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2012 London Olympic Games London, England Aug03-12 2012 Photo: Victah Sailer@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

Zehnkämpfer Ashton Eaton – Der Neuntausender – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

20.06.2013 ·  Zehnkampf-Weltrekordhalter Ashton Eaton hat seinen Gipfel noch nicht erreicht. Ab Freitag muss sich der Olympiasieger bei den Trials beweisen, im August will er Weltmeister werden. Und zwischendurch heiraten.

„Die Saison 2012 ist perfekt“, sagt Ashton Eaton, und er wählt seine Worte mit Bedacht. „Man kann sie nicht übertreffen.“ Anfang des vergangenen Jahres gewann der stärkste Zehnkämpfer der Welt bei den Hallen-Weltmeisterschaften in Istanbul die Goldmedaille im Siebenkampf und verbesserte dabei seinen Weltrekord um 77 auf 6645 Punkte. In London wurde er Olympiasieger mit 8869 Punkten.

Zum Vergleich: Das sind 22 mehr, als – nach den heute geltenden Tabellen – Daley Thompson erreichte, als er bei seinem Olympiasieg 1984 in Los Angeles (mit damals 8798 Punkten) den Weltrekord von Jürgen Hingsen brach. Die Bestmarke hat Eaton längst in schwindelerregende Höhen geschraubt: auf 9039 Punkte – bei Kälte und Regen während der Olympiaqualifikation in Eugene vor fast genau einem Jahr. Man solle ein Sternchen hinter das Ergebnis setzen, sagte damals der geschlagene Weltmeister Trey Hardee, zum Zeichen für die miserablen Bedingungen.

Dieses Jahr – und damit ist mehr gemeint als die Saison – soll noch besser werden. Zwischen den Trials, die für die Zehnkämpfer an diesem Freitag beginnen in Eugene, und der Weltmeisterschaft im August in Moskau steht am 14. Juli die Hochzeit an: Eaton wird in Eugene die Siebenkämpferin Brianne Theisen heiraten, mit der er längst zusammenlebt.
 
Will nicht länger verlobt sein: Siebenkämpferin Brianne Theisen

„Wenn ich drüber nachdenke, wäre 2014 wohl der bessere Termin gewesen“, sagt er. „Aber Brianne wollte nicht so lange verlobt sein.“ Nicht einmal aufs Ende des Jahres ließ sich die Hochzeit verschieben. Ihr Vater ist Lehrer in Humboldt in der kanadischen Provinz Saskatchewan; nur in den Sommerferien hat er Zeit zu reisen. So wird die Feier schon in drei Wochen stattfinden. Zweihundert Gäste werden erwartet.

Sportlich ist von dem erst 25 Jahre alten Ashton Eaton dennoch einiges zu erwarten. „Achtet auf seinen Weitsprung“, ruft Trainer Harry Marra, als eine Gruppe Journalisten auf dem Hayward Field vorbeischaut, dem Gravitätszentrum der amerikanischen Leichtathletik in Eugene. Hier trainiert Eaton jeden Tag, hier ist Marra mehr damit beschäftigt, wie er sagt, seinen Athleten zu bremsen, als ihn anzufeuern.

Mit einer Bestleistung von 8,23 Meter – einer von sechs bei seinem Weltrekord – könnte Eaton im Weitsprung mit den Spezialisten konkurrieren. Doch statt ihn für einen Doppelstart zu melden, packt der erfahrene Coach ihn in Watte. „Zehnkampf ist eine Verletzung“, sagt Marra, „eine Verletzung, die danach sucht, wo sie stattfinden kann.“ Als es seinen Athleten im Mai in der Wade zwickte, blies Marra dessen Start in Götzis ab, beim zweitwichtigsten Zehnkampf des Jahres. Brianne Theisen flog allein nach Vorarlberg – und siegte mit 6376 Punkten. Sie kam am besten mit dem Regen zurecht.
 
Amors Pfeil: die Kanadierin Brianne Theisen wird den Amerikaner Ashton Eaton heiraten

„Zu Hause ist der gemütlichste Ort, an dem man sein kann“ steht auf einem Schild, welches das junge Paar auf dem Kaminsims seines Wohnzimmers ausstellt. Vielleicht wegen des schlechten Wetters, für das Oregon berüchtigt ist, vielleicht wegen der Einsamkeit des Reisenden. Am vergangenen Sonntag jedenfalls machten sich die beiden den Seufzer von Pooh dem Bär wieder zu eigen. Da waren sie aufgebrochen, den 467 Meter hohen Mount Pisgah bei Eugene zu besteigen. Nach wenigen hundert Metern brachen der König der Athleten und seine olympische Partnerin ihre Wanderung ab und kehrten zum Auto zurück. Sie rangen nach Luft, und ihre Oberschenkel schmerzten. Den Rest des Tages, das ist das wahre Leben, verbrachten sie auf der Couch.

9480 Punkte sind möglich

Der Einbruch war wohl dem harten Lauftraining geschuldet. Es soll dafür sorgen, dass das sportliche Leben der beiden, selbst wenn es in ähnlichen Bildern beschrieben wird, etwas anders verläuft. „Ich habe meinen Gipfel noch nicht erreicht“, sagt Eaton, der Zweite, der nach Roman Sebrle einen Neuntausender bewältigt hat. „Ich bin neugierig auf meine Grenzen.“ Angeblich spricht Marra niemals über Punktzahlen.

Eaton verrät, dass er der Versuchung nicht widerstehen konnte, seine zehn Bestleistungen zu addieren. 100 Meter in 10,21 Sekunden, Weitsprung 8,23 Meter, Kugelstoßen 15,40 Meter, Hochsprung 2,11 Meter, 400 Meter in 45,64 Sekunden, Hürdensprint in 13,35 Sekunden, Diskus 47,36 Meter, Stabhochsprung 5,30 Meter, Speer 66,64 Meter, 1500 Meter in 4:14,48 Minuten. „Das macht 9480 Punkte“, sagt Eaton. „Aber es ist Zehnkampf; der geht nie so aus, wie man denkt.“
 
„Die Saison 2012 war perfekt“: erst Weltrekord, dann Olympiasieg

Gerade sieben Jahre ist es her, dass der junge Ashton seinen ersten Zehnkampf bestritt. „Was ist das?“, erwiderte er, als sein Highschool-Trainer ihm einen vorschlug. Und dann: „Klingt nach Spaß.“ Zunächst sah der Achtzehnjährige darin eine Möglichkeit, ein College-Stipendium zu erhalten.

Der Plan ging auf. Aus dem Ort Bend, wo er bei seiner alleinerziehenden Mutter aufwuchs, zog er westwärts, ins Herz der amerikanische Leichtathletik mit den College-Teams von Oregon State, den Ducks, deren Infrastruktur er bis heute nutzt, und mit einer Geschichte, zu der auch die Gründung des größten Sportartikelherstellers der Welt gehört, Nike.

Eaton amüsiert sich über die Eindimensionalität des amerikanischen Publikums. „Basketball und Football versteht jeder“, sagt er. „Die Zuschauer in Amerika applaudieren am Ende dem Sieger des 1500-Meter-Laufes. Leichtathletik ist wirklich exklusiv: etwas für gebildete Menschen.“

 

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Donnerstag, dem 20 Juni 2013

author: GRR

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