Lorenz Peiffer & Moshe Zimmermann (Hg.): Sport als Element des Kulturtransfers. Jüdische Sportler zwischen NS-Deutschland und Palästina. Göttingen 2013: Wallstein Verlag. 250 S.; 24,90 € ©Wallstein Verlag.
Die (vergessene) Rolle des Sports als Element des Kulturtransfers – Neuer Sammelband mit Dokumentation zum jüdischen Sport vorgelegt – Die Buchbesprechung von Prof. Detlef Kuhlmann
Über die Rolle des Sports im Nationalsozialismus ist schon viel, aber noch längst nicht alles erforscht worden. Das Ministerium für Wissenschaft und Kultur des Landes Niedersachsen hat ein mehrjähriges und inzwischen abgeschlossenes Kooperationsprojekt zur „Geschichte des jüdischen Sports in der Zeit des Nationalsozialismus" finanziell gefördert, das am Institut für Sportwissenschaft der Leibniz Universität Hannover und dem Koebner Center für Deutsche Geschichte an der Universität Jerusalem angesiedelt war.
Jetzt haben die beiden Leiter des Forschungsprojektes – Prof. Lorenz Peiffer (Hannover) und Prof. Moshe Zimmermann (Jerusalem), der übrigens in Deutschland studiert hat – auf der Basis der Ergebnisse ihre Studien einen Sammelband herausgegeben, der die Rolle des Sports als Element des Kulturtransfers in vielschichtigen Facetten nachzeichnet.
Jüdische Sportlerinnen und Sportler waren damals aufgrund ihres Ausschlusses aus deutschen Sportvereinen durch die nationalsozialistischen Machthaber gezwungen, sich in jüdischen Vereinen zu organisieren oder ganz mit ihrem Sport aufzuhören. Diejenigen, die emigriert sind, konnten dann bestenfalls in einer neuen Heimat ihren sportlichen Neigungen wieder nachgehen.
Doch wie hat dieser „Sport-Transfer" damals tatsächlich funktioniert? Die beiden Herausgeber legen mit ihrem gerade erschienenen Sammelband „den Fokus auf die bis dato wenig erforschte Rolle des Sports als symbolisches und physisches Element in diesem Kulturtransfer von Deutschland bzw. Nazideutschland nach Palästina". Kulturtransfer meint hier, dass das sportliche Wissen und Können von emigrierten jüdischen Sportlerinnen und Sportlern, von Sportlehrern, Trainern und Funktionären und nicht zuletzt auch von jüdischen Sportjournalisten mitgenommen wurde in das neue Land bzw. in eine dort neu entstehende Gesellschaft transferiert wurde – für die Herausbildung zionistischer Identitäten in Palästina vor der Gründung des Staates Israel.
Nach Vorwort und thematischer Einleitung der beiden Herausgeber folgen insgesamt sieben Beiträge von einem sechsköpfigen gemischten deutsch-israelischem Autorenteam. Alle Beiträge bieten gehaltvolle Beispiele dafür, dass und wie sich dieser Kulturtransfer herausgebildet hat – sei es ganz konkret über „Die Beteiligung jüdischer Sportler aus Deutschland an der II. Makkabiah 1935 in Tel Aviv" (Titel des Beitrags von Henry Wahlig), sei es anhand der zahlreichen sportlichen Begegnungen von jüdischen Mannschaften aus Nazideutschland im Jahre 1937 in Erez Israel oder von der Sportreise eines Teams aus Palästina mit Spielen in Berlin, Frankfurt, Leipzig und Köln, worüber Dr. Eyal Gertmann und Prof. Lorenz Peiffer berichten.
Außerdem wird exemplarisch die Sportart „Fußball als Element des Kulturtransfers" (Titel des Beitrags von Prof. Moshe Zimmermann) dargestellt, während es in drei weiteren Aufsätzen um die Einführung des Turnunterrichts bzw. Schulsports in Palästina geht – hier sogar im Spiegel bzw. durch Inhaltsanalyse der Berichterstattung in deutsch-jüdischen Zeitungen von 1933 bis 1938.
Dem Band ist ein rund 70-seitiger Dokumentationsteil angehängt, der nicht minder lesenswert ist und allein durch seine Quellenvielfalt beeindruckt: Wir finden hier Text- und Bild-Zeugnisse u. a. aus der Jüdischen Rundschau und dem Israeltischen Familienblatt, die den Kulturtransfer ebenso dokumentieren wie private Aufzeichnungen und Eintragungen aus Tagebüchern – dazu sei exemplarisch aus dem Nachlass von Avraham Shapira zitiert, der in seinem Tagebuch im Frühsommer 1937 über die oben schon erwähnte mehrmonatige Sportreise einer Handball- und einer Basketballmannschaft aus Palästina berichtet, die die jüdischen Sportler u. a. zurück nach Berlin führt, wo sie im Vereinshaus von Makkabi Deutschland offiziell empfangen werden:
„Klavierspiel trägt zur angenehmen Atmosphäre bei, in den Pausen zwischen jeder Rede, alles gut und schön. Doch eines bereitet uns Sorgen. An einem Tische neben uns sitzt ein Beauftragter der Geheimpolizei".
Das Handballspiel am Tag danach vor 5.000 Zuschauern gewinnen die Gäste von Petach Tikwas (wegen Rutschgefahr durch das hohe Gras spielen sie übrigens barfuss!) gegen die Berliner Auswahl mit 3:2: „Wir sind sehr aufgeregt. Wir haben Berlin besiegt!! Nach einigen Minuten kommen die Mannschaften der Sportjugend eine nach der anderen auf den Spielplatz, angefangen mit den kleinen bis hinzu den Erwachsenen. 800 Sportler stehen auf dem Platz. Wir reihen uns barfuß und singend vor den zahlreichen Zuschauern auf, die uns mit großer Bewunderungen betrachten".
Fast möchte man daraus folgern: Das ist ein wunderbares Bühnenbild für friedlich-fröhlich gelebte Fankultur – auch heute noch zum Transfer geeignet?!
Prof. Detlef Kuhlmann
Lorenz Peiffer & Moshe Zimmermann (Hg.): Sport als Element des Kulturtransfers. Jüdische Sportler zwischen NS-Deutschland und Palästina. Göttingen 2013: Wallstein Verlag. 250 S.; 24,90 €
Als weitere Veröffentlichung zum Forschungsthema liegt bereits vor:
Lorenz Peiffer & Henry Wahlig: Juden im Sport während des Nationalsozialismus. Ein historisches Handbuch für Niedersachsen und Bremen. Göttingen 2012: Wallstein Verlag. 408 S.; 34,90 €