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10
05
2013

Ehrenurkunde, mit der Leipziger Sport-Club Luz Long zum Ehrenmitglied erklärt. Sportmuseum Leipzig ©Gerd Steins

Ein Besuch in der Ausstellung „Der weite Sprung“ in Leipzig – Gerd Steins berichtet

By GRR 0

Am Samstag, 27. April 2013, wurde im Foyer der Leipziger Volkszeitung (LVZ) die Ausstellung „Der weite Sprung. Die Sportlegenden Luz Long und Jesse Owens“ feierlich eröffnet. Die Ausstellung hat ihren Schwerpunkt auf die Person Carl Ludwig „Luz“ Long gelegt, weil dessen Biografie weitgehend unbekannt war.

Longs 100. Geburtstag am 27. April 2013 war damit der geeignete Anlaß, dies zu ändern.

Zur Eröffnung der Ausstellung sprachen: W. Wächter (Sportchef der LVZ), P. Kaminski (1. Vorsitzender Förderverein Sächsisches Sportmuseum), M. Faber (Bürgermeister und Beigeordneter für Kultur der Stadt Leipzig), Mark J. Powell (Generalkonsul der USA in Leipzig), K. Long (Sohn von Luz Long), G. Rohr (Kuratorin der Ausstellung).

In der Einladung zur Eröffnung der Ausstellung war eine Rede von V. Kluge angekündigt, die aus welchen Gründen auch immer, bei der Eröffnung nicht gehalten wurde. Damit wurde diese Veranstaltung nicht mit dem Makel behaftet, einem höchst umstrittenen, der „Geschichtsfälschung“ und der „IM-Tätigkeit“ bezichtigen Ex-Junge-Welt-Journalisten ein Forum zu geben. (siehe hierzu: https://www.fr-online.de/kultur/staatlich-geschoente-biografien,1472786,22365322.html und: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/aktuelles-1230,163,9.html )

Verschiedentlich wurde in den Reden darauf hingewiesen, daß vieles in der Geschichte von Owens und Long noch zu legendenhaft wäre, etliches zu wenig erforscht ist und diese Ausstellung auch zur wissenschaftlichen Diskussion anregen wolle. Leider blieb es im Unklaren, welche Legenden und Mythen aus Sicht der Redner noch zu klären sind.

Zur Ausstellung erscheint ein Flyer, ein Begleitbuch zur Ausstellung ist angekündigt. Eine von der Familie Long angekündigte und auch vorbereitete Publikation wird voraussichtlich nicht erscheinen.

Die Ausstellung mit 17 Schautafeln, drei Vitrinen, fünf Rahmen mit Originalgrafiken und einer Weitsprung-installation wird im Foyer der LVZ präsentiert. In einer Leseecke können Kopien von zeitgenössischen Zeitungsausschnitten eingesehen werden. Der bekannte Leichtathletik-Statistiker K. Amrhein hat dankenswerterweise alle Wettkampfergebnisse von Luz Long zusammengefasst, die man als Kopie mitnehmen kann.

Der bei der Eröffnung gezeigte Zusammenschnitt einiger Weitsprungszenen von Long, Leichum und Owens wird in der Ausstellung leider nicht gezeigt.

Das „Sportmuseum Leipzig im Stadtgeschichtlichen Museum“ hat noch keine eigenen Ausstellungsräume und in die Sonderausstellungsräume im Neubau des Stadtgeschichtlichen Museums in der Innenstadt kommt das Sportmuseum nicht rein. Darum müssen Ausstellungen des Sportmuseums immer irgend woanders stattfinden. Hier hat die Leipziger Volkszeitung dankenswerterweise mit ihrem Haus am Petersteinweg 19 dem Leipziger Sportmuseum ein „Asyl“ geboten. Leider wird vor dem Gebäude nicht für die Long-Ausstellung geworben.

Weil das LVZ-Foyer sich mit einer großen Glaswand zu einem Platz öffnet und damit viel Sonnenlicht einfängt, war es zum Schutz der Originale notwendig, die Ausstellung unter einer Empore zu versammeln, so daß sich (bis auf die Weitsprunginstallation) die Objektvitrinen und die Ausstellungstafeln auf nur ca. 75 m² drängeln. Dies führt dazu, daß man bei mehreren Besuchern gleichzeitig, sich quasi vor den Tafeln „anstellen“ muß.

