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21
02
2012

Skilangläufer auf dem Yukon River ©Mark Gillette

Heiß oder Kalt? – Ultramarathon extrem! Teil 2 – Dr. Ronald Musil berichtet

By GRR 0

Der PLAYBOY schrieb in seiner Ausgabe 09/2005: „Langweilt Sie ein Straßenmarathon? Sind Sie so eisern, dass Sie beim Triathlon-Klassiker, dem „Iron Man" auf Hawaii, nur noch gähnen? Dann sind Sie fit für größere Herausforderungen."

An zweiter Stelle führt die unter Sportlern nicht unbedingt zur Standardliteratur zählende Zeitschrift den Yukon Arctic Ultra, noch vor dem Badwater Ultramarathon und damit dem härtesten Ultramarathon der Welt. An erster Stelle wird übrigens das Radrennen Race Across America geführt, ein Nonstop-Rennen über 4900 km, 135.000 Höhenmeter, durch 14 US-Staaten von San Diego (Westküste) nach Atlantic City (Ostküste).

So ganz unberechtigt scheint die Rangfolge und damit die Einordnung des Yukon Arctic Ultra nicht zu sein, wenn man sich zunächst die reinen Fakten anschaut. Die Teilnehmer haben seit 2003 die Möglichkeit, das Rennen per Pedes, Ski oder Mountainbike zu absolvieren. Zudem besteht die Möglichkeit, sich zwischen den folgenden Distanzen zu entscheiden: Marathon, 100 Meilen, 300 Meilen und 430 Meilen (nur jedes zweite Jahr, das nächste Mal in 2013). Der Start erfolgt in Whitehorse (Yukon – Kanada).

Während sich die zu absolvierenden Strecken bereits wie ein Alptraum anhören, sind die Temperaturen, die die Teilnehmer erwarten, für die meisten unvorstellbar. Die kälteste jemals gemessene Temperatur beträgt minus 62 Grad Celsius und der kälteste Start erfolgte bei minus 42 Grad Celsius. In Deutschland wird in diesem Winter bei bis zu minus 20 Grad Celsius gejammert und von sportlicher Tätigkeit im Freien eher abgeraten?!

Der Marathon endet am Takhini River. Das 100-Meilen-Rennen geht von Whitehorse nach Braeburn. Die Teilnehmer des 300-Meilen-Rennens müssen den ganzen Weg bis nach Pelly Farms zurücklegen. Dort verlassen sie den Fluss und kommen auf dem Zufahrtsweg der Farm zurück nach Pelly Crossing. Die Athleten des 430-Meilen-Rennens bleiben auf dem Yukon Quest Trail nach Norden bis zum Ziel in Dawson City. Nur um nochmals die Entfernung, die die Teilnehmer absolvieren, deutlich zu machen: 100 Meilen entsprechen 160,93 km, 300 Meilen demzufolge 482,80 km und 430 Meilen damit 692,02 km. Dann ist nachvollziehbar, dass der Großteil der Teilnehmer eben nicht läuft sondern marschiert.

Bei der Distanz über 100 Meilen sind lediglich zwei Checkpoints eingerichtet, bei der über 300 Meilen insgesamt derer acht in einem durchschnittlichen Abstand von 37,5 Meilen.

Der Trail ist markiert. Allerdings kann es aufgrund von Neuschnee oder Schneeverwehungen schwierig sein, die Markierungen zu finden. Es kommt auch vor, dass Markierungen von Ski-doos überfahren oder an manchen Stellen herausgerissen werden.

Der Yukon Arctic Ultra folgt dem Yukon Quest (härtestes Hundeschlittenrennen der Welt) und wird im Non-Stop-Modus ausgetragen. Entgegen der weithin bekannten Etappenrennen, wie die von Ingo Schulze organisierten Deutschland- und Transeuropaläufe, müssen sich die Teilnehmer die Pausen selbst einteilen. Die Uhr läuft während der Pausen gnadenlos weiter. Das ist eben sehr viel nervenaufreibender als ein Etappenrennen, bei dem es eine tägliche Startzeit gibt.

