2011 IAAF World Outdoor Championships Daegu, South Korea August 27-September 5, 2011 Photo: Takashi Ito@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET
Stabhochspringerin Jelena Isinbajewa Russland braucht den Superstar – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
Am Sonntag hat Jelena Isinbajewa bei der Hallen-WM ihrer Sammlung einen weiteren Titel hinzugefügt: Sehr zur Freude der Staatsmacht und der Oligarchen verlängert die russische Stabhochspringerin ihre Karriere.
„Ich bin immer noch unschlagbar. Denn niemand außer mir kann fünf Meter springen.“ Jelena Isinbajewa tut so, als habe sich nichts verändert. Doch alles ist anders. Außer, dass sie mit 29 Jahren immer noch die beste Stabhochspringerin der Welt ist.
Seit zweieinhalb Jahren allerdings kämpft die Russin darum, das auch zu beweisen. Der erste Einbruch kam in Berlin. Da scheiterte sie 2009 bei der Weltmeisterschaft ohne einen gültigen Versuch: Salto Nullo für die Olympiasiegerin von Athen 2004 und von Peking 2008, für die Weltmeisterin von Helsinki 2005 und von Osaka 2007. Gerade 27 Jahre alt, war sie satt und müde geworden.
Koenigin Isinbajewa übernimmt wieder das Zepter © dapd
Ein weiterer Weltrekord: Jelena Isinbajewa spring 5,01 Meter
Dabei hatte sie noch ein Jahr vor der WM im Vogelnest von Peking, als alle Wettbewerbe beendet waren, erlebt, wovon andere Sportler ihr Leben lang träumen. „80.000 Leute schrien für mich“, erinnert sie sich. „Ich reiste heim und fühlte mich wie Juri Gagarin, als er aus dem Weltraum zurückkehrte.“
Sie hatte sich selbst geschlagen
Die Landung in Berlin war hart, aber nicht so hart, dass sie etwas verändert hätte. Gleich nach der verpatzten WM steigerte die mit angeblich 1,5 Millionen Dollar pro Jahr bestbezahlte Leichtathletin der Welt in Zürich den Freiluft-Weltrekord auf 5,06 Meter. Doch bei der Hallen-Weltmeisterschaft Anfang 2010 in Doha wurde sie nur Vierte – da realisierte sie, dass nicht die anderen sie besiegt hatten, sondern dass sie an sich selbst gescheitert war.
Sie machte Pause. „Ein Monat verging, zwei Monate vergingen, drei Monate vergingen, und dann hatte ich keine Lust mehr auf Shopping“, erzählt sie. „Das Leben einer normalen Frau ist langweilig.“
Koenigin Isinbajewa übernimmt wieder das Zepter © dapd
Der freie Fall nach dem Flug: Jelena Isinbajewa
Im Sommer 2011 bestritt sie wieder Wettkämpfe, gewann und flog als Favoritin zur Weltmeisterschaft in Daegu. Dort war es schon wieder vorbei mit dem Höhenflug. Zum dritten Mal nacheinander scheiterte sie im Kampf um einen Titel. Ihr bester Sprung von 4,65 Meter trug sie auf Platz sechs. Die Brasilianerin Fabiana Murer flog zwanzig Zentimeter höher und gewann Gold, die Deutsche Martina Strutz übertraf sie um 15 Zentimeter und holte Silber.
19 der 20 besten Sprünge
Jetzt aber ist es wieder so weit: Am Sonntagnachmittag hat Jelena Isinbajewa mit einer Höhe von 4,80 Metern in Istanbul die Hallen-Weltmeisterschaft gewonnen, zum vierten Mal, wie bereits in Budapest 2004, Moskau 2006 und Valencia 2008. Isinbajewa scheiterte in der Ataköy Athletics Arena zwar mit dem Versuch, ihren Weltrekord auf 5,02 Meter zu verbessern.
Trotzdem ist Comeback Nummer drei bislang hervorragend verlaufen: Vor zwei Wochen schwang sich Jelena Isinbajewa in Stockholm zu 5,01 Meter in der Halle auf: ihrem 29. Weltrekord. Der Luftraum eine Handbreit über und unter der Fünf-Meter-Marke gehört in den Hallen und Stadien der Welt ihr.
Jelena Isinbajewa ist die einzige Frau, die jemals 4,93 Meter und höher gesprungen ist, sie allein hält neunzehn der zwanzig besten Sprünge in Halle und Stadien. Die Konkurrenz fliegt deutlich unter ihrem Radar. „Ich kämpfe nur gegen mich“, ist noch eine der freundlicheren Formulierungen, mit der sie das beschreibt. Manchmal sagt sie auch: „Sie sollen erst mal 4,80 Meter springen, dann sind sie Rivalinnen.“
Im Dienste des Staates
Mit der Vergabe der Leichtathletik-Weltmeisterschaft 2013 nach Moskau hat sich die Karriere der Jelena Isinbajewa um ein Jahr verlängert. Statt nach den Spielen von London als dreimalige Olympiasiegerin abzutreten und eine Familie zu gründen, wie sie sich das ausgemalt hatte, wird sie gebraucht, wenn Russland sich herausputzt als Bühne des Weltsports. Der Leichtathletik-WM werden die Olympischen Winterspiele in Sotschi 2014 und die Fußball-Weltmeisterschaft 2018 folgen.
Für dieses Jahr des Sports ist sie das Gesicht, strahlend und weiblich. Staatsmacht und Oligarchen haben Jelena Isinbajewa, den einzigen Star der russischen Leichtathletik, überzeugt, ihr Leben zwischen Trainingslager an der Adria und Wohnung in Monte Carlo aufzugeben und heimzukommen. Roman Abramowitsch engagierte sich mit vollen Händen für die Renovierung der verkommenen Trainingshalle in ihrer Heimatstadt Wolgograd, dem einstigen Stalingrad.
Anhängerin Putins
Wladimir Putin nahm sie mit, als er in Zürich um die Fußball-Weltmeisterschaft warb. „Ich unterstütze Putin“, sagt sie und schimpft auf die Demonstranten gegen den neu gewählten Präsidenten. „Ich weiß nichts von Bildung und Medizin, aber ich kenne mich aus mit Sport. Er hat eine Menge dafür getan. Wenn du Olympiasieger bist, hast du in Russland ein hohes Ansehen. Er gibt uns ein sehr gutes Gehalt, Autos und hübsche Appartements in Moskau.“
Diese Art von Patriotismus und die Aussicht, ihre Eltern häufiger zu sehen, bewogen die Stabhochspringerin, mitten im Sommer 2011 Trainer Witali Petrow nach fünfjähriger Zusammenarbeit zu verlassen und zu Jewgeni Trofimow zurückzukehren, der ihr die Grundlagen des Stabhochsprungs beibrachte, als sie mit fünfzehn Jahren vom Turnen zu ihm kam, und den sie 2006 Hals über Kopf verließ.
Ihr gemeinsamer alter Klub Lokomotive Wolgograd, die Sportvereinigung der Eisenbahner, existiere zwar nicht mehr. Sie wolle aber der Gesellschaft etwas zurückgeben, sagt sie. Deshalb hat sie sich der Sportvereinigung Dynamo angeschlossen.
Nun hat sie die erste Goldmedaille geliefert.
Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag, dem 11. März 2012