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02
04
2013

Nach gut 5km führte Ghirmay Ghebreslassie (ERI) eine Vorentscheidung herbei. Der hohe Favorit Jairus Chanchima (KEN) (101) konnte nicht mehr folgen. Alles Fotos: Werner Philipp ©Werner Philipp

Wem die Stunde schlägt … Anmerkungen zum Halbmarathon der Männer beim 67. Paderborner Osterlauf – Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Am 3. März blieben beim Halbmarathon von Rom nach Ostia die beiden Kenianer Robert Chemosin und Simon Cheprot als 99. und 100. Läufer in der langen Geschichte des Halbmarathons unter der magischen Grenze von einer Stunde.

Den aktuellen Weltrekord mit 58:23 hält nach wie vor Tsersenay Tadese aus Eritrea, der diesen am kommenden Samstag in Prag steigern will. Dass ihm ein ganz junger Landsmann am Ostersamstag um ein Haar in den elitären sub60-Minuten-Klub gefolgt wäre, war sicherlich das sportliche Highlight des 67. Paderborner Osterlaufs.

„Und der Wahnsinn geht weiter!" titelte der rührige Pressesprecher Thomas Lippe und wird dabei neben dem neuen Teilnehmerrekord von gut 9500 Aktiven auch die tolle Leistung des erst 17 Jahre und gut 4 Monate alten Ghirmay Ghebreslassie aus Eritrea gemeint haben, der selbst den sportlichen Leiter der Veranstaltung, Christoph Kopp aus Berlin, überraschte. Ob „Wahnsinn" der richtige Superlativ für die Einordnung der Leistung des jungen Mannes ist, sei einmal dahingestellt, aber unter den äußeren Bedingungen war ein Sololauf von derartiger Klasse auch nicht in Ansätzen zu erwarten.

Temperaturen knapp über der Frostgrenze, ein zum Teil recht stürmischer Wind sowie Schneeschauer sind keine Voraussetzungen für Bestzeiten dieses Kalibers, die den Streckenrekord der Traditionsveranstaltung an der Pader in die erweiterte Weltspitze katapultierte. Das zeigt schon die Tatsache, das die Siegerzeit von 1:00:09 (leider wurde hier – auch bei der Siegerehrung – die Nettozeit von 1:00:07 genannt, die schon deshalb von der Bruttozeit abweichen muss, als man die Eliteathleten durch Footballer in Kampfmontur am Start ausbremst) nur knapp am Weltrekord für 17jährige vorbeischrammte, den Eric Ndiema (KEN) mit 59:57 schon 1992 in Den Haag aufstellte.

Dabei konnte man durchaus in diesem Jahr eine Verbesserung des Streckenrekords (Rono 1:00:58 – brutto! – 2012) erwarten, da mit Jairus Chanchima (KEN) erstmals ein Athlet am Start war, der die Stundengrenze 2009 mit 59:43 als 2. in Lille 2009 unterbot. Im letzten Jahr lief er in Seoul mit 2:07:44 auch eine gute Marathonzeit. Und Chanchima machte seinem Ruf alle Ehre und bestimmte ganz allein das Tempo einer 5er Gruppe auf den ersten 5 km, die nach 2:47 für km 1 und 14:16 für 5 km auf Kurs zu einer Endzeit von gut einer Stunde war. Die schlechten äußeren Bedingungen wurden schlichtweg ignoriert.

Als dann der sportliche Leiter, der am Vorabend einen Ersatz für den ihn typischen schwarz-weiß karierten Sturzhelm überreicht bekam, vom Rücksitz des Motorrads die weiteren Läufer anspornte Chanchima bei der Tempogestaltung zu unterstützen, ließ sich Ghebreslassie nicht lange bitten und legte eine Temposteigerung hin, die in dieser Form kaum zu erwarten war. Mit km-Abschnitten von 2:39, 2:41 und 2:45 riss er die Führungsgruppe nach 6 km umgehend auseinander. Niemand war in der Lage dem jungen Mann aus Eritrea zu folgen, der nach 25:11 bei 9 km plötzlich auf Kurs zu fast genau 59 Minuten lag! Als dann allerdings der nächste km in 3:00 zur 10 km-Marke nach 28:11 zurückgelegt wurde, sah man sich schon bestätigt, dass der Führende seine Fähigkeiten überschätzt hatte.

Dies lag schon insofern nahe, als der guten Ghirmay noch die Cross-WM vom Sonntag davor in den Beinen hatte, wo er bei den Junioren wenig spektakulär und deutlich hinter der Spitze 7. wurde. Seine 10 km Bestzeit auf der Straße von 29:23 (Hem 8/2012) stand in keinem Verhältnis zur Durchgangszeit in Paderborn, auch nicht seine Bestzeit auf der Bahn von 28:33:37, wo im Mai 2012 in Hengelo Ghebreslassie als 17. völlig unbeachtet blieb, weil sich an der Spitze die Legende Haile Gebrselassie (!) (vergebens) um die Fahrkarte zu Olympia in London mühte. Aber schon im September 2012 deutete der Youngster bei den 10 Meilen in Tilburg mit 46:29 seine Klasse auf der Straße an.

