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05
01
2012

Hat nun historischen Wert: Eine Karte mit dem Foto Wanjirus beim Zieleinlauf des Rotterdam Halbmarathon 2005, später signiert vom jungen Weltrekordler. ©Helmut Winter

Sammy Kamau Wanjiru 1986 – 2011 – Erinnerungen an das sehr erfolgreiche und kurze Leben eines Stars der Marathonszene – Ein Rückblick von Helmut Winter

By GRR 0

Zu den vielen bemerkenswerten Ereignissen in der Marathonszene im Jahr 2011 gehört leider auch der plötzliche Tod eines des bedeutendsten Läufers der jüngeren Geschichte. Samuel Kamau Wanjiru verstarb an den Folgen von Verletzungen, die er sich beim Sturz vom Balkon seines Hauses in Nyahururu (Kenia) zuzog.

Waren schon die Vorfälle im Vorfeld seines Ablebens ungewöhnlich, mit Affären, Schießereien und Festnahmen, so war erst recht sein Tod mit erheblichen Irritationen verbunden.

Vermutlich werden sich die Dinge ähnlich wie z.B. beim Attentat auf J.F. Kennedy nie zweifelsfrei aufklären lassen. Aktuell bemüht sich der niederländische Journalist Frits Conijn um eine Wertung der pathologischen Befunde und widerlegt in seinem soeben publizierten Buch die These, dass Wanjiru allein an den Folgen seines Sturzes gestorben sei.

Aber schlüssig rekonstruieren kann Conijn die Ereignisse in der Nacht des 15. Mai 2011 auch nicht. Und selbst wenn dies gelänge, auf die Straßen dieser Welt wird niemand den kenianischen Superstar zurückholen können. Was bleibt sind bestenfalls Erinnerungen an eine außergewöhnliche Läuferkarriere, die viel zu früh ein unrühmliches Ende fand.

sammyIn der Entwicklung des Läufers Wanjiru hat Japan eine wichtige Rolle gespielt. Deshalb ist es auch von besonderem Interesse, an diese Zeit zu erinnern und diese zu reflektieren. Und das hat mit bewundernswerter Akribie Brett Larner aus Tokyo gemacht, der in einer Reihe sehr ausführlicher Interviews mit wichtigen Wegbegleitern während Wanjirus Zeit auf der Insel diesen Dingen nachgegangen ist. Die Interviews hat Larner ins Englische übersetzt und die entsprechenden Links sind – soweit relevant – am Ende dieses Beitrags aufgeführt.

Sammy begann mit etwa 10 Jahren zu laufen. Seine Mutter war eine aktive Läuferin, aber nur sein Cousin, Joesph Riri, lief sich mit 2:06:49 (Berlin 2004) in die Weltklasse. Sein Talent offenbarte er mit 15 Jahren in einem 5000 m Lauf in 14:06 nach einem täglichen Training von nur 30 Minuten. Samuel Kabiru (10000m 27:59) war zu jener Zeit an der Sendai Ikue High School in Japan und vermittelte nach einem Crosslauf über den japanischen Scout Shunichi Kobayashi ab Frühjahr 2002 den Aufenthalt Wanjirus in Sendai.

Das ungewohnt viele Training machte ihm anfangs genau soviel zu schaffen wie die kalten Winter. Innerhalb eines Jahres lernte er die wesentlichen Elemente der japanischen Sprache, gewann wichtige Crossläufe und stellte Etappenrekorde bei den High-School-Ekiden auf. Nach dem Schulabschluss in Sendai im April 2005 ging er in den Süden Japans in die Nähe von Fukuoka zum Team Toyota Kyushu, wo er vom Silbermedaillengewinner im Marathon 1992, Koichi Morishita, mit großer Umsicht und Rücksicht auf sein Leistungspotential trainiert wurde.

