Matthias Hell - Olympia-Architektur damals und heute - pünktlich zur Olympiade 2012 und dem 40. Jubiläum der Olympiade 1972 erschienen 157 Seiten mit vielen Farbfotos Festeinband, Format 24,5 x 20,5 cm ISBN 978-3-937090-63-4 ©München Verlag
Lesetipps – Olympische Spiele 1972 in München – ein Rückblick in Büchern – Eine US-Journalistin: „Was war das ein schöner, fröhlicher Ort!“ – Prof. Dr. Detlef Kuhlmann stellt vor
Vom 26. August bis 11. September 1972 fanden in München die Spiele der XX. Olympiade statt. Die Wettbewerbe im Kanu wurden in Augsburg, die im Segeln in Kiel ausgetragen. Vor 40 Jahren waren 7.170 Aktive, darunter 1.095 Athletinnen aus insgesamt 122 Mannschaften zu Gast in der Bundesrepublik Deutschland.
Die Anzahl der Aktiven bedeutete damals einen Teilnahmerekord bei Olympischen Spielen. Medaillen wurden in 21 Sportarten bzw. 195 Wettbewerben vergeben. Soweit die „historischen" Basis-Fakten … anhand einer Präsentation von drei neueren ausgewählten Büchern zu den Olympischen Spielen 1972 von München soll an den 40. Jahrestag der Spiele erinnert werden:
Was ist geblieben von den Spielen 1972 in München? Wer so fragt, denkt zunächst vermutlich an das architektonische und an das künstlerische Erbe. Der Bild-Text-Band des Münchener Politikwissenschaftlers und freien Journalisten Matthias Hell (Jahrgang 1976) bietet einen anregenden Spaziergang, bei dem deutlich wird, wie die Spiele das Stadtbild Münchens nachhaltig geprägt haben, wie mit den Spielen ein riesiger Modernisierungsschub in der bayerischen Landeshauptstadt ausgelöst wurde, als auf dem ehemaligen Oberwiesenfeld als Flug- und Exerzierplatz zuerst großzügig bemessenes Areal von gedeckten und ungedeckten Wettkampfstätten entstanden ist und wie sich hier und heute in dieser Olympia-Landschaft längst ein ganzes Stadtviertel etabliert hat.
Hell gliedert seinen Band in elf Kapitel, in denen es um das Olympiastadion als Zentrum der Spiele und um das Olympische Dorf genauso geht wie um die olympischen Außenstellen in Kiel und Augsburg und die schreckliche Geiselnahme („Der Olympische Alptraum"). Hell garniert die Themen mit Aussagen von zwölf Zeitzeugen, die hier ihre Ansichten und Einsichten aus und mit Olympia gestern und heute in München einbringen, darunter Chef-Architekt Stefan Behnisch und Wilfried Spronk, den langjährigen Olympiapark- Chef sowie Ludger Korintenberg, der 1975 mit seiner Familie eine Wohnung im ehemaligen Olympischen Dorf bezog und bis heute geblieben ist.
Ganz vorn erklärt uns Münchens Alt-Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, der von 1960 bis 1972 die Vorbereitungen wesentlich mitbestimmt hat, seine „Impulse für die Stadtentwicklung" (Überschrift). Das Fazit von Vogel lautet rückblickend, dass die Olympischen Spiele einen „riesigen Glücksfall" für die Stadt bedeuteten.
Apropos Glücksfall: Es ist auch als ein Glücksfall zu bezeichnen, dass pünktlich zum 40. Geburtstag der Münchener Spiele die „Olympischen Spiele im Zeichen des modernen Deutschlands" (Untertitel) der beiden Historiker Kay Schiller und Christopher Young in deutscher Übersetzung (von Sonja Hogl) vorliegt.
Das 2011 in englischer Originalversion publizierte Werk ist sowohl von der britischen als auch von der nordamerikanischen Gesellschaft für Sportgeschichte inzwischen ausgezeichnet worden und wurde gleich nach Erscheinen auch in den deutschsprachigen Feuilletons hoch gelobt. Das Buch erhält seine Exzellenz insbesondere dadurch, dass es sich weder auf eine reine sporthistorische Betrachtung der Spiele beschränkt noch sich nur auf das Attentat auf die israelische Mannschaft bezieht, sondern das sportliche Ereignis auch in die gesellschaftspolitisch „bewegte" Zeit einordnet.
So avanciert „München 1972" (Titel) zu einem ausgezeichneten Lese- und Lehrbuch. Wer damals nicht dabei war, kann sich hier umfassend informieren … und wer meint, schon alles von damals zu wissen, wird möglicherweise manches nach der Lektüre unter neuer Perspektive betrachten – zumal „die Spiele von 1972 in stärkerem Maße als sonst in die gesellschaftlichen und politischen Kraft- und Spannungsströme eingebettet waren", schreibt Hans-Jochen Vogel schon in seinem Vorwort und bescheinigt den Autoren größte Sorgfalt und Gründlichkeit bzw. ihres umfassenden Quellenstudiums.
