Blog
28
02
2013

Für Prof. Dr. Helmut Digel haben Leichtathletik-Kongresse eine Bedeutung weit über die Sportart hinaus ©Universität Tübingen

Helmut Digel – „Idee des Wetteifers pflegen“ – DLV-Kongress, am 9. und 10. März in Kienbaum

By GRR 0

Prof. Dr. Helmut Digel, Ehrenpräsident des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV), zählt zu den prominentesten Referenten beim DLV-Kongress, der sich am 9. und 10. März in Kienbaum dem Thema „Pädagogische Offensive“ widmen wird.

Im Interview erläutert der Sportsoziologe, welche Relevanz dieses Thema für einen Spitzensport-Verband hat und warum die pädagogische Qualität des Angebots im Nachwuchs-Bereich entscheidend für die Zukunft der Leichtathletik ist.

 

Herr Prof. Dr. Digel, wie wichtig ist für den Deutschen Leichtathletik-Verband ein Kongress mit dem Titel „Pädagogische Offensive“?

Helmut Digel:
Die Leichtathletik ist in vieler Hinsicht einmalig, dies gilt nicht nur für ihren Sonderstatus, den sie bei den Olympischen Spielen einnimmt. Laufen, Werfen und Springen sind vor allem die Grundlage vieler olympischer Sportarten und so kann es kaum überraschen, dass in der Leichtathletik die grundlegenden Diskussionen über die Weiterentwicklung des modernen Hochleistungssports stattfinden. Kongresse der Leichtathletik haben deshalb eine Bedeutung, die weit über die Leichtathletik hinausreicht.

Warum setzt gerade ein Spitzensport-Verband auf dieses Thema?

Helmut Digel:
Ein Hochleistungssport, der im Wesentlichen vom Steuerzahler finanziert wird, wie dies für den deutschen Hochleistungssport der Fall ist, bedarf einer pädagogischen Legitimierung. Eine Leichtathletik ohne pädagogische Bedeutung kann zu Recht mit einer öffentlichen Finanzierung zukünftig nicht mehr rechnen. Sie hat sich vielmehr durch ihre Verfehlungen wie z.B. durch den Doping-Betrug selbst in Frage gestellt.

Im modernen Hochleistungssport zeigen sich schon seit längerer Zeit Probleme, die dringend einer Lösung bedürfen. Besonders gefährdet sind dabei das Fair-Play-Ideal und die Menschenwürde der Athleten. Eine pädagogische Offensive kann in Bezug auf diese Probleme durchaus beispielgebend sein, und wenn erste Wege zur Lösung einiger Probleme zu erkennen sind, so wäre dies mehr als wünschenswert.

Welche Erwartungen und Zielsetzungen verbinden Sie mit dem Kongress?

Helmut Digel:
Dass der DLV sich gezielt pädagogischen Fragen zuwendet mag manche überraschen, für mich ist diese Zielsetzung jedoch von höchster Relevanz. Die Zukunft der Leichtathletik wird über ihren Bildungswert definiert. Kennen wir die pädagogischen Möglichkeiten der Leichtathletik und setzen wir sie auf eine angemessene Art und Weise um, so wird auch zukünftig die Leichtathletik eine moderne Sportart sein.

Welche Lösungsansätze sehen Sie für die Problematik im Nachwuchs- und Nachwuchstrainer-Bereich?

Helmut Digel:
Das Nachwuchsproblem ist angesichts der demografischen Situation unserer Gesellschaft von grundlegender Bedeutung. Bei einer dynamischen Vermehrung der Sportarten stehen immer mehr Sportverbände in einer verschärften Konkurrenz zueinander, wenn es um die Frage der Rekrutierung zukünftiger Athletengenerationen geht. Die pädagogische Qualität des Angebots, dass die Leichtathletik den Kindern und Jugendlichen unterbereitet, wird dabei entscheiden, ob es ihr auch zukünftig gelingt junge Menschen an sich zu binden.

Wie hat sich das Anforderungsprofil eines Übungsleiters heute im Vergleich zu Ihrer Jugend verändert?

Helmut Digel:
Eine entscheidende Veränderung im Vergleich zu früheren Zeiten ist vermutlich in einem ausgeprägten Individualismus zu sehen von dem mittlerweile alle Bevölkerungsgruppen unserer Bevölkerung betroffen sind. Die Arbeit eines Übungsleiters ist heute ungleich schwieriger angesichts der vielfältigen Interessens- und Bedürfnislage der Kinder und Jugendlichen und vor dem Hintergrund einer Konsumgesellschaft in der jedes Kind und jeder Jugendliche sein Freizeitmenü komponieren kann.

Was muss getan werden, um die Jugendlichen wieder mehr an den Vereinssport zu binden?

Helmut Digel:
Die wichtigste Frage ist für mich nach wie vor, inwiefern es dem Sport gelingt Kindern und Jugendlichen zu helfen ihre Identität zu finden und zu entwickeln. Dass der Sport identitätsstiftend sein kann, zeigen auch heute noch viele Leichtathleten und Leichtathletinnen. Mit welchen Mitteln und Methoden man dies erreichen kann, ist jedoch eine äußerst schwierige Frage geworden, mit der sich hoffentlich auch der Kongress in Kienbaum beschäftigen wird.

Was stimmt sie optimistisch, dass der DLV in der Nachwuchsfrage das Heft des Handelns in der Hand behält?

Helmut Digel:
Wenn die Not am größten ist, nehmen die Lernfähigkeit und die Bereitschaft zum Lernen zu. Ich bin mir sicher, dass es im DLV noch genügend kreative Leute gibt, die kluge Antworten auf die Nachwuchsfrage finden.

Seit diesem Jahr setzt der DLV auf das neue Wettkampfprogramm Kinderleichtathletik. Wo sehen Sie hier die Inhaltsschwerpunkte?

Helmut Digel:
Für mich ist es am wichtigsten, dass die Idee des Wetteifers gepflegt wird. Der Wetteifer ist jenes Motiv, das den modernen Sport grundlegend prägt. Sich in fairem Wettkampf mit anderen zu messen, zeigen was man kann, für einen Sieg das Beste zu geben, aus einer Niederlage zu lernen und sich anspruchsvolle Ziele setzen, das ist nach wie vor pädagogisch für die Leichtathletik bedeutsam.

Wie kann man Jugendliche, die in einer multimedialen Welt aufwachsen wieder für die Leichtathletik begeistern?

Helmut Digel:
Wir müssen die multimediale Konkurrenz annehmen und den Kindern zeigen, dass wir ihnen mindestens genauso viel zu bieten haben, wie ihr iPhone, iPad oder ihr iPod.

 

DLV – Peter Schmitt

author: GRR

Comment
0

Leave a reply