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11
04
2013

Kenneth Kipkemoi konnte seine hoch geschraubten Erwartungen im Lauf nicht ganz umsetzen. ©Helmut Winter

Das Geburtstagskind siegt und ein zu erwartender Aufstieg in die erweiterte Weltspitze – Der 33. Berliner Halbmarathon – Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Bis auf zwei medizinische Vorfälle, von denen einer tödlich endete, ging der 33. Berliner Halbmarathon erfolgreich über die Bühne. Dazu ist anzumerken, dass man bei Massenveranstaltungen dieser Größenordnung stets auch mit solchen Ereignissen rechnen muss, die aber nicht primär im Zusammenhang mit dem Lauf selbst stehen müssen.

Zu vermeiden sind diese auch bei intensivster medizinischer Aufsicht kaum, dieser Part des Veranstalters gilt als vorbildlich und leistete in den zurückliegenden Jahren immer wieder herausragende Arbeit. Wie der medizinische Direktor Prof. Lars Brechtel kommentierte, würde erst eine Obduktion belastbare Informationen diesbezüglich liefern.

Nach einer Kaltwetterperiode, die jeden Ausdauer-Wettbewerb gewonnen hätte, waren die Bedingungen für den Straßenlauf nahezu ideal, mit 4° bis 6°C im Schatten war es zwar etwas zu kühl, aber auf den meisten Passagen in der Sonne lagen die Temperaturen um einige Grade höher. Im Vorfeld war der Mann mit der schnellsten Vorleistung, Kenneth Kipkemoi (KEN) (59:11, Den Haag 2012), bei der Pressekonferenz ungewöhnlich exakt und mutig mit seinem Ziel, die 10 km in 27:51 anzulaufen.

Das Wetter hätte eine solche Zeit und die Konsequenz einer Weltklassezeit von etwa 58:45 zugelassen, was den hochkarätigen Streckenrekord von 58:56 des Marathon-Weltrekordlers Patrick Makau gesteigert hätte.

Aber im nach hinein muss man nüchtern feststellen, dass – ähnlich wie am Tag zuvor mit noch höheren Zielen beim Prag-Halbmarathon – die Klasse des Elitefelds einfach nicht gut genug war (vielleicht besser: nicht die Form besaß), um die hohen Vorgaben umzusetzen. Dazu kam in Berlin, dass die Ausfälle des Äthiopiers Imane Merga, der vor einer Woche im Matsch der Cross WM im polnischen Bydgoszcz laufen musste und dort Zweiter wurde, sowie des Italieners Meucchi, der bei Eiseskälte als Zweiter beim New Yorker Halbmarathon glänzte, kaum zu verkraften waren.

Ferner muss man konstatieren, dass bei der Häufung von Straßenläufen auf Weltklasse-Niveau im Frühjahr (Lissabon, Prag, Rotterdam, Boston, London, Paris, Hamburg, etc.) Eliteläufer globaler Klasse immer schwerer zu rekrutieren sind.

Das zeigte sich in Berlin schon in der ersten Phase des Rennens. Mutig war man den ersten km mit 2:45 auf Kurs zu einem Weltrekord angegangen, doch dann verpuffte der Elan sehr schnell. Mit zwei folgenden km-Abschnitten von 2:55 war eigentlich schon klar, dass Zeiten unter 59 Minuten illusorisch wurden. Mit 14:12 bei 5 km lag man eine gute 1/4 Minute hinter dem Zeitplan zurück, und das ist bei dem hohen Basistempo im Halbmarathon der Weltklasse so gut wie nicht mehr aufzuholen. Sieben Läufer und ein Tempomacher lagen hier noch vorne, was sich kurz danach auf einer Fünfergruppe dezimierte mit km-Abschnitten um die 2:50.

Der Tempomacher für die Männerspitze stieg nach 10 km in 28:22 aus, das war schon eine halbe Minute langsamer als geplant. Und ausgerechnet Kipkemoi, der die schnellen Vorgaben zuvor verkündete, fiel hier zurück. Jacob Kendagor, Silas Kipruto und Victor Kipchirchir bildeten für kurze Zeit ein Führungstrio, das durch eine von Kendagor initiierte Temposteigerung mit km-Abschnitten von 2:43 und 2:45 zu einem Duo mutierte. Dieses war nun schnell unterwegs und lag bei 15 km in 42:17 auf Kurs von 59:30. Wie eine Klette klebte Kipruto an den Hacken von Kendagor, der allein das Tempo machte.