Nach der Einleitung gliedert sich das Buch von Schiller (Jahrgang 1962) und Young (Jahrgang 1967) in sieben Kapitel, bevor sie ein Resümee ziehen („Das olympische Erbe"), sich Dankesbekundungen (u.a. auch in Richtung Deutsche Olympische Akademie) und ein Anhang u.a. mit einem Verzeichnis der interviewten Personen (u.a. mit Werner Rabe, heute Sportchef beim bayerischen Rundfunk, damals als junger Regionaljournalist bei den Spielen dabei) anschließt.
Schon in der Einleitung, die uns sehr wohl inhaltlich in die Spiele und ihre Planungen einstimmt, sprechen die beiden Autoren von der großen Möglichkeit, mit der Ausrichtung von Olympia in der (jungen) Bundesrepublik „symbolisches Kapital" anhäufen zu können, und sie rufen in Erinnerung, dass es nicht die Idee der Bundesregierung war, die Spiele nach München zu holen. Sie „entstammte einer ambitionierten und chancenorientierten Allianz zweier besonderer Persönlichkeiten: Willi Daume, damals Chef des deutschen Sports, und Hans-Jochen Vogel, der zu dieser Zeit Oberbürgermeister der Stadt München war". Später werden beide sogar als die „Große Koalition" der Spiele bezeichnet.
Und dann wäre da noch ein Werk, das vom Titel her gar nicht vermuten lässt, dass hier irgendwo mittendrin von den Olympischen Spielen in München die Rede ist. Es geht um die „Marathon Woman" (Titel des Buches) Kathrine Switzer, jene damals 20-jährige Publizistikstudentin, die am 19. April 1967 in Boston als erste Frau einen Marathon absolvierte, an dem sie eigentlich gar nicht hätte teilnehmen dürfen, weil diese Distanz über 42,195 km damals nur Männern vorbehalten war. Sie gilt seitdem als „Die Frau, die den Laufsport revolutionierte".
So lautet jedenfalls der Untertitel ihres erzählenden Buches, das seit knapp einem Jahr auch in deutscher Übersetzung (von Gesine Strempel) vorliegt und in dem sich tatsächlich mittendrin eine ca. 16-seitige Passage befindet, wo es ausschließlich um die Olympischen Spiele von München 1972 geht: Kathrine Switzer hatte München offiziell als Korrespondentin der New York Daily News besucht.
Sie nutzt ihren Olympia-Aufenthalt aber auch für Gespräche, um die in München damals anwesenden Entscheidungsträger zu überzeugen, Langstreckenläufe für Frauen bis zur Marathondistanz als Wettbewerbe bei Olympischen Spielen zu etablieren – was dann auch bis zu den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles gelingen sollte.
Zurück in die (sonnigen) August- bzw. (traurigen) Septembertage von München 1972 – Kathrine Switzer schreibt im Buch wörtlich an einer Stelle: „Als ich über das Olympiagelände zum Pressezentrum eilte, war ich beeindruckt von den geschwungenen Strukturen des Olympiastadions mit seiner atemberaubenden Überdachung aus spinnennetzartigem Stahl und Plexiglas in Hellgrün und Hellblau sowie den vielen Blumenrabatten … Was war das ein schöner, fröhlicher Ort! Ich hatte gelesen, dass das Organisationskomitee der Olympischen Spiele in München entschlossen jede Spur der Nazi-Olympiade von 1936 in Berlin auslöschen wollte. Und in meinen Augen war das gut gelungen".
Gleichwohl nimmt Kathrine Switzer wahr, dass man sich in München für die Olympischen Spiele mächtig „ins Zeug gelegt (hatte), denn selbst 1972 gab es in vielen deutschen Städten noch Ruinen" und „man muss sich einmal bewusst machen, dass zur damaligen Zeit viele Menschen noch nie Fernsehen in Farbe gesehen hatten".
Im Olympiastadion verpasst sie kein einziges Laufereignis live – klar, dass vom Doppel-Olympiasieger über 5.000m und 10.000 m, Lasse Viren (Finnland), und vom in München (!) geborenen US-Amerikaner Frank Shorter die Rede ist, der mit über zwei Minuten Vorsprung die Goldmedaille im Marathonlauf gewinnt … bis sich schließlich die schreckliche Nachricht vom Überfall durch Terroristen im Olympischen Dorf verbreitet. Kathrine Switzer erlebt die Nachricht so: „Mir war elend zumute. O Gott, wie mutig musste man sowieso schon als jüdischer Mensch in Deutschland sein und jetzt das! Und mir taten die Deutschen auch leid, sie hatten sich gewaltig angestrengt, um mit diesen Spielen ihren Ruf als Antisemiten loszuwerden."
Nach den Spielen von München reist Kathrine Switzer weiter nach Bamberg. Hier in der Nähe in Amberg (Oberpfalz) war sie am 5. Januar 1947 als Tochter eines US-Majors zur Welt gekommen.
Matthais Hell: München ´72. Olympia-Architektur damals und heute. München 2012: München Verlag. 158 S.; 24,80 €
Kay Schiller & Christopher Young: München 1972. Olympische Spiele im Zeichen des modernen Deutschlands. Göttingen 2012: Wallstein. 400 S.; 29,90 €
Kathrine Switzer: Marathon Woman. Die Frau, die den Laufsport revolutionierte. Hamburg 2011: spomedis. 432 S.; 22,95 €
Prof. Dr. Detlef Kuhlmann