2013 NYC Diamond League NYC, NY May 25, 2013 Photo: Victah Sailer@PhotoRun www.photorun.NET victah1111@aol.com 631-741-1865
Schneisen in den Feldern – Die Leichtathletik-WM in Moskau wird stattfinden, soviel ist sicher. Aber viele Favoriten haben absagen müssen – aus sehr unterschiedlichen Gründen. Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung
Nach Informationen des Sprint-Weltrekordlers Usain Bolt wird die Leichtathletik-WM in Moskau ein sehenswertes Ereignis. Er hat jedenfalls zugesichert, nach Kräften einen Beitrag zum Gelingen der Veranstaltung leisten zu wollen, die der internationale Fachverband IAAF vom 10. bis 18. August anberaumt hat.
Und so wie man die Kräfte des Jamaikaners und Akkord-Olympiasiegers kennt,macht er das dann auch.Mit Bolt allein wird die WM aber nicht zu stemmen sein.Erstens muss der Mann ja auch gegen irgendjemanden gewinnen. Zweitens ist es selbst einem Bolt nicht zuzumuten, in sämtlichen 24 Männer-Disziplinen der
WM inklusive 50Kilometer Gehen anzutreten.
Drittens kann man im Medien-Sport nie genug Prominenz haben. Aber gerade bei der bevorstehenden WM fehlen eine ganze Menge berühmte Leute. Aus sehr unterschiedlichen Gründen.
Ein Überblick.
Die Doper
Vor allem die Sprintturniere bei Männern und Frauen sehen ein bisschen leergeräumt aus. Die Dopingfahndung hat da zuletzt ein paar Schneisen in die Favoritenfelder geschlagen: TysonGay, der Weltjahresbeste über 100Meter (USA), die dreimalige Olympiasiegerin Veronica Campbell-Brown (Jamaika), der frühere 100-Meter- Weltrekordler Asafa Powell (Jamaika), die Staffel-Olympia-Zweite von 2012, Sherone Simpson (Jamaika) – alle haben sie gerade Sportbetrugsverfahren an den Hacken und dürfen deshalb nicht mitmachen in Moskau.
Die Herrschaften haben jeweils eigene Versionen zu ihren Fällen, die alle darauf hinauslaufen, dass sie zwar positiv getestet seien, aber trotzdem so blitzend sauber wie die Glatze von Meister Propper.
Besonders einleuchtend ist in diesem Zusammenhang die Entschuldigung von Tyson Gay: „Im Grunde habe ich jemandem vertraut und bin hängengelassen worden“, sagte der US-Rekordler, als er erklären wollte, warum er bei einer Trainingskontrolle imMai auf ein verbotenes Mittel getestet wurde, das er nicht nennen wollte.
Und nun fragt man sich natürlich, was besagter Freund dem Sprinter versprochen hatte: garantiert nicht nachweisbares Dopen etwa? Sicher ist vorerst nur, dass Gay und die anderen raus sind aus dem WM Geschäft, genauso wie die mittels Blutpass überführte türkische 1500-Meter-Olympiasiegerin Asli Cakir-Alptekin. Dass die Russen vor lauter Dopingfällen keine Mannschaft zusammengebracht hätten, ist übrigens ein böswilliges Gerücht.
Die Verletzten
Im Sprint fehlt noch ein prominenter Mensch: der Weltmeister, Olympia-Zweite, Staffel-Weltrekordler und Bolt-Trainingspartner Yohan Blake aus Jamaika hat in diesem Sommer keinen vernünftigen Wettkampf zuwege gebracht und folgerichtig seinen WM-Start abgesagt. Eine Oberschenkel- Geschichte, heißt es. Damit reiht sich Blake ein in eine lange Liste hochdekorierter Leute, die bei der WM wegen Verletzungen fehlen.
Der deutsche Speerwerfer Matthias deZordo kann wegen eines Achillessehnenrisses seinen WM-Titel nicht verteidigen, genauso wenig wie die russische Siebenkampf-Weltmeisterin Tatjana Tschernowa (Knie). Auch der 800-Meter- Weltrekordler, -Olympiasieger,und-Weltmeister David Rudisha (Kenia) ist wegen
Kniebeschwerden nicht dabei. Und die baumlange Hochsprung-Kroatin Blanka Vlasic wird ihren zwei WM-Titeln (2007, 2009) in Moskau keinenweiteren hinzufügen können.