Zwar führt das Zeitlimit mitunter dazu, dass bei Etappenrennen Läufer bei Nichteinhalten dieses Limits aus dem Rennen genommen werden. Tägliche regelmäßige Schlafeinheiten schaffen aber die Möglichkeit, sich zu erholen. Zudem wird unter Etappenläufern insbesondere die Geselligkeit vor und nach der täglichen Laufeinheit geschätzt und ist mit ein Grund, an derartigen Rennen teilzunehmen.

Beim Yukon Arctic Ultra ist der Teilnehmer viel allein. Während der eine dieses Alleinsein genießen kann, ist dies für den anderen nur schwer zu verkraften. Zudem sind die Teilnehmer entsprechend der persönlichen Einteilung auch viel nachts unterwegs. Ich freue mich immer sehr auf die Nacht, bin aber dabei wohl eher eine Ausnahme. Vielen Läufern macht das Laufen während der Nacht nicht nur keinen Spaß, sondern ist häufig emotional schwer zu verkraften. Hier gilt umso mehr die bei Ultramarathonis bekannte Formel, dass vielleicht 70% des Erfolgs der Kopf ausmacht und nur 30% durch die körperliche Leistungsfähigkeit entschieden wird.

Die Ausrüstung ist beim Yukon Arctic Ultra noch wichtiger als bei anderen Ultramarathons. In der Szene der Ultramarathonläufer wird das Für und Wider einer Pflichtausrüstung sehr kontrovers diskutiert und die Diskussion soll an dieser Stelle sicher nicht erneut geführt werden, unstrittig ist bei diesem Extremrennen doch wohl aber die besondere Verantwortung des Veranstalters, der die nachfolgende Mindestausrüstung vorschreibt:

Stirnlampe, Ersatzbatterien, Sturmfeuerzeug, Zündhölzer in wasserdichtem Behälter, Brandbeschleuniger, Schlafmatte, Schlafsack mit Extrem Zone -35 Grad Celsius oder kälter (nach Norm EN 13537), Biwaksack, Signalpfeife, Kompass, Persönliches Erste Hilfe Set (inkl. Blasenpflaster, Rettungsdecke, Chemische „Heat Pads", Medizin gegen Übelkeit, Medizin gegen Durchfall, Vaseline o.ä. Desinfektionsmittel, Pflaster), Kocher und Benzin zum Schmelzen von Schnee u. Zubereitung von Mahlzeiten, Topf, Tasse, Schüssel und Löffel, Ausreichend Notfall-Nahrung für 48 Stunden, kleine Säge.

All diese Dinge können sinnvoll nur transportiert werden in einer Pulka, einem bootsähnlich konstruierten Schlitten.

Wer nun noch keine entsprechende Winterausrüstung hat und diese sich erst kaufen muss, kann schnell viel Geld ausgeben. Allein die Pulka kostet inkl. Zuggeschirr schnell 700,00 €. Allerdings können einige Ausrüstungsgegenstände, wie Schlafsack oder Pulka auch ausgeliehen werden. Auch die Startgebühren müssen erst einmal aufgebracht werden.

So zahlt der Teilnehmer (bis einschließlich 31.01.2012) für den Marathon 150 €, 100 Meilen – 950 € und die 300 Meilen – 1.550 €. Dafür erhält der Teilnehmer das Buffet-Dinner beim Pre-Race-Meeting, ein T-Shirt, Verpflegung an den Checkpoints und den Rücktransport nach Whitehorse.

 

Ein wenig Statistik sei auch für den Yukon Arctic Ultra erlaubt, weil natürlich besonders interessant:

 

Seit 2003 wird bekanntlich dieses Extremrennen ausgetragen. Seitdem haben insgesamt 354 Teilnehmer aus insgesamt 26 Nationen versucht, den Trail erfolgreich zu absolvieren, davon 20% Frauen. Letztlich spricht eine Finisherquote von 66% durchaus für die gute Vorbereitung und die mentale Stärke der Teilnehmer. Die Teilnehmer des 300-Meilen-Laufs bilden mit 36% die stärkste Fraktion, die des 430-Meilen-Laufs mit 12% naturgemäß die kleinste.