Dort setzte eine beeindruckende Leistungssteigerung ein, die sich bereits im Sommer bei der Golden League in Brüssel über 10000 m in 26:41.75 manifestierte. Da vor ihm Bekele einen Weltrekord lief, fand diese Zeit, immerhin Junioren-Weltrekord, nur geringe Beachtung. Das änderte sich schon einen Monat später als er in Rotterdam den Weltrekord im Halbmarathon um eine Sekunde auf 59:16 verbesserte. Aber dies kam für Insider nicht ganz überraschend, denn im Juli zuvor war er bereits 59:43 beim Sendai-Halbmarathon gelaufen.

In den beiden Jahren danach setzte er diese Entwicklungen konsequent fort. Nachdem Haile Gebrselassie ihm im Januar 2006 mit 58:55 seinen Weltrekord in Arizona abnahm, konterte er mit 58:53 gut ein Jahr später in Ras Al Khaimah. Diese Zeit konnte wegen fehlender Dopingtests nicht anerkannt werden. Aber schon am 17. März 2006 ging er in Rotterdam erneut an den Start und verbesserte den Rekord auf eine Zeit von zunächst 58:35, die später auf 58:33 korrigiert wurde. Nur Zersenay Tadesse aus Eritrea war bis heute jemals schneller als Wanjiru über diese Distanz.

Mit diesen Leistungen war Wanjiru in der Weltspitze des Straßenlaufs angekommen, noch nicht einmal 20 Jahre alt. Konsequenterweise waren die Erwartungen hoch und Menschen mit diversen Motivationen waren an dem jungen Kenianer interessiert. So geriet er auch in Kontakt mit dem italienischen Manager Federico Rosa, der ihn unter Kontrakt nahm. Nach einer Serie von Verletzungen nahm er den Marathon ins Visier, sein Debut war für den New York City Marathon ins Auge gefasst, ein Vorhaben, dass aus diversen Gründen scheiterte.

Dafür gab es dann im Dezember 2007 ein beeindruckendes Debüt beim Fukuoka-Marathon, wo er nach verhaltenem Beginn mit einem schnellen Finale den Kursrekord auf 2:06:39 steigerte. Wohl niemals hat ein Läufer derart locker eine solche Zeit erzielt, Wanjiru war nach dem Zieleinlauf kaum verschwitzt und schnell erholt. Nach dieser Premiere waren die Erwartungen hoch.

Und die sollten sich schon im August 2008 bei den Olympischen Spielen in Beijing glanzvoll bestätigen, nachdem Wanjiru im Frühjahr beim London-Marathon in London bereits Zweiter in 2:05:24 wurde. In Beijing war er vom Start weg an einem für Meisterschaftsrennen ungewöhnlich hohen Tempo beteiligt und gewann die erste Goldmedaille Kenias im Marathon in der phänomenalen Zeit von 2:06:32.

Aus der Rückschau kann dieser Sieg Wanjirus als seine vermeintlich beste Leistung eingeschätzt werden. Denn seine danach einsetzenden Jagden auf den Marathon-Weltrekord waren nicht von Erfolg gekrönt, obwohl er alle verbleibenden Marathons gewann.

2009 steigerte er sich als Sieger beim London-Marathon auf 2:05:10 (das blieb am Ende auch seine persönliche Bestzeit) und auch im Oktober unterbot er knapp in 2:05:41 den Kursrekord in Chicago. Diese Platzierungen brachten ihm dann auch den Gewinn der Marathon Majors 2008-2009. Und auch für 2009-2010 gewann er diese Auszeichnung der größten Stadtmarathons und Meisterschaftsläufe.

Zu dieser Zeit hatte Sammy aber schon seinen Zenit überschritten, in den Interviews von Brett Larner ist zu dieser Thematik einiges zu erfahren. Wegen einer Knieverletzung sagte er den London-Marathon 2010 ab, dafür sorgte er schon bald auf anderen Gebieten immer wieder für Schlagzeilen: ein Autounfall, unerlaubter Waffenbesitz, vermeintliche Alkoholprobleme, Arrest, etc.

