Mord beim Berlin-Marathon … Klaus Eckardt: Marathon–Mord. Ein Oberschwaben-Krimi - Prof. Dr. Detlef Kuhlmann - Die Buchrezension ©Klaus Eckardt
Mord beim Berlin-Marathon … Klaus Eckardt: Marathon–Mord. Ein Oberschwaben-Krimi – Prof. Dr. Detlef Kuhlmann – Die Buchrezension
Stellen wir uns kurz folgendes Szenario vor: Sie haben sich entschieden, endlich den ersten Marathon ihres Lebens zu laufen. Sie haben sich dazu ausreichend und gewissenhaft (nach Steffny?) vorbereitet. Sie haben sich für den Berlin-Marathon, Deutschlands größten und schnellsten und beliebtesten entschieden.
Ihre Anmeldung war erfolgreich. Wir schreiben Sonntag, den 28. September 2008. Jetzt sind Sie unterwegs. Alles läuft super. Das Rathaus Schöneberg, vielmehr die erste Hälfte der 42,195 km liegt schon hinter Ihnen. Und dann passiert exakt bei km 25,1 an der Kaisereiche in Friedenau dies: Ein plötzlich vor Ihnen torkelnder Läufer fällt Ihnen direkt vor die Füße, er reißt Sie förmlich mit um und auf den Asphalt.
Diagnose: Gehirnerschütterung … finish: Krankenhaus. Der Mann, dem Sie das Malheur zu verdanken haben, ist längst tot, gestorben an den Sofortfolgen eines Energy-Drinks, der keiner war. Im Ernst: Wollen Sie mit einem der beiden Marathonlaufenden tauschen?
Niemand möchte tauschen – weder mit Max von Steyn (dem mit der Gehirnerschütterung) noch mit Walter Wilhelm Wachter (dem mit dem Energy-Drink). Das sind nämlich die beiden Hauptfiguren des Buches. Und das ist ungefähr sinngemäß, aber dennoch in den Einzelheiten stark verkürzt die Ausgangskonstellation des neuen Krimis von Klaus Eckardt mit dem Titel „Marathon-Mord“, der ausgerechnet beim Marathon in Berlin spielt.
Der 51-jährige, höchst erfolgreiche Krimischreiberling hat sein Werk Mitte September 2011 anlässlich des 23. Berliner Literatur-Marathons vorgestellt, der mittlerweile traditionell den Auftakt zur Marathonwoche in der Kunstfabrik „Schlot“ in Mitte bildet.
Das Publikum war begeistert, obwohl Eckardt, wie es sich für einen guten Krimiautor gehört, seine versammelte Zuhörerschaft bezüglich der Aufklärung des Marathonmords völlig im Dunkeln gelassen hat während der Lesung, bei der u. a. auch Klaus Weidt aus einem Buch „Auf den Spuren einer Lauflegende“ vorgetragen hat – die Rede war von Haile Gebrselassie, der genau eine Woche später seinen Weltrekord kurz hinter am Brandenburger Tor („im Westen“) verlieren sollte.
Zurück zum angeblichen Mord beim Berlin-Marathon 2008, wo jener Haile ja bekanntlich seinen letzten Weltrekord in dieser Disziplin (2:03:59 Std.) gelaufen ist. Tatsächlich nimmt uns Klaus Eckardt gleich auf den ersten Seiten mit auf die Strecke – nein erstmal mit an den Start, in die Box auf der Straße des 17. Juni: „Um ihn herum standen fast 40 000 Männer und Frauen. Den Quadratmeter Berliner Boden, auf dem er gerade stand, teilt er sich mit vier bis fünf anderen.
Die einen hüpften auf der Stelle, andere streckten sich in die Länge, um ihre Gelenke ein wenig in Bewegung zu halten“. Dann geht es im zügigen Tempo weiter bis zu jener Szene, die den Roman zu einem Kriminalroman macht … wo „warmes weiches Blut floss über sein schweißnasses Gesicht.“ Wie schrecklich! Für den einen kommt dann selbst der eilig herbeigerufene Notarzt zu spät, der erwacht im Krankenhausbett.
Für die dann folgende Aufklärungsarbeit verlässt der Autor aber vollends den Berlin-Marathon, denn weder die Organisatoren noch das Gros der Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Marathons haben (Gott sei Dank!) mit dem Anfang und Ausgang der Geschichte irgendetwas zu tun. Die spielt nämlich längst in der (Wahl-)Heimat der Hauptfiguren bzw. von Klaus Eckardt persönlich, und zwar irgendwo in Oberschwaben (Land Baden-Württemberg) zwischen Esslingen und Göppingen. Zu den Verdächtigen, die für den Mord von Wachter in Frage kommen, gehört auch die amtierende Oberbürgermeisterin der Heimatstadt von Max. Die Sache wird aber zusehends noch insofern höllisch haarig, als Wachter ihr Herausforderer für den Posten als zukünftiger OB ist und Max als Berater der Amtsinhaberin fungiert, die sich „in cognito“ auch in Berlin als Marathontouristin aufhält.
Warum wohl? So gesehen scheint die Sache klar, aber sie geht – soviel sei verraten – ganz anders aus. Allerdings bleibt das Handlungsgeschehen im oberschwäbischen Läufermilieu behaftet: „Was für ein Glück, dass Jochen beim Marathontraining mindestens zehn Kilo abgespeckt hat“. Wer diesen einen Satz auf Seite 178 liest, für den ist des Rätsels Lösung nicht mehr weit. Bis dahin freuen sich gerade Läuferinnen und Läufer gut unerhalten von einem jungen ehrgeizigen Krimiautor, der seine eigene Laufleidenschaft immer wieder geschickt und kompetent einzuflechten vermag – auch mit schönen Laufweisheiten, die wir (Älteren) alle längst kennen, aber immer wieder gern an uns selbst wahrnehmen und erst recht bei anderen lesen: „Mit der Anstrengung des Laufs wuchs die Distanz zu den Dingen, die ihn zuvor beschäftigt hatten“ (S. 68). Da fühlt man sich wieder mal bestätigt.
Nachsatz: Ich muss zugeben, dass Krimis (und dazu noch solche, die bei einem Marathon in Berlin spielen) nicht das von mir persönlich bevorzugte Lektüre-Genre darstellen – bis ich Klaus Eckart persönlich erlebt und dann gelesen habe.
Dabei hatte er schon im letzten Jahr einen ersten Oberschwabenkrimi („Der Lauf des Todes“, Tübingen 2010) vorgelegt. Ob ich mir den jetzt mal vornehmen sollte?
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann in SPIRIDON
Klaus Eckardt: Marathon–Mord. Ein Oberschwaben-Krimi. Tübingen 2011: Silberburg-Verlag. 190 S.; 9,90 €.