Grund: Fußschmerzen. Die 29-Jährige spürt den Verschleiß nach vielen Jahren im Sport. So ist das eben in der Leichtathletik: Sie findet auf harten Böden statt, sie setzt die Athletenkörper großen Kräften aus, sie zehrt auf die Dauer. Oder um es etwas blumiger und frei aus dem Lateinischen übersetzt zu sagen: Die Leichtathletik ist den Leichtathleten ein Wolf.
Die Formschwachen
Verletzung und Formschwäche sind fast nicht voneinander zu trennen. Die britische Siebenkampf-Olympiasiegerin Jessica Ennis-Hill war zum Beispiel am vergangenen Samstag im Londoner Olympiastadion
durchaus beim Sporttreiben zu beobachten. Sie startete beim Diamond-League- Meeting in Hürdensprint (Vierte in 13,08 Sekunden) und Weitsprung (Letzte mit 6,16 Meter), fand ihre Leistungen allerdings
schlecht und ließ sich kurz darauf für die WM wegen der Achillessehnen-Beschwerden entschuldigen, die sie schon lange plagen.
Oder die deutsche Hochsprung-Rekordlerin Ariane Friedrich: Seit einem Achillessehnen-Riss Ende 2010 ist sie nicht mehr die Höhenjägerin von einst. Wenn sie in dieser Saison sprang, sprang sie unter der Qualifikations-Höhe für die WM von 1,95Meter, für die deutschen Meisterschaften sagte sie wegen Knieproblemen ab. Und Mitte Juli erklärte ihr Trainer Günter Eisinger die WM-Norm-Jagd für beendet, denn: „Sie muss erst wieder vollständig fit werden.“Ohne beste Gesundheit keine gute Form – altes Sportgesetz.
Die Verdrängten
Ob Äthiopiens Langstrecken-Weltrekordler Kenenisa Bekele, 31, nicht fit ist, kann man gar nicht so genau sagen. In den vergangenen Jahren hatte der vielmalige Weltmeister immer wieder Verletzungsprobleme, bei Olympia 2012 war er Vierter. Aber im Mai beim Diamond-League-Meeting in Eugene lief er immerhin 27:12,08 Minuten über 10 000 Meter, die viertbeste Zeit auf dieser Strecke 2013. Bekeles Problem ist wohl eher die Konkurrenz im eigenen Land. Die drei Plätze vor ihm in der Weltrangliste sind alle von Äthiopiern besetzt:
Ende Juni in Sollentuna/Schweden waren Dejen Gebremeskel (26:51,02), Abera Kuma (26:52,85) und Imane Merga (26:57,33) bei einem gemeinsamen Rennen alle schneller als Bekele. Prompt zog Äthiopiens
Verband sie und Titelverteidiger Ibrahim Jeilan dem alten Olympiasieger Bekele vor. Das passiertden Stars der Szene also auch. Sie sind gut. Aber nicht gut genug.
Andere Umstände
Barbora Spotakova aus Tschechien ist auch nicht dabei in Moskau. Damit fehlt die überragende Speerwerferin der vergangenen Jahre. Die zweimalige Olympiasiegerin, die Weltmeisterin von 2007, die Weltrekordlerin (72,28Meter). Spotakova, 32, hat schon im Herbst gesagt, dass sie ihre Karriere unterbreche und erst 2014 wieder einsteige.
Vielleicht wird sie ein bisschen wehmütig, wenn sie demnächst die WM-Wettkämpfe aus der Ferne betrachtet. Aber sie weiß ja, warum sie aussetzt. Der Grund heißt Janek und ist mittlerweile zwei Monate alt. Babypause – der beste Grund der Welt, um eine WM zu verpassen.
Thomas Hahn in der Süddeutschen Zeitung. Sonnabend/Sonntag, dem 3./4. August 2013