nur als Privatangelegenheit. Die Bundesrepublik finanzierte Anabolikaforschung zur Leistungssteigerung und Minister forderten, „alles“ zu tun, um erfolgreich zu sein.

Mehrere Wissenschaftler aus Münster und Berlin haben das noch einmal dokumentiert, spätestens bis Dezember sollen ihre Zwischenergebnisse auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Aber was kann die damit anfangen?

Für viele Menschen im Osten mögen die Ergebnisse eine Genugtuung sein. Die Gegenüberstellung böser Staatssport in der DDR gegen humaner Leistungssport in der Bundesrepublik funktioniert nicht.

Beide Staaten haben ihre Athleten zu den selben Wettkämpfen geschickt mit dem selben Ziel: maximale Erfolge. Ein ironisches „Nun siegt mal schön“, wie es der erste Bundespräsident Theodor Heuss Bundeswehrrekruten zurief, gab es im westdeutschen Sport nicht.

Dass im Westen gedopt wurde, macht das Staatsdoping der DDR nicht besser, vor allem nicht die Abgabe männlicher Sexualhormone an minderjährige Mädchen ohne ihr Wissen. Nur hat der von westdeutschen Sportfunktionären dominierte gesamtdeutsche Sport das DDR-Staatsdoping allzu lange zum Vorwand genommen, um die eigene Dopingvergangenheit zu leugnen. Und sich damit herausgeredet, dass das DDR-Doping in seinem Ausmaß sowieso nicht zu toppen sei. Nichts, gar nichts haben die Verbandsfunktionäre zur Aufklärung beigetragen. Leider muss man nun feststellen: Ihre Taktik ist aufgegangen. Sie haben das Problem erfolgreich ausgesessen.

Die jetzigen Ergebnisse kommen in einer Zeit ans Licht, in der das Thema an Erregungspotenzial eingebüßt hat. Es herrscht sogar Gleichgültigkeit, weite Teile der Öffentlichkeit scheinen sich mit Doping als Begleiterscheinung des Hochleistungssports abgefunden zu haben.

Vieles, was geschehen ist, lässt sich ohnehin nicht mehr rekonstruieren. Wichtige Zeitzeugen wie der Freiburger Sportmediziner, Olympiaarzt und Anabolika-Befürworter Joseph Keul sind tot. Andere werden nicht mehr reden. Wer will sich sein Lebenswerk im Nachhinein kaputtmachen? Jeder Athlet und Trainer, der heute Doping zugeben würde, weiß, dass seine Leistung öffentlich auf Medikamente reduziert werden würde.

Wer jahrelang trotz Dopings erklärt hat, er habe nie betrogen, wird mittlerweile vielleicht selbst daran glauben. Für das Doping in Ost und West galt schon in den Siebzigerjahren die Logik, der sich später Jan Ullrich bediente: Wenn alle dopen, betrüge ich niemanden. Und schon in den Siebzigern wurde mehr über Doping getuschelt, als man glauben könnte.

Das System, das überlebt, besitzt die Deutungshoheit. Es ist in der westdeutschen Öffentlichkeit legitim, jeden Sportler aus der DDR mit Doping in Verbindung zu bringen. Andersherum gilt es als ehrverletzend, mit bundesdeutschen Weltrekordlern, etwa im Schwimmen, das gleiche zu tun, sie gehören schließlich zur Ikonographie der Bundesrepublik, stehen fest auf dem Sockel. Reicht dafür als Rechtfertigung, dass in der DDR flächendeckend gedopt wurde und die einzelnen Tagesdosen sogar in Stasi-Akten dokumentiert wurden, während es für bundesdeutsche Sportler im Einzelnen kaum belastende Hinweise gibt?

Darf es eigentlich nicht. Das wäre ein Festhalten am Personenkult des Sports. Und am alten Schwarz-Weiß-Denken. Es muss ein neuer Weg gefunden werden, ein neuer Ton. Gegenseitiges Aufrechnen von Dopingverdächtigen wäre dabei genauso billig wie Medaillenzählerei.

Es bringt nichts, jetzt alle westdeutschen Medaillengewinner unter Generalverdacht zu stellen, nur weil es im Westen ebenfalls eine Betrugsmentalität gab. Vielen würde man Unrecht tun. Genauso, wenn Leistungen des DDR-Sportsystems auf Doping reduziert würden. Grundlage für eine offene Diskussion müsste sein, dass beide Sportsysteme an der Spitze – in unterschiedlicher Ausprägung – denselben Fehler begangen haben: Der Zweck war die Medaille. Er hat die Mittel geheiligt. Zu oft auch die Dopingmittel.

 

Friedhard Teuffel im Tagesspiegel, Sonnabend, dem 15. Oktober 2011

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