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13
07
2012

Wilson Kipsang siegte überlegen beim London-Marathon und startet damit auch bei Olympia. ©Victah Sailer

„Simply sensational!“ (Teil 3) – Ein Rückblick auf die internationale Marathonszene im ersten Halbjahr2012 – Helmut Winter berichtet

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Der London-Marathon bringt seit vielen Jahren die hochkarätigsten Felder aller Veranstaltungen an die Startlinie. Dieses Jahr machte diesbezüglich keine Ausnahme, zumal die Kenianer den Lauf zu einer Olympiaausscheidung erklärten. Bis auf Moses Mosop und Geoffey Mutai, die eine Woche zuvor in Rotterdam bzw. Boston starteten, waren nicht nur die Kenianer mit ihren Topstars dabei. Auch in London gab es einige Überraschungen.

 

Olympia ohne den Weltrekordler

 

Bereits nach 15 km war dier Weltrekordler schon nicht mehr dabei. Noch an der 10 km Marke (29:34) hatte Patrick Makau, der im September 2011 Haile beim Berlin-Marathon besiegte und mit 2:03:38 den Marathon-Weltrekord zurück nach Kenia holte, die Pacemaker aufgefordert, das Tempo nicht weiter zu verschleppen. Doch nach muskulären Problemen war kurz darauf ein Weiterlaufen zu riskant, Makau stieg aus und wurde später vom Verband für Olympia nicht nominiert. Damit ereilte ihn das gleiche Schicksal wie seinem Landsmann Geoffrey Mutai eine Woche zuvor in Boston. Der Olympische Marathon 2012 wird somit ohne zwei der Topstars der Szene stattfinden.

In Szene setzten sich in London somit andere, von denen insbesondere Wilson Kipsang eine Galavorstellung auf das Londoner Pflaster legte. Schon beim Halbmarathon in sehr guten 62:12 bestimmte der glanzvolle Sieger des Frankfurt-Marathons von 2010 und 2011 das Geschehen. Einem ersten Zwischenspurt konnten noch der Äthiopier Lelisa sowie der amtierende Marathonweltmeister Abel Kirui folgen, aber als es nach 20 Meilen noch 10 km bis ins Ziel waren, setzte sich Kipsang endgültig ab.

Bei seiner Attacke durchlief er die 35 km in 1:42:47, so dass sogar der Weltrekord ins Visier kam. Die Tempoverschärfungen kosteten aber Kräfte, so dass Kipsang am Ende sogar den Streckenrekord aus dem Vorjahr von Emmanuel Mutai mit 2:04:44 um 4 Sekunden verpasste. Die gleiche Zeitdifferenz fehlte ihm auch in Frankfurt 2011 zum Weltrekord. Nach 2:03:42 im Oktober 2011 und dem Sieg in London konnten ihn Kenias Funktionäre für Olympia nicht übergehen. Und in der aktuellen Form ist er einer der heißen Anwärter auf eine Medaille.

Es dauerte dann über zwei Minuten bis überraschend Altmeister Martin Lel (war im Januar in Dubai ausgestiegen) den Spurt um Platz 2 gegen Tsegaye Kebede in 2:06:51 gewann. Der zweifache Weltmeister Abel Kirui zollte seiner ungestümen Aufholjagd in der Mitte des Rennens Tribut und wurde in 2:07:56 nur Fünfter vor Vorjahressieger Emmanuel Mutai in 2:08:01. Kurz danach war aber die Überraschung perfekt: Vermutlich wegen seiner Erfolge als Meisterschaftsläufer wurde Abel trotzdem für Olympia auserkoren. Makau, die beiden Mutais, Lel, etc. bleiben zu Hause.

Neben dieser Entscheidung irritierte das abermalig schwache Abschneiden von Zersenay Tadese aus Eritrea, der im Halbmarathon auch 2012 in Lissabon am 25. März bei schwierigen Bedingungen in 59:34 überzeugte; in den beiden Jahre zuvor war er mit 58:23 und 58:30 Zeiten gelaufen, die nach wie vor unerreicht sind. Ferner gehört Tadese über 10000 m zur erweiterten Weltspitze. Wie ein Mann mit diesem Potential auch im dritten Marathon „nur“ 2:10:41 laufen kann, bleibt ein Geheimnis. Zumal er diesmal nicht nach einer Tempojagd im Schlussteil einbrach.