Dabei kamen Erinnerungen an die BIG25 im Mai letzten Jahres auf, bei denen Kendagor als Tempomacher eingesetzt war und durch hervorragende Arbeit maßgeblich am 25km-Weltrekord von Dennis Kimetto (1:11:18) beteiligt war. Über 15 km machte er damals ganz allein die Pace und lief am Ende in 1:11:59 als Dritter durch. Zusammen mit Kimetto und Kigen passierte er (nach dem Anstieg von 19 m auf dem Kilometer in der Masurenallee) die Halbmarathonmarke, wo in 1:00:19 eine offizielle Zeitnahme erfolgte.

Dass Kendagor nach dem Lauf als „Außenseiter" betitelt wurde, entsprach kaum den Realitäten, zumal er nach einer wirren Geschichte mit einem vergessenen Rucksack und einem fast verpassten Start bei großer Hitze den Würzburger Residenzlauf 2012 in einer Spitzenzeit gewann. Zwar wurde er am Ostersamstag in Paderborn über 10 km in 28:07 „nur" Fünfter, aber da herrschten bei Eiseskälte und Schneetreiben irreguläre Bedingungen.

Somit kam sein Antritt hinter dem Potsdamer Platz kaum überraschend, wo er sich mit 2:45 für den 18. Kilometer von seinem Mitstreiter verabschiedete und über 56:29 für 20 km unangefochten den Lauf im Ziel auf der Karl-Marx-Allee in guten 59:36 gewann. Damit wurde er der 101. Läufer in der Geschichte des Halbmarathons, der unter der magischen Grenze der Stunde blieb. Seinen Verfolgern gelang dies nicht mehr, Silas Kipruto wurde in 1:00:12 Zweiter und Victor Kipchirchir in 1:00:27 Dritter. Nur Platz vier blieb für den Favoriten im Vorfeld des Laufs. Kenneth Kipkemoi verfehlte seinen Plan um exakt zwei Minuten, 1:00:45 war für ihn eher enttäuschend.

Dann tat sich schon eine größer Lücke auf mit Endzeiten über 1:01:30. Insgesamt zwar ein beachtliches Ergebnis, aber in einer realistischen Einschätzung spielt 2013 z.B. der weltbeste Halbmarathon in Ras Al Khaimah in den Arabischen Emiraten mit drei Zeiten unter 59 Minuten in einer anderen Liga und ist der globalen Konkurrenz schlichtweg davongelaufen.

In der ewigen Bestenliste der IAAF liegt Kendagor etwa auf Platz 44, 85mal sind Läufer schneller im Halbmarathon gelaufen. Dass der schon 28 jährige Kenianer ein großes Potential für schnellere Zeiten besitzt, steht außer Frage, vor allem dann, wenn er einmal selbst von einer noch effektiveren Arbeit eines Tempomachers profitieren kann.

Bei den Frauen sicherten zwei Läuferinnen das Spitzenniveau der Veranstaltung, aber wie bei den Männer konnte die Topfavoritin Philes Ongori (KEN) ihre hochgesteckten Vorgaben nicht erfüllen und wurde in 1:08:01 nur Zweite. Damit drehte das Geburtstagskind Helah Kiprop das Ergebnis des letzten Jahres an gleicher Stelle um und siegte in 1:07:54. Das war allerding keine Bestzeit, im Februar war sie in den Arabischen Emiraten mit 1:07:39 schon schneller gelaufen. Eine nette Episode am Rande ist das Resultat vom Paris Marathon, wo fast zur gleichen Zeit der Kenianer Peter Some überraschend in 2:05:38 als Sieger einlief. Beide Athleten werden nämlich vom gleichen Manager Gerard van de Veen betreut, der aktuell sicher zu den erfolgreichsten Akteuren in seinem Metier zählt.

