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2012

2012 Ostrava Track Meet Ostrava, Czech Republic May 24, 2012 Photo: Jiro Mochizuki@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

Zurück aus der Hölle – Michael Reinsch, Ostrava in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

31.05.2012 ·  Pamela Jelimo war ausgebrannt, Caster Semenya gebrandmarkt – zwei junge Frauen mit Vergangenheit wollen in London Olympiasiegerin über 800 Meter werden. Eine Altmeisterin traut ihnen sogar den seit drei Jahrzehnten ungebrochenen Weltrekord zu.

Ein bisschen wirkte es wie Seifenoper oder Castingshow: Zwei junge Frauen posierten als Figuren, von denen man nicht so recht wusste, ob sie echt sind. Pamela Jelimo, Olympiasiegerin über 800 Meter von Peking, trug einen engen blauen Pullover, dezenten Schmuck und braven Zopf: das schmächtige Girly. Caster Semenya, Weltmeisterin von Berlin 2009 auf derselben Strecke, betonte mit ärmellosem Shirt mächtige Bizeps und breiter Brust.

Die Haare nach hinten gegelt, gab sie den unzähmbaren Halbwüchsigen. Man dürfte lachen über die Maskerade der Kenianerin und der Südafrikanerin. Wenn die beiden jungen Frauen nicht ihrer persönlichen Hölle entkommen wären.
 
Pamela Jelimo und Caster Semenya werden an diesem Donnerstag in Rom zum zweiten Mal in dieser Saison im selben Rennen starten. In Ostrava war die Kenianerin Jelimo, die mit dem Gewinn der Hallen-Weltmeisterschaft in Istanbul ein fulminantes Comeback gegeben hatte, in 1:58,49 Minuten so schnell zum Sieg gerannt, dass nicht einmal die Tempomacherin mithalten konnte. „Ich danke Gott, dass ich zurück bin“, sagte sie, „und freue mich auf den olympischen Titel.“

Caster Semenya kam erst mit einem gewaltigen Endspurt auf Platz zwei, in 2:00,08 Minuten, mehr als eine Sekunde hinter der Siegerin. „Ich will in die Fußstapfen meiner Trainerin Maria Mutola treten“, sagte sie trotzdem. Sie ließ keinen Zweifel daran, was ihre Rückkehr krönen soll: „Ich will Olympiasiegerin werden.“
 

Zwei, die sich verstehen: Jelimo und Semenya

Die beiden demonstrieren in Bild und Wort, dass sie den Schrecken, in den sie gerannt waren, hinter sich gelassen haben. Oder sind sie schon wieder auf dem Weg zurück? Der verdorbene Hauch von Gier und Größenwahn lag jedenfalls in der Luft, als die gebrechlich wirkende Jarmila Kratochvilova, aus ihrem Heimatort Caslav nach Ostrava gekommen, darüber räsonierte, dass eine der beiden wohl ihren Weltrekord brechen werde: „Nicht dieses Jahr, da konzentrieren sie sich auf Olympia. Aber vielleicht nächstes Jahr.“ Dann werden die 1:53,28 Minuten seit dreißig Jahren daran erinnern, wie die damals muskelbepackte Tschechin durch die Stadien stürmte und wie der Sport Teil des Wettrüstens im Kalten Krieg war.

Als erste und einzige Frau ist in diesem Jahrtausend Pamela Jelimo der Grenze von 1:54 Minuten nahe gekommen, einem Limit, das nur Jarmila Kratochvilova und die Russin Nadeschda Olizarenko in den achtziger Jahren unterboten. Nur drei Läuferinnen der heutigen Generation haben überhaupt Zeiten unter 1:56 Minuten erreicht: Jelimo (1:54,01), Semenya (1:55,45) und die später wegen Epo-Dopings suspendierte Slowenin Jolanda Ceplak (heute Batagelj/1:55,19). Maria Mutola lief 2003 im Alter von dreißig Jahren 1:55,55.
Jelimo kam aus dem Nichts

Sie sei erst achtzehn gewesen, sagte Pamela Jelimo, als sie an 2008 erinnerte: an die Saison, in der sie aus dem Nichts kam, Junioren-Weltrekord lief, die Goldmedaille von Afrika-Meisterschaft und Olympischen Spielen sowie den Jackpot von einer Million Dollar der Golden League gewann. So fürchterlich überlegen war sie, die Unbekannte mit kurz geschorenem Haar, dass ihr Manager sie zum Geschlechtstest schickte, um sie vor Gerüchten und Nachrede zu schützen.

Im nächsten Jahr reagierte plötzlich der Körper nicht mehr, weder auf Training noch auf Herausforderungen im Rennen. „Es war nicht Reichtum, nicht meine Hochzeit“, sagt sie heute, „nur Erschöpfung“. Sie ersparte es sich, von den Nachbarn in Kapsabet zu sprechen, die sie als Heldin gefeiert hatten und im Moment der Schwäche verhöhnten und verspotteten. Bei der Weltmeisterschaft in Berlin, ein Jahr nach ihrem Olympiasieg, gab Pamela Jelimo auf. Sie war am Ende.

Die schweren Seiten des Lebens kennt auch Caster Semenya. „Familie und Manager haben mir geholfen. Das neue Training schlägt an. Das Leben ist gut.“
Als sie vor drei Jahren Weltmeisterin wurde, war das anders. Statt ihrer erschien in Berlin ein Funktionär auf der Pressekonferenz und rief: „This lady is a man.“ Doch so einfach war die Sache nicht. Belegt mit einer Wettkampfsperre und begleitet von Skandalgeschrei musste Caster Semenya sich einer Vielzahl von Untersuchungen unterwerfen. Deren Ergebnis wurde nie bekannt, und auch der Inhalt der Einigung zwischen ihrem Management und dem Weltverband IAAF ist geheim.

Seit Juli 2010 darf Semenya wieder in Frauenrennen starten. Mit dem Gewinn der Silbermedaille von Daegu 2011 kam sie zurück. Äußerlich wirkt die 21 Jahre alte Läuferin unverändert; über eine Hormontherapie, die eine mögliche Testosteron-Überfunktion ausgleichen könnte, spekuliert niemand mehr. Sie wolle nur nach vorne gucken, sagt Caster Semenya stereotyp, und sich nicht mit der Vergangenheit beschäftigen.
Semenya lief zu viele Rennen

Pamela Jelimo hat ebenfalls einen neuen Trainer, Ben Engelhardt. Er hat sie aus Kapsabet in die Ngong Hills bei Nairobi geholt, um sie zurück zum Laufen zu bringen. Wäre Caster Semenya nicht gesperrt gewesen, sagt deren neue Trainerin Maria Mutola, sondern hätte nach der WM 2009 einige Rennen bestritten, wäre sie wohl Weltrekord gelaufen. Jarmila Kratochvilova erinnert sich, wie sie 2008 über das Tempo von Pamela Jelimo staunte. Sie hätte das Zeug gehabt für den Weltrekord, lobt sie; sie sei aber zu viele Rennen gelaufen.
Bild 2 Leichtathletik © dapd

Weltmeisterin von 2009: Kraftpaket Semenya

Pamela Jelimo und Caster Semenya macht die Aussicht auf eine Bestzeit, die als unerreichbar gilt, keine Angst. „Eines Tages wird der Rekord gebrochen“, tönte die Südafrikanerin. Die schüchterne Kenianerin war kein bisschen bescheidener. „Wenn man stark ist, sich gut fühlt und sein Rennen läuft“, behauptete sie, „fällt der Rekord von allein.“

Echt?

 

Michael Reinsch, Ostrava in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 31. Mai 2012

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