Ein Blick auf seine Zwischenzeiten zeigt, dass er die sechs (!) Minuten auf den Sieger recht kontinuierlich verlor, so als ob seine läuferischen Fähigkeiten sehr begrenzt erscheinen. Wer aber im Halbmarathon die Weltelite in Grund und Boden läuft, müsste eigentlich nach einigen Jahren auch im Marathon Topzeiten erzielen.

Aber vielleicht braucht es in dieser Sache noch etwas Geduld ….

 

Mary auf Paulas Spuren

 

Auch der Lauf der Frauen war in London traditionell erstklassig besetzt. Die drei Erstplatzierten werden wir in London im August bei Olympia noch einmal erleben. Allen voran Mary Keitany, die sich nach dem Leistungseinbruch nach dem ungestümen Beginn beim New York Marathon 2011 diesmal ein moderates Tempo an der Spitze einhielt und erst nach dem Halbmarathon in 1:10:53 mit ihren Landfrauen schneller wurde. Beindruckend ihre 10 km von 30 km nach 40 km in 31:54 und ihr Schlusspart in 6:51 von der 40 km-Marke ins Ziel, den selbst der Sieger bei den Männern in 6:46 nur unwesentlich schneller zurücklegte.

Nach der tollen Zeit von 2:18:37 war Mary im Ziel und nahm dabei Edna Kiplagat (2:19:50) auf dem letzten 5 km noch über eine Minute ab. Dritte wurde Priscah Jeptoo in 2:20:14. Keitany verbesserte den kenianischen Rekord von Catherine Ndereba um 10 Sekunden und lief die zweite Hälfte mit 1:07:44 in Dimension einer Paula Radcliffe, die 2003 bei ihrem Weltrekord an gleicher Stelle diesen Part in 1:07:23 schaffte.

Ein Aufeinandertreffen von Mary mit Paula wird es bei Olympia geben. Aber selbst, wenn Paula ihre gesundheitlichen Probleme bis dahin in den Griff bekommt, ist es schwerlich vorstellbar, dass die Britin noch einmal auf dem aktuellen Niveau von Keitany laufen könnte. Dies gilt sicher auf für Irina Mikitenko, die aber mit Platz 7 in 2:24:04 durchaus überzeugen konnte und in Sachen Marathon die einzige deutsche Läuferin ist, die international hochwertige Leistungen abliefert und halbwegs mithält.

 

Haile glänzt in Manchester

 

Nach Tokyo und Wien ging Haile Gebreselassie beim Great Manchester Run über 10 km wieder an den Start. Doch im Gegensatz zu den beiden Vorjahren, wo er eine selektierte Konkurrenz besiegte, war diese 2012 ausgesprochen hochklassig. Neben Marathonweltrekordler Patrick Makau waren vor allem seine Landsleute Tsegaye Kebede und Ayelo Abshero dabei, bezeichnender Weise hatte sich Abshero durch seinen Sieg in Dubai auch gegen Haile und Kebede bei der Marathon-Olympiaqualifikation des äthiopischen Teams durchgesetzt.

Was der „alte Mann“ der Szene in Manchester gegen diese Konkurrenz zeigte, war nahezu sensationell. Schon nach 3 km in 8:05 konnte keiner seiner Konkurrenten dem kleinen Äthiopier mehr folgen, der in hochklassigen 13:31 die 5 km mit 8 Sekunden Vorsprung passierte, um am Ende mit 17 Sekunden vor Kebede und Abshero in 27:39 zu gewinnen. Dies war in dieser Deutlichkeit im Vorfeld nicht unbedingt zu erwarten.

Und auch eine Woche später lieferte Haile bei sommerlichen Temperaturen im holländischen Hengelo noch einmal ein tolles 10000 m Rennen auf der Bahn ab, in dem er aber auf der letzten Runde seinen jüngeren äthiopischen Kontrahenten nicht mehr folgen konnte und dort fast 10 Sekunden verlor. Der Bekele Bruder Tariku lief sich mit 27:11,70 nach Olympia, während Haile mit 27:20,39 eine für die Bedingungen noch sehr beachtliche Zeit erreichte. Nur für einen Start auf der Bahn im Londoner Olympiastadion reichte dies nicht mehr.

2012 markiert somit den Anfang vom Ende einer einmaligen Karriere auf den Laufbahnen und den Straßen dieser Welt. Seine (nicht nur sportliche) Lebensleistung dürfte für lange Zeit unerreicht bleiben.

Helmut Winter

 

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author: GRR

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