Besondere Objekte dieser Ausstellung sind sicherlich die Goldmedaille der EM 1934, die Silbermedaille der Olympischen Spiele 1936, die Urkunde des LSC zur Verleihung der Ehrenmitgliedschaft, die Schaufel von 1936 zum Graben der Startlöcher und die Kreide-lithografie von Jean Jacoby zu Long. Etliche im Original gezeigte Urkunden und Abzeichen sind aber eher Massenware, die nur wg. ihrer Beziehung zu Long eine Bedeutung haben.

In den vier Kapiteln „Absprung (1913-1933), Im Flug (1933-1939), Landung (1939-1943), Überflug (1943 bis heute)“ spürt die Ausstellung Longs Leben nach und zeigt eine Vielzahl persönlicher Erinnerungsstücke, die zum größten Teil von der Familie Long aus Münster leihweise zur Verfügung gestellt wurden.

Die 17 Bild-Text-Tafeln vereinen in Unterkapitel angeordnet Bild und Texte, die durch Einsatz von Farbfonds voneinander abgegrenzt werden. Jede Tafel wird im Kopf von einem Zitat eingeleitet. Diese Zitate sind schlecht wahrnehmbar, da die blaue und viel zu kleine Schrift auf blauem (grünem und gelbem) Grund keine Lesefreude erzeugt. Vielfach sind die Textzeilen überlang, das heißt sie enthalten mehr als 6o-80 Zeichen pro Zeile, dies ist für den Betrachter unzumutbar.

Wegen Begrenztheit der zu Verfügung stehenden Ausstellungstafeln sind oftmals Texte und Bilder zu tief angeordnet, so daß man hier von einer „beugungsintensiven“ Ausstellung sprechen kann, in der man mittels Kniebeugen zur „Erkenntnis“ kommt. Ebenso ist der nicht optimale Druck der Tafeln daran schuld, daß die Lust, alle Texte und Fotos wahrzunehmen, mit der der Länge der Verweilzeit in der Ausstellung stark nach- läßt.

Richtig ärgerlich wird es, wenn man Fotos sieht, die einerseits gekontert und nicht beschriftet sind und andererseits auch nur als Ausschnitt gezeigt werden. Da es gerade bei den Weitsprungbildern auf die richtige „Laufrichtung“ und auf Details ankommt, stellt diese Präsentationspraxis eine Verfälschung des historischen Geschehens dar, der sich die Ausstellungsmacher hier schuldig machen.

Bedauerlich ist auch, daß das Studienbuch von Long nur zugeklappt präsentiert wird. Von großem Interesse ist aber gerade bei Studiengängen in der Nazi-Zeit, welche Fächer wurden belegt und bei welchen Dozenten wurde gehört.

Auf Tafel W10 ist Long am 18. 10. 1938 bei der Übergabe eines „Staffettenstabes“ an von Tschammer und Osten zu sehen, die Staffel wird als „Jubiläumslauf Breslau-Völkerschlacht-denkmal“ bezeichnet. Durch das am 30. September 1938 in München ratifizierte sog. „Münchener Abkommen“ wurde eine geplante Staffel „Breslau-Völkerschlachtdenkmal“ in die hochpolitische „Grenzlandstaffel“ umfunktioniert, mit dem der „Anschluß des Sudetenlandes“ unter dem Motto „Das einige und freie Großdeutsche Reich“ vorrangig gefeiert werden sollte und nicht nur das 125. Jubiläum der Leipziger Völkerschlacht.

Tatsächlich übergibt Long als Schlußläufer dieser „Reichstreuestaffel“ (wie sie auch heißt) dem sog. Reichssportführer die „Treuebotschaft“ und nicht nur einen Stab! Es wäre wünschenswert, auch hier eine vollständige Information in der Ausstellung zum historischen Sachverhalt zu geben!

Ebenfalls auf der Tafel W10 ist Long am 16./17. 7. 1938 im Berliner Olympia-Stadion zu sehen. In der Wettkampfstatistik (S. 11) wird Long als „SA-Mann“ bezeichnet. Auch hier wünschte man sich weitere Informationen, ob Long nun Mitglied der SA war oder nicht?

