2011 IAAF World Athletics Gala Monte Carlo, Monaco November 12, 2011 Photo: Giancarlo Colombo@PhotoRun 631-741-1865 Victah1111@aol.com www.photorun.NET
Wenigstens eine überzeugende Wahl – London 2017 – Usain Bolt und Sally Pearson Leichtathleten des Jahres / Der Jamaikaner will viermal Olympiagold – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
MONACO. Dreimal stand der Welt-Leichtathletikverband (IAAF) in den vergangenen Tagen vor der Wahl; zweimal entschied er sich falsch. Vivian Cheruiyot etwa wurde im März Weltmeisterin im Crosslauf und gewann im August in Südkorea die WM-Titel über 5000 und 10 000 Meter. Keine andere Leichtathletin war erfolgreicher 2011.
Dennoch überging die IAAF bei der Auszeichnung der Leichtathletin des Jahres die 28-jährige Kenianerin und zeichnete statt ihrer die Weltmeisterin im Hürdensprint aus, Sally Pearson. Sie habe fast all ihre Rennen der Saison gewonnen, hieß es zur Begründung; beim Finale der Diamond League in Brüssel allerdings war die Australierin gestürzt.
Usain Bolt erhielt zum dritten Mal die Glastrophäe und die damit verbundene Prämie von 100 000 Dollar. Dabei hat er mit einem Fehlstart im WM-Finale des 100-Meter-Laufes das wichtigste Rennen des Jahres an seinen jungen Trainingspartner Yohan Blake verloren; die Titel über 200 Meter und mit der Staffel – in der Weltrekordzeit von 37,04 Sekunden – sind auch für ihn nichts im Vergleich zu seinen Dreifach-Triumphen bei den Olympischen Spielen von Peking 2008 und bei der WM von Berlin 2009. "Dies war eine Versuchssaison. Ich hatte das ganze Jahr damit zu tun, wieder in Form zu kommen", sagte der 28 Jahre alte Jamaikaner wie zur Entschuldigung. "Das Jahr davor war eine ,Off-Season'", mehr eine Auszeit als ein Wettkampfjahr.
Immerhin mit der Vergabe ihrer Weltmeisterschaften 2017 an London lagen die Köpfe der Leichtathletik richtig. Acht Jahre nach der WM von Berlin werden die Titelkämpfe damit nach Westeuropa zurückkehren, nach Austragungen in Daegu (Südkorea) in diesem Jahr, Moskau 2013 und Peking 2015. "Wir haben uns nicht vom Geld verführen lassen", sagte Helmut Digel, ehemaliger Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, zur mit 16:10 Stimmen entschiedenen Wahl zwischen London und Doha, der Hauptstadt des reichen und großzügigen Emirats Qatar.
Die Leichtathleten ersparten sich mit ihrer Wahl peinliche Fragen, wie sie der Welt-Fußballverband (Fifa) ausgelöst hat, indem er seine WM 2022 in klimatisierten Stadien in Qatar austragen wird. Auch um die Olympischen Spiele 2020 bewirbt sich der reiche Kleinstaat.
Europa sei auf dem absteigenden Ast, konstatiert Digel; es gebe eine Solidarität der Länder und Kontinente, die bisher benachteiligt waren. Die Welt des Sports muss sich darauf einrichten, dass Titelkämpfe aus klimatischen Gründen bald nach der bisher üblichen Wettkampfsaison im Herbst oder Winter stattfinden und Marathonläufe, wie es Doha plante, um Mitternacht ausgetragen werden.
Den Ausschlag pro London gab die Verpflichtung gegenüber Olympia: Das für 2012 gebaute und gegen die Begehrlichkeit des Fußballs verteidigte Olympiastadion hat eine leichtathletische Nachnutzung verdient. Künftig allerdings könne Europa die enormen Kosten für sportliche Großereignisse nur noch aufbringen, wenn es vorhandene Stadien nutze, sagte Sebastian Coe, der die Olympischen Spiele in London organisiert und auch für London 2017 warb. London will in sechs Jahren wie Berlin 2009 mit einem Budget von etwa 60 Millionen Euro auskommen; Doha hatte versprochen, auch für Neubauten und Zahlungen an den Verband, drei Mal so viel Geld einzusetzen.
Die erste Rendite wirft die Wahl Londons schon ab. "Eigentlich wollte ich nach den Olympischen Spielen 2016 in Rio meine Karriere beenden", sagte Bolt in Monaco. "Wenn ich im nächsten Jahr in London erfolgreich bin, wäre es großartig, bis London 2017 weiter zu machen." Für viele Jamaikaner ist London Heimat, für noch viel mehr so etwas wie die Hauptstadt der Welt. Bolt inspiriert das. Schon vor vier Wochen hat er deshalb mit dem Training begonnen. "Er ist ein anderer Athlet als in den vergangenen drei Jahren", sagt Manager Ricky Simms über den Ehrgeiz seines Klienten, der die Sprint-Weltrekorde auf die phantastischen Zeiten von 9,58 Sekunden (100 Meter), 19,19 (200) sowie 37,04 (Staffel) gesteigert hat.
Bolt überraschte mit der Ankündigung, 2012 sogar vier Goldmedaillen anzustreben. "Wenn ich bei Olympia nicht zu erschöpft bin und die Mannschaft mich braucht, würde ich echt gern die vier × 400 Meter laufen." Bolt könnte damit seinen Ruhm steigern, steht 2012 doch ein besonderes Jubiläum an: die vorweggenommene Unabhängigkeit Jamaikas durch den Gewinn von zwei Goldmedaillen bei Olympia 1952 in Helsinki. George Rhoden und Herb McKinley gewannen über 400 Meter Gold und Silber und führten auch die Staffel zum Sieg.
Die politische Selbständigkeit Jamaikas von London folgte zehn Jahre später. Das Finale über 4 × 400 Meter ist auf den 10. August terminiert. Der schnellste Mann der Welt hat gute Chancen, die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag vier Tage vorher zu verlängern.
MICHAEL REINSCH in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Montag, dem 14. November 2011