Angesichts dieser Entwicklungen war es dann schon überraschend, zu welcher Leistung Wanjiru beim Chicago-Marathon 2010 fähig war. In einem denkwürdigen Kampf auf den letzten km besiegte er am Ende in 2:06:24 den Äthiopier Tsegaye Kebede, der gleichfalls noch Aussichten auf den Gewinn der 500.000 $ Prämie der Marathon Majors hatte. Zu diesem Zeitpunkt konnte noch keiner erahnen, dass dies der letzte Auftritt Wanjirus über die volle Marathondistanz war.

Neben der 1 Millionen $ der Marathon Majors kamen in den letzten Jahren weitere erhebliche Antritts- und Siegprämien dazu, ferner lukrative Ausrüstungsverträge. Diese Situation hatt den jungen Kenianer offensichtlich überfordert, zumal die Zugehörigkeit zur Weltklasse im Leistungssport nur durch kontinuierliches Training am Leistungslimit gehalten werden kann.

Menschen, die es maßgeblich auf sein Geld abgesehen hatten, sind solche Randbedingungen fremd. Das Desaster – wenn auch nicht sein Tod – war immer mehr abzusehen. Das Ansinnen und die Einsicht, den negativen Einflüssen in der kenianischen Heimat entrinnen zu wollen, kamen für ihn zu spät. Diese Entwicklungen hatten mit dem Weggang aus Japan bereits seinen Lauf genommen; auch dies wird eindrucksvoll in den Interviews von Larner vermittelt.

Bei der Diskussion der Umstände, die zu seinem Tod führten, scheint erwähnenswert, dass Sprünge vom Balkon durchaus nicht ungewohnt für ihn waren, nachdem er sich nach Trainingsläufen aus dem Haus Getränke besorgt hatte. In alkoholisiertem Zustand könnte ihm vielleicht diese Gepflogenheit das Leben gekostet haben. Aber – wie schon angemerkt – wird sich dies wohl nie zweifelsfrei aufklären lassen.

Was bleibt sind Erinnerungen an das kurze und intensive Leben eines Läufers, der grandiose Leistungen im Straßenlauf erzielte, der mit dem schnellen Ruhm und Wohlstand aber schlichtweg überfordert war, weil er in die falschen Hände und nicht die Kraft und die Persönlichkeit besaß, sich gegen diese verheerenden Entwicklungen zu stemmen. Schon im Jahr seines Todes wurden alle seine wichtigen Bestmarken ausgelöscht, bleiben werden aber die Erinnerungen an den ersten kenianischen Olympiasieg auf der Königsdistanz in grandioser Manier.

In den Interviews von Brett Larner mit Sammy Wanjirus wichtigsten Weggefährten während seiner Zeit in Japan leben diese Erinnerungen noch einmal auf:

 

Sammy Kamau Wanjiru, eine grandiose Karriere mit allen Höhen aber auch Tiefen, die ein (Läufer-)Leben zu bieten hat.

 

Bleibt zu wünschen, dass sich künftige Läufergenerationen auch ein mahnendes Beispiel an ihm nehmen.

 

Helmut Winter 

 

Eine Zusammenfassung sowie Übersicht zu den Interviews von Brett Larner finden sich unter:

https://japanrunningnews.blogspot.com/2011/12/japan-in-wanjiru.html und unter:

https://japanrunningnews.blogspot.com/2011/12/japan-in-wanjiru-in-conclusion.html

Das Interview mit seinem Trainer in seiner Zeit bei Toyota Kyushu Koichi Morishita gibt es unter:

https://japanrunningnews.blogspot.com/2011/12/japan-in-wanjiru-koichi-morishita.html

Ferner sehr interessant sind die Interviews mit seinen Mitstreitern Stephen Mayaka unter:

https://japanrunningnews.blogspot.com/2011/12/japan-in-wanjiru-stephen-mayaka.html

sowie Yu Mitsuya und Masato Imai unter:

https://japanrunningnews.blogspot.com/2011/12/japan-in-wanjiru-yu-mitsuya-and-masato.html

 

author: GRR

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