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2013

Auf den ersten 5 km machte Jason Hartmann (links) das Tempo. ©Collin Winter

Der Chicago-Marathon meldet sich in der Weltspitze zurück – Helmut Winter berichtet

By GRR 0

Mit den Weltklassezeiten von 2:03:45 und 2:19:57 gewannen Dennis Kimetto und Rita Jeptoo aus Kenia den 36. Bank of America Chicago-Marathon. Nachdem die Dominanz Chicagos in der weltweiten Marathonszene vor gut 10 Jahren auch durch ungünstige Wetterbedingungen anschließend verloren ging, und die Stadt am Lake Michigan von Berlin, Rotterdam und Dubai im Leistungsniveau deutlich übertroffen wurde, sorgten nahezu ideale äußere Voraussetzungen am letzten Sonntag für eine Trendwende.

Nach warmen Tagen vor dem Lauf sorgte Regen am Vorabend für reichliche Abkühlung und die Temperaturen lagen beim Start um die 10°C bei strahlendem Sonnenschein, nur teils auffrischender Wind störte leicht.

Schon auf den ersten km und Meilen war klar, dass das Feld an Weltklasseathleten diese einmaligen Bedingungen nutzen wollte. Und damit man nicht wie im Vorjahr den Anfang zu langsam anlief (1. km 3:10) wurde für die ersten 5 km der US-Marathonläufer Jason Hartmann als Tempomacher eingesetzt, der seine Aufgabe hervorragend erfüllte. Mit 3:00 für den ersten km (4:48 erste Meile) ging es zügig los, mit km-Abschnitten von 2:57, 2:54, 2:57 und 2:57 lag ein Feld von ca. 15 Athleten nach 5 km in 14:45 vorne.

Die Tempoarbeit übernahm nun der Marokkaner Abdellah Falil, der bis 25 km großartig agierte und damit maßgeblichen Anteil an den schnellen Zeiten der Erstplatzierten hatte. Wie gleichmäßig im Mittel das Tempo war, zeigen die anschließenden 5 km-Abschnitte in 14:36, 14:39, 14:39 und 14:37. Das bedeutete in der Summe 1:13:16 nach 25 km und eine Projektion ins Ziel von 2:03:40, eine Minute unter dem Kursrekord. Selbst die Region des Weltrekords war noch in Reichweite, hatte doch Wilson Kipsang vor 14 Tagen beim Weltrekordlauf von Berlin diese Marke nur unwesentlich schneller in 1:13:11 passiert.

Die Zwischenzeit beim Halbmarathon betrug 1:01:52, womit man die im Vorfeld benannten Vorgaben zwischen 1:01:45 und 1:02:00 einhielt. Eine erste Überraschung war, dass der Halbmarathonweltrekordler Zersenay Tadese (58:23) schon nach 15 km zurückfiel und mit einem Rückstand von 1 Minute beim Halbmarathon kurz darauf das Rennen aufgab. Das war eine weitere große Enttäuschung für den Mann aus Eritrea, der sein außergewöhnliches Können über die volle Distanz nicht in Ansätzen umsetzen kann. Für viele hatte er als ein Geheimfavorit gegolten, auf dessen Durchbruch im Marathon man weiter warten muss. Chicago war sicher ein Tiefpunkt seiner ansonsten großartigen Karriere.

Aber Tadese war nicht der einzige Läufer an diesem Tag, der für die Tempojagd an der Spitze bezahlen musste. Da war vor allem Shadrack Kosgei, der eigentlich bis 30 km das Tempo gestalten sollte, aber schon nach dem Halbmarathon seinen Dienst quittierte. Die sichtlich irritierte Spitze stellte sich schnell auf die neue Situation ein, mit 14:48 für die 5 km zur 30km-Marke ließ das Tempo leicht nach, man war aber dort mit 1:28:04 immer noch dicht am Berliner Weltrekord (1:28:00).

Von den verbliebenen 8 Läufern dünnte sich die Spitze auf diesem Abschnitt auf 4 Läufer aus: Dennis Kimetto, Emmanuel Mutai, Sammy Kitwara und Micah Kogo. Aussichtreiche Kandidaten wie der Sieger von 2011, Moses Mosop, oder der Dubai-Sieger von 2012, Ayele Abshero (ETH), verloren hier den Anschluss und wurden noch vom Lokalmatador Dathan Ritzenhein vor dem Ziel eingeholt, obwohl auch der Amerikaner sein Ziel einer Zeit um 2:06 nicht realisieren konnte.

An der Spitze waren es nun Mutai und Kimetto, die das Tempo bestimmten, und erst Kogo und dann Kitwara abhängten. Grund war ein 5 km-Abschnitt von 14:34, womit man bei 35 km in 1:42:38 nahe an der Weltrekordpassage lag (1:42:34). Mit weiteren 14:40 – wobei eine kurzes taktisches Manöver vor 28 km mit einem km-Abschnitt in 3:04 wertvolle Zeit kostete – erreichte das Führungsduo 40 km in 1:57:18. Zum Weltrekord waren jetzt noch 6:05 Zeit, ein Tempo das nur einmal von Mutais Namensvetter Geoffrey in Eindhoven vor einigen Jahren erreicht wurde.

Ein aufkommender Wind und der Schlussanstieg auf der Roosevelt Avenue kurz vor dem Ziel machten dem Ansinnen auf einen neuen Weltrekord ein frühes Ende. Dafür gab es an der 40 km-Marke  – direkt an den berühmten Chess-Studios in der 2120 South Michigan Avenue – die Vorentscheidung. Emmanuel Mutai konnte dem Angriff von Kimetto nicht mehr folgen und wurde im Ziel zum wiederholten Male in seiner Karriere Zweiter.

Sieger wurde Dennis Kimetto in der Weltklassezeit von 2:03:45. Das ist nicht nur neuer Kursrekord in Chicago, der in den letzten Jahren im Minutentakt gesteigert wurde (2011: 2:05:37, 2012: 2:04:38), Kimetto ist damit auch der drittschnellste Marathonläufer aller Zeiten auf einem zertifizierten Kurs. Nach einer Malaria-Erkrankung im Juli und Rückenproblemen, die in Heimat seines Managers van der Veen erfolgreich behandelt wurden, gewann er nach Tokyo im Februar bereits seinen zweiten Marathon Majors Titel und liegt in den Jahres-Wertungen mit an der Spitze.

Auch Emmanuel Mutai unterbot mit 2:03:52 die 2:04-Grenze, das gab es in einem Lauf bisher noch nie. Danach zeigte das hohe Tempo Wirkung, der Dritte Sammy Kitwara lief mit 2:05:16 gleichfalls eine Klassezeit, lag aber schon deutlich zurück. Am Ende lagen nur 5 Athleten unter einer Zeit von 2:10, für ein solches Klassefeld eine eher enttäuschendes Resultat, aber auch Konsequenz der mutigen Tempojagