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16
08
2013

In den Jahren wurden acht Weltbestzeiten hier erzielt, vom bekanntesten der Rollis, dem Schweizer Heinz Frei allein drei Mal. ©Victah Sailer

Die Rollstuhlfahrer beim 40. Berlin-Marathon – Dr. Reiner Pilz berichtet

By GRR 0

Es gibt zeitgleiche Ereignisse, die später im Zusammentreffen ihre Synergie entwickeln: 1974 – die Geburtsstunde des Berlin-Marathon. 1974 – ebenfalls eine magische Jahreszahl für die Rollstuhlfahrer.

In diesem Jahr hatte der US-Amerikaner Bob Hall diese klassischen 42,195km als Erster im Rollstuhl bewältigt und damit ein Tor aufgestoßen, eine Bewegung initiiert, die den Sport Behinderter ganz allgemein revolutionierte. Rollstuhlfahrer waren schließlich Patienten und auf Dauer kaputt, so sahen es die Mediziner damals, und die relative Gesundheit sollte nun durch solch unsinniges Tun nicht auf's Spiel gesetzt werden. Aber die Patienten waren uneinsichtig, und so schwappte die Pionierleistung über den Atlantik auch nach Deutschland und fiel auf fruchtbaren Boden.

7 Jahre später, als 1981 der Berlin-Marathon aus dem Grunewald auf die Straßen der Großstadt – auf berollbares Pflaster – kam, war das schon ein Kraftakt an politischer und logistischer Überzeugungsarbeit an den Stadtvätern. Und nun meldete sich auch noch Errol Marklein mit weiteren 7 Rollstuhlfahrern, um am 8. Marathon auf den Berliner Straßen teilzunehmen.

Geprägt vom damaligen öffentlichen Bild von Rollstuhlfahrern waren die Vorbehalte des Veranstalters um Horst Milde und Christoph Kopp natürlich groß. Aber Marklein wusste Erstaunliches zu berichten und hatte im Schlepptau u.a. jenen Bob Hall dabei und so nahm die Sache ihren Lauf.

Noch erstaunter waren Veranstalter und Publikum, den Österreicher Georg Freund nach exakt 2:08:44 Stunden als Ersten im Ziel des 8. BERLIN-MARATHON begrüßen zu können – einen Rollstuhlfahrer.

Seitdem sind die leichtathletischen Rennrollstuhlfahrer eine feste Größe in Berlin.

Ohne Übertreibung kann gesagt werden, dass der BERLIN-MARATHON – über Jahre mit dem größten Rollstuhlfahrerfeld, Wesentliches geleistet hat bei der weltweiten Entwicklung dieser Sportart und durch seine Offenheit und Selbstverständlichkeit der Integration von Rollstuhlsportlern beispielgebend war und ist.

In den Jahren wurden acht Weltbestzeiten hier erzielt, vom bekanntesten der Rollis, dem Schweizer Heinz Frei allein drei Mal.

Eine ist gegenwärtig aktuell: in der Funktionsklasse T51 von Heinrich Köberle (GER) aus dem Jahr 1995.

1994 wurde der Berlin-Marathon als Weltmeisterschaftslauf des Internationalen Paralympischen Comiteé (IPC) ausgetragen.

Leider hat sich seitens des IPC die Kernsportart Rollstuhlmarathon sehr fragwürdig entwickelt. Während von 1984 bis zu den Paralympischen Spielen 2004 in Athen und allen Weltmeisterschaften in dieser Zeit der Marathon selbstverständlich in allen Funktionsklassen ausgetragen wurde, sind seit 2008 in Beijing, später London 2012 und in diesem Jahr bei den WM in Lyon die Tetraplegiker-Klassen T51 und T52 entgegen dem internationalen Reglement ausgeschlossen. Eine plausible Begründung ist nicht zu erfahren, Proteste laufen ins Leere, werden vom IPC nicht beantwortet.

Gesellschaftspolitisch gesehen schließt die höchste Behinderten-Sportorganisation, das IPC, Menschen wegen der Art ihrer Behinderung vom bedeutendsten Sportereignis, den Paralympischen Spielen aus und verwehrt ihnen so die Teilnahme in einer Kernsportart, die beispielgebend für die Emanzipation des Behindertensports gelten darf, sowohl sportlich wie gesellschaftlich, die sich die Aktiven über die Jahre selbst erobert haben, auch die Tetraplegiker der T51 und T52. Das ist pure Diskriminierung und das in einer Zeit von Bestrebungen der UNO nach Inklusion.

So übernehmen Stadtmarathons und immer dabei der nun 40jährige BERLIN-MARATHON hier in eigenem Selbstverständnis die Aufgabe, allen Rollstuhlfahrern, gleich welcher Behinderungsschwere, ihren Sport in der großen Gemeinschaft anerkannt und angemessen ausüben zu können.

Beim 40. Jubiläumsmarathon wird sich in der T51 der Saarbrücker Stefan Strobel (R 13) mit dem Briten Michael Marten (R14) messen.

In der  „offenen" Klasse T3/4 ist der Sieger von Berlin 2012, Marcel Hug (R 2, CHE) der klare Favorit, seine Jahresbilanz ist beeindruckend: u.a. Sieger des Oita-Rollstuhlmarathon, 2. Platz London-Marathon, Weltmeister in Lyon im Juli 2013. Und natürlich wird Heinz Frei (R 1), der 19fache Sieger in Berlin bei seiner 28. Teilnahme hier versuchen, den 40. BMW BERLIN-MARATHON für seinen 20. Sieg zu nutzen, immerhin hat er vor kurzem mit Platz 4 in Lyon nur knapp eine Medaille verfehlt.

Bei den Frauen präsentieren sich gleich 3 Schweizerinnen. Mit Manuela Schär (RF 3) tritt die frisch gebackene Weltmeisterin von Lyon an, die sich ein spannendes Rennen mit der Gewinnerin der Bronzemedaille, Edith Wolf-Hunkeler (RF 1) liefern dürfte. Das Trio wird komplettiert mit Patricia Keller (RF 2).

 

Dr. Reiner Pilz

 

Favoriten

 

Männer T53/54

R 2

Marcel

Hug

CHE

R 1

Heinz

Frei

CHE

R 3

Hiroyuki

Yamamoto

JPN

 

Männer T51

R 13

Stefan

Strobel

DEU

R 14

Michael

Marten

GBR

 

Frauen T53/54

RF 3

Manuela

Schär

CHE

RF 1

Edith

Wolf

CHE

RF 2

Patricia

Keller

CHE

 

 

author: GRR

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