Ghirmay Ghebreslassie (ERI) läuft der Konkurrenz beim Halbmarathon des Paderborner Osterlaufs davon. ©Werner Philipp
Afrikaner raus? Anmerkungen zu einem Kommentar von Lothar Pöhlitz zur Doping-Problematik kenianischer Läufer – Helmut Winter bezieht Stellung
In einem aktuellen Kommentar nimmt der langjährige Bundestrainer Lauf beim DLV (1980 – 1998) und Trainingsberater Lothar Pöhlitz zur Dominanz der (ost-)afrikanischen Läufer in der internationalen Straßenlaufszene Stellung und führt diese Vormachtstellung mit Bezug auf einen Beitrag von Jürg Wirz (CONDITION 04/2013, S.26) auf den Einsatz verbotener Hilfsmittel, sprich flächendeckendes Doping zurück.
Dabei scheint er den Schlusspart des Beitrags überlesen zu haben, wo Wirz seine Ausführungen nachdrücklich relativiert.
Wie weit deutsche Männer (nicht nur) im Marathon der internationalen Konkurrenz hinterherlaufen, zeigen die Entwicklungen in der letzten Dekade in Bezug auf den früheren Qualifikationsstandard von 2:13 Stunden, mit dem aktuell selbst weniger renommierte Läufe kaum noch zu gewinnen sind. Seit den Zeiten von Carsten Eich und Michael Fitz hat diese Zeit kein deutscher Läufer mehr unterboten, während man global weit über 3000-mal unter dieser Marke blieb, zum Teil sogar sehr deutlich.
Die weltweite Konkurrenz – die in der Tat überwiegend aus Ostafrika kommt – ist uns diesbezüglich hoffnungslos davongerannt. Lothar Pöhlitz wird doch nicht ernsthaft glauben, dass sich dieses eklatante Leistungsdefizit auch nur in Ansätzen durch flächendeckendes Doping erklären und mit konsequenteren Dopingkontrollen bei den afrikanischen Sportlern aus der Welt schaffen lässt.
Dabei ist es im Marathonlauf mitnichten Realität, dass die Weltspitze ohne jede Kontrolle davonkommt.
Soeben haben sich die Veranstalter der World Marathon Majors Läufe (WMM) zusätzlich zu den lange praktizierten Kontrollen geeinigt, auffällige Athleten nicht mehr an den Start zu lassen. Der Chicago- oder Frankfurt-Marathon – und nicht nur diese – haben die Auszahlung der Preisgelder an negative Dopingproben gebunden. Bei den wichtigen Läufen der letzten Jahre wurden keine auffälligen Befunde vermeldet, was gegen den „großflächigen“ Einsatz unerlaubter leistungssteigender Mittel spricht.
Lothar Pöhlitz macht die Dominanz der Afrikaner zu schaffen, die in der Tat zu einem Massenphänomen mutiert ist. Dies hat die Konsequenz, dass bei der großen Anzahl unmittelbar Beteiligter „schwarze Schafe“ kaum auszuschließen sind. Der immense Druck, erst durch Höchstleistungen der Armut vor Ort zu entrinnen, hält die Versuchung hoch, bei nicht ausreichenden Leistungen nachzuhelfen.
Deshalb ist es auch wenig überraschend, wenn ein selbst ernannter Dopingexperte in kenianischen Hinterzimmern Hinweise für „unterstützende Mittel“ aufspürt. Mit Mathew Kisorio war auch ein Athlet geständig, der auf den Weg in die internationale Spitze war. Von dessen Aussagen und weiteren Befunden auf eine „größere Dunkelziffer“ zu schließen, ist sehr fragwürdig und sachlich kaum zu begründen.
„Sie laufen in Europas Stadien (Anmerkung: und auf den Straßen)“, so Lothar Pöhlitz, „ im Dutzend vornweg und beschämen wieder und wieder die Europäer ob ihrer Unfähigkeit. Trotzdem hegen und pflegen und feiern wir sie – anstatt unseren eigenen Talenten die notwendigen Bedingungen für ein professionelles Training zu finanzieren.“
In bedenklicher Verkennung der herausragenden Leistungen afrikanischer Sportler sowie vor allem der Völker verbindenden Komponente des Sports, glaubt er doch nicht wirklich, mit etwas mehr Geld und gesteigerter Zuwendung, den Realitäten einer Industrie- und Freizeitgesellschaft trotzen zu können.
Aktuell erscheinen „Genetik, Armut, aktive Bewegung als Kinder, Höhenlage, Ablenkungen in einer modernen Zivilisation, Vorbilder, Trainingsgemeinschaften, Trainer, Ernährung, völlige Konzentration auf den Sport, etc“ als plausible Argumente, die in absehbarer Zeit kaum aufholbar erscheinen. Die Athleten breitbandig als Betrüger hinzustellen, haben diese leistungsbereiten und großartigen Menschen aus den Höhen Afrikas nun wirklich nicht verdient.
Und die sportliche Auseinandersetzung durch Ausschluss stärkerer Konkurrenz zu beeinflussen, ist nicht nur unfair, sondern schmälert letztlich den sportlichen Wert der erbrachten Leistungen. Die (Sport-)Geschichte hat gezeigt, dass derartige Aktionen wenig Erfolg hatten und niemanden nutzten.
Peinlich wird es aber, wenn in Lothar Pöhlitz´ Rundumschlag, sich die Konkurrenz vom Leibe zu halten, der erst 17 Jahre (und 4 Monate) alte Ghirmay Ghebreslassie aus Eritrea (das man dort dopt, stand nicht im Artikel von Jürg Wirz) einbezogen wird, der beim Paderborner Osterlauf bei eisigen Temperaturen mit 60:09 einen großartigen Streckenrekord lief. Dabei hatte er die 10 km nicht nur in 28:30 sondern sogar 28:11 zurückgelegt, wobei er zunächst von den Schrittmacherdiensten des Favoriten Chanchima (KEN) profitierte und dann eine tolle Temposteigerung aufs Pflaster legte.
Jeder, der diesen Lauf verfolgte, konnte dem Youngster zu seinem couragierten Lauf nur Anerkennung zollen, der die Gunst der Stunde einer bestechenden Form nutzte. Unbesehen diese Leistung herabzuwürdigen, zeugt nicht von sportlicher Fairness. Da hilft es auch wenig Carsten Eichs nationale Bestmarke (60:34) als Vergleich hervorzukramen.
Zutreffender ist da schon die Information, dass es vor Ghebreslassie schon einen schnelleren 17-jährigen Kenianer gab. Aber vermutlich war der auch gedopt.
Carsten Eich trat aus Anlass des Berliner Halbmarathons zusammen mit einem weiteren Kenner der Szene, Ex-Bundetrainer Winfried Aufenanger, in einer Diskussionsrunde auf, die sehr sachlich die Misere des deutschen Straßenlaufs und die Überlegenheit afrikanischer Läufer analysierten. Betrachtet man ferner die großartigen Vorträge über „Kenias Wunderläufer“, mit denen Altmeister Herbert Steffny durch die Lande tourt, oder dessen Beiträge zum Thema auf seiner Homepage, dann sind die Gründe für die Überlegenheit evident und auch von Lothar Pöhlitz benannt.
Das sinkende Interesse der Medien am Laufsport oder die „Fanflucht“ dürften sich durch den Anschluss von Afrikanern kaum aufhalten lassen. Diese Problematik ist viel komplexer und erstaunlich wenig korreliert mit den Leistungen heimischer Athleten. Mit Irina Mikitenko hatten und haben wir eine Marathonläuferin in der absoluten Weltspitze. Trotzdem erzielte sie viele ihrer großen Erfolge fast unter Ausschluss der deutschen (Medien-)Öffentlichkeit.
Genauso wie man in der Welt außerhalb des Sports die Globalisierung nicht aufhalten kann, ist diese im Laufsport längst Realität und hat u.a. zu einer in der Tat kaum zu begreifenden Steigerung des Leistungsniveaus geführt. Und ähnlich wie in allen anderen Bereichen der Gesellschaft lassen sich die Entwicklungen nicht stoppen oder durch protektionistische Maßnahmen zurückdrehen. Mit der aktuellen Struktur und den Interessen unserer Gesellschaft dürfte es fast unmöglich sein, die Lücke im Leistungsniveau des internationalen Straßenlaufs zu schließen.
Andererseits finden sich immer wieder Ansätze in den Industrienationen, mit denen man den Afrikanern durchaus Paroli bieten kann. Z.B. gibt es in den USA das Brooks-Hanson-Projekt, durch das spürbar die Leistungsdichte auf den langen Strecken in der letzten Dekade gesteigert wurde, im Spitzenbereich sind Läufer wie Ryan Hall, Dathan Ritzenhein oder Galen Rupp auch gegen starke Afrikaner durchaus konkurrenzfähig.
Diese Entwicklungen legen nahe, dass man durchaus erfolgreich gegen die afrikanische Übermacht bestehen kann, wenn man von dieser Konkurrenz „lernt“. Dazu reicht es aber nicht aus, sich das Training vor Ort anschauen, mitzumachen und Intensität sowie Umfang zu bestaunen. Man muss die Konsequenzen für den Wettkampfalltag ziehen. Und die beginnen bereits bei der Wiege jeglicher Laufaktivität, dem Cross-Lauf.
Die Abstinenz bundesdeutscher Spitzenathleten bei nationalen und vor allem internationalen Querfeldeinläufen ist evident und stellt ein kardinales Problem bei der „Aufholjagd“ im Laufbereich dar. Solange diese Problematik auch von den Verbänden (DLV) nicht konsequent angegangen wird und gleichzeitig die Präsenz der Elite beim Wettbewerb auf den Straßen deutlich gesteigert wird, wird der Ausschluss von Afrikanern die Misere kaum lindern.
In einer übergreifenden Sicht hilft es da wenig, wenn man sich an einer sportlichen Dominanz erfreut, die sich auf Disziplinen beschränkt, wo eine internationale Konkurrenz nur bedingt vorhanden ist, wie z.B. das Schlitten- oder Bobfahren, Dressurreiten oder selbst die Kraftdisziplinen der Leichtathletik.
Der Laufsport hat nun einmal die Eigenschaft, sehr „einfach“ und elementar zu sein, ohne große Voraussetzungen kann diesen Sport jeder betreiben und am globalen Wettstreit teilnehmen. Diesen Status sollte sich die Gemeinschaft der Völker unbedingt bewahren.
Im Wesentlichen werden wir auf unbestimmte Zeit hinterherlaufen, das wird auch ein konsequenteres Vorgehen in Sachen Doping kaum ändern.
Solange man ein Herz für den Sport und sportliche Leistungen hat, ist es doch eigentlich gleichgültig, welcher „Mensch“ diese Leistungen erbringt. Und wenn man bei den kommenden Tempojagden in den Straßen der Großstädte mit den Athleten aus Afrika mitfiebert, ob es zu einer neue Bestmarke reicht, dann vollzieht sich ein Grad von Sympathie und Verständnis für andere Völker und Kulturen, die den Sport als Vorreiter so einzigartig und unverzichtbar machen.
Und das sollte auch so bleiben!
Helmut Winter