Die Dritte lag mit 1:10:00 schon deutlich zurück, Mai Ito aus Japan nutzte den Berliner Lauf als letzten Test vor dem London-Marathon in 14 Tagen. Auch bei den Frauen zeigen vier Läuferinnen unter 2:07 in Ras Al Khaimah – die Siegerin Kiprop wurde dort Sechste -, wo aktuell die Weltspitze agiert.

Von deutscher Seite gab es positive und weniger erfreuliche Nachrichten zu vermelden. Falk Cierpinski lief mutig an, wurde aber nach 8 km wieder von Problemen heimgesucht, die ihn schon mehrmals zum Aufgeben zwangen. Die positive Erkenntnis von Berlin war die Tatsache, dass er nach einer kurzen Schwächeperiode die Probleme in den Griff bekam und mutig weiterlief. Unter diesen Voraussetzungen sind seine 1:05:46 als 13. ein Resultat, auf dem sich für die Zukunft bauen lässt. Einen Frühjahrsmarathon schloss der Spergauer in der Pressekonferenz nicht aus.

Und den wird eine der Vorzeigefrauen des deutschen Straßenlaufs sicher nicht bestreiten. Begleitet von Schwester Lisa, die sich vor einer Woche über 10 km in Paderborn sehr achtbar schlug, ging Anna nach Plan an, lag bei 10 km in 34:33 exakt im Fahrplan zu eine Zeit unter 1:13:00, die vom DLV als Leistungsnachweis für einen Nominierung für den WM-Marathon im Sommer in Moskau gefordert wurde. Nach etwa 14 km traten dann aber Probleme an einer Sehne im Fußbereich auf, die ein Weiterlaufen nicht ratsam erschienen ließen. Bei Anna dürften nun erst einmal die Mediziner gefragt sein, bevor eine Teilnahme bei der WM in den Fokus gerät.

Schon seit Jahren ist der Berliner Halbmarathon ein erster Höhepunkt bei den Breitensportlern, die Veranstaltung ist mittlerweile so nachgesucht, dass der Wettbewerb bereits vor Jahresende ausgebucht war.

Das hat nicht wenige Spätanmelder überrascht. Auch in Verantwortung angesichts der Fülle auf dem Areal an Start und Ziel hatte der Veranstalter die Teilnehmerzahl auf 30.114 begrenzt. Dazu kamen noch 1902 Inliner, einige Walker und Handbiker. Erstaunlich ist allerdings ein Blick in die Ergebnislisten, der ausweist, dass „nur" 14.375 Männer und 7.857 Frauen, also 22.432 Teilnehmer insgesamt das Ziel erreicht.

Ob dieser Schwund den recht kalten Tagen am und vor allem vor dem Lauf geschuldet ist, bleibt zu klären. Und das kalte Wetter dürfte auch Konsequenzen auf das Interesse der Zuschauer gehabt haben. Die mehrfach benannten Zahlen von 200.000 Zuschauern sind sicher Obergrenzen einer sehr optischen Schätzung, vor allem auf der Strecke war das Interesse am Streckenrand eher gering.

Und gering war das Interesse auch beim lokalen Fernsehfunk. Das rrb-Fernsehen, eine Anstalt, die mit seiner „Laufbewegung" immerhin vorgibt, eine Vorreiterrolle in Sachen Laufsport zu spielen, berichtete erst gegen 22:40 Uhr in einem wenig informativen 3:23 Minuten Bericht über das Ereignis.

Von engagierten Live-Übertragungen wie am Tag zuvor aus Prag kann man in Berlin nur träumen. Schade eigentlich, denn die Veranstaltung und die vielen Laufinteressierten hätten das sicher verdient.

 

Helmut Winter

 

Detaillierte Ergebnisse finden sich auf der Homepage des Veranstalters unter dem Link:

results.berliner-halbmarathon.de/2013/

 

Inoffizielle Splits der Spitze der Männer:

 

  5 km 14:13 (2:45, 2:55,2:55,  2:49, 2:49)

10 km 28:22 (2:48, 2:50, 2:52, 2:50, 2:49)

15 km 42:17 (2:43, 2:45, 2:48, 2:49, 2:51)

20 km 56:27 (2:50, 2:53, 2:45, 2:50, 2:52)

Ziel    59:36

 

 

 

author: GRR

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