Auf der gleichen Tafel ist auch das Doktordiplom für Long zu sehen. Seine gedruckte Doktorarbeit (ein Exemplar befindet sich im Sportmuseum Leipzig) wird weder gezeigt noch setzen sich die Ausstellungsmacher damit auseinander.

Das NSDAP-Mitglied Prof. Dr. Ernst Rudolf Huber wurde 1937 an die Universität Leipzig berufen und war der Doktorvater von Long. Huber war in der Zeit des Nationalsozialismus einer der führenden Staatsrechtler. Er sprach von der „völligen Ausschaltung des Judentums“ und gehörte zur Gruppe jener Juristen, die die Nürnberger Gesetze vorbereitet haben. Huber schreibt 1939: „Das lebendige völkische Recht wird im Volke in erster Linie durch den Führer verwirklicht, und der rechtsprechende Richter des neuen Reiches ist notwendig dem Führerwillen, der eben Ausdruck des höchsten Rechts ist, untergeordnet.“

In der Dissertation von Long, der uneingeschränkt den Gedanken seines Doktorvaters folgt, heißt es auf den Seiten 98/99:
„Das erste Verdienst der nationalistischen Regierung auf dem Gebiete des Sportes war die Einziehung des Vermögens der ‚Kampfeinheit für Rote Sporthilfe‘ und deren Verbot. … Weiterhin hat die nationalistische Regierung auch die marxistischen (=Arbeiter) Sportverbände aufgelöst. … Der Nationalsozialismus konnte und durfte den Sport in die politische Sphäre aufnehmen. Denn die nationalistische Regierungsform ist der Ausdruck und die Lebensform aller Deutschen schlechthin. Deshalb muß sie aus dieser Erkenntnis heraus alles tun, was der Volksgemeinschaft nützlich ist. … Die zentrale Gewalt über alle Fragen des Sportes in einer Hand des Reichssportführers war eine Notwendigkeit, um dadurch entstandene Zuständigkeits-überschneidung und ungesunde Konkurrenzerscheinungen zu beseitigen.“

Dies steht in einem erheblichen Gegensatz zu der von den Ausstellungsmachern behaupteten Liberalität von Luz Long und konterkariert die Aussage von W. Wächter (Sportchef der LVZ, während der Eröffnungsfeier): „Ein Leipziger hat sich seine Menschlichkeit bewahrt“. Es sei daran erinnert, daß Leipzig die Zentrale des Deutschen Arbeitersportes bis zur Zerschlagung 1933 gewesen ist: Der Leipziger Luz Long stimmt in seiner Doktorarbeit diesem barbarischen Akt ausdrücklich zu!

In der Weitsprunginstallation wird eine Bildtexttafel gezeigt, auf der ein adidas-Schuh von 1936 abgebildet und der Originaltext der Fa. adidas dazu abgedruckt ist. Im Text wird behauptet, daß der abgebildete Weitsprungschuh der Marke „Waitzer Long Jump“ von Jesse Owens getragen worden ist. Es wäre für die Ausstellungsmacher ein Leichtes gewesen, dies mit einem Weitsprungbild von Owens abzugleichen: Owens hat diesen Schuh von adidas in Berlin 1936 nicht getragen! Auch hier hätte man sich eine korrekte Recherche der Ausstellungsmacher gewünscht.

Jahrzehntelang haben Medienmanager und Journalisten die „Lufthoheit“ über die besondere Owens-Long-Geschichte inne gehabt. Jetzt, wo sich Historiker und Museologen dieser Geschichte annehmen, ist es notwendig, die „Owens-Long-Story“ kritisch und differenziert aufgrund der sowohl in den USA und auch in Deutschland veröffentlichen Zweifel neu zu bewerten.

Es ist nicht damit getan, hagiografische Realien zu sammeln und auszustellen, sondern es muß auch eine kritische Bewertung von Personen in ihrer zeitgeschichtlichen Gebundenheit erfolgen: Das leistet diese Ausstellung überwiegend nicht, es wird sogar Verfälschung durch Verschweigen bzw. Vereinfachung betrieben.

Gerd Steins
Forum für Sportgeschichte, Präsident

 

Der weite Sprung – Die Sportlegenden Luz Long und Jesse Owens – Ausstellung in Leipzig aus Anlaß des 100. Geburtstags von Luz Long.

author: GRR

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