Nach 10,5 km passieren in Paderborn die Halbmarathon-Läufer die Wende zur zweiten Runde, und die vielen Zuschauer dort dürften ihn motiviert haben, wieder zuzulegen. Mit einem km-Abschnitt von 2:47 war Ghebreslassie wieder voll auf Kurs zu einer Zeit von  unter einer Stunde, den er nach 42:35 bei 15 km bis zur 18km-Marke in 51:17 halten konnte, wo die Überrundung der Freizeitläufer begann. Spätestens bei 20 km in 57:06 war klar, dass die Stunde nicht zu unterbieten war.

Obwohl Ghirmay mit einem km-Abschnitt von 2:49 noch einmal alle Reserven mobilisierte, reichte es mit 1:00:09 nicht ganz zur Stundengrenze, die die Uhr auf der Zielgeraden auf dem Heierswall bis kurz vor seinem Einlauf anzeigte. Die Verbesserung des Streckenrekords von 1:00:58 kam in dieser Dimension völlig unerwartet, die alte Marke wurde nahezu „pulverisiert". Wie hoch seine Leistung einzuschätzen ist, zeigen die Leistungen seiner Verfolger.

Für die Sieg gewohnten Kenianer blieben nur die weiteren Plätze: Pius Ondoro in 1:02:17, Ronald Korir in 1:02:54 und Patrick Kimeli in 1:02:58. Der Favorit Chanchima bekam nach 7 km Seitenstiche, wurde in 1:04:23 nur Siebter und hofft, dass es für ihn am 21. April beim Warschau-Marathon besser läuft.

Der Sieger war bei der Ehrung der Besten guter Dinge und verriet im Interview mit Moderator Poschmann, dass er im Sommer bei der WM in Moskau 10000 m laufen will, der Marathon ist dann bei Olympia 2016 geplant. Bevor er allerdings für sein Land an den Start gehen kann, wird er die Leistung vom Ostersamstag bestätigen müssen. Das Potential für einen Spitzenmann internationaler Klasse hat Ghebreslassie ohne Zweifel, und ein ähnlicher Name ist in der Laufszene bereits bestens etabliert.

Dass der junge Mann aus Eritrea mitgeholfen hat, Paderborn bei aller Tradition auch auf die leistungssportliche Landkarte zu bringen, zeigt schon der 12. Platz seiner Zeit von 1:00:09 in der aktuellen Weltjahresbestenliste der allerdings noch jungen Saison 2013. Neben den stetigen Zunahmen der Teilnehmer zeichnet sich die älteste deutsche Straßenlaufveranstaltung auch durch ein steigendes Leistungsniveau aus, woran der sportliche Leiter, Christoph Kopp, durch die Zusammenstellung der Felder bei limitierten Ressourcen maßgeblich beteiligt ist.

Dabei hat er leider keinen Einfluss auf das Leistungsniveau der engagierten Freizeitläufer, das immer mehr abhanden kommt. Ohne die Kenianer blieben kaum 30 Läufer unter 1:20 oder 160 unter 1:30. Das war in den 1980er Jahren noch anders, wo ähnliche Zahlen erreicht wurden.

Allerdings über 25 km!

 

Helmut Winter

 

 

Die inoffiziellen Splits:

 

  5 km  14:16  (2:47, 2:55, 2:50, 2:54, 2:50)

10 km  28:11  (2:50, 2:39, 2:41, 2:45, 3:00)

15 km  42:35  (2:47, 2:55, 2:53, 2:52; 2:57)

20 km  57:06  (2:53, 2:52, 2:57, 2:55, 2:54)

 HM  1:00:09  (CR – alte Marke: 1:00:58, 2012)

 

 

Die Entwicklung des Streckenrekords im Halbmarathon beim Paderborner Osterlauf

 

1993

Tendai Chimusasa

ZIM

1:02:15

1999

Joseph Mareng

KEN

1:02:13

2003

Tendai Chimusasa

ZIM

1:02:04

2004

Stanley Salil

KEN

1:01:53

2005

Elijah Sang

KEN

1:01:49

2006

Moses Kigen

KEN

1:01:30

2008

Charles Ngolepus

KEN

1:01:24

2010

Charles Maina

KEN

1:01:13

2012

Philemon Rono

KEN

1:00:58

2013

Ghirmay Ghebreslassie

ZIM

1:00:09

 

 

 

author: GRR

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