Während der acht Veranstaltungen haben 91% versucht, die Strecken per pedes, 5% per Ski, 3% per Mountain-Bike und 1% mit Schlittenhunden zu absolvieren. Die meisten Teilnehmer kamen aus England (94), Kanada (81) und Deutschland (54).

In der Ultramarathonszene geistert die Information, dass die Teilnehmer, die vorzeitig aus dem Rennen ausscheiden, in Zukunft nicht mehr an einem Yukon Arctic Ultra teilnehmen können.  Das konnte mir Veranstalter Robert Pollhammer so nicht bestätigen. Vielmehr werden nur dann Teilnehmer nicht mehr zugelassen, wenn sie ganz offensichtlich nicht mit der extremen Kälte umgehen können bzw. die ernsthafte Befürchtung besteht, dass der Teilnehmer bei einer erneuten Teilnahme sich wieder verletzt. Besonders kritisch seien in diesem Zusammenhang Erfrierungen. Hat man einmal Erfrierungen erlitten – so Robert Pollhammer – ist man sehr viel empfindlicher und die Wahrscheinlichkeit viel größer sich Erfrierungen zu zuziehen.

Dieses Jahr herrschte schon fast eine „Hitzewelle". Nur die ersten beiden Nächte waren mit minus 30 Grad Celsius eher frisch. Danach war es ungewöhnlich warm, was die Teilnehmer aber auch vor große Probleme stellte. Denn der Trail wird weich und verlangsamt das Tempo. Außerdem werden die Fußgelenke noch viel stärker beansprucht, die Pulka gleitet weniger.

Vor diesem Hintergrund sind die Leistungen der Finisher umso bewundernswerter. Der Sieger der 100-Meilen-Distanz Justin Wallace stellte mit schier unglaublichen 21:41:00 h einen neuen Streckenrekord auf. Auch die Leistungen der folgenden Finisher soll an dieser Stelle gewürdigt werden. Der Zweite Derrick Spafford mit 23:18:00 h und die beste Frau und zugleich Gesamtdritte Verena Koenig mit 27:53:00 h haben tolle Zeiten hingelegt. Teilnehmer von 100-Meilen-Läufe können diese Zeiten sehr wohl einordnen und zollen den Finishern gebührenden Respekt.

Das ein Leser dieser Zeilen mal eben so 300 Meilen Nonstop absolviert ist schon kaum vorstellbar, unter den Bedingungen im Yukon wird die Anzahl derjenigen, die sich diese Strapaze vorstellen können noch weniger. Der Sieger der 300-Meilen-Distanz in diesem Jahr der Schweizer Filippo Genucchi war nach 147:02:00 h im Ziel, der Zweite Tim Williamson nach 173:53:00 h und der Dritte Rejean Moreau nach 181:12:00 h. Ich kann mich nicht tief genug verbeugen, um diesen Athleten Respekt zu zollen.

Möchte an dieser Stelle mich zudem besonders beim Veranstalter Robert Pollhammer bedanken, der mich mit Material gefüttert und immer zeitnah auf meine Anfrage geantwortet hat.

 

Fazit:

 

Ähnlich wie andere Extremrennen ist die Teilnahme am Yukon Arctic Ultra nicht nur eine besondere Herausforderung an Körper und Geist, sondern auch an die finanziellen Ressourcen. Dafür erhält man ein unvergleichliches Erlebnis in extremer Wildnis bei extremer Kälte.

 

 

Dr. Ronald Musil
Tel.: 030-24729266
Die Herausforderung!
100MeilenBerlin
Der Mauerweglauf
www.100meilen.de

 

100MeilenBerlin – Der Mauerweglauf. 17./18. August 2013.

 

 

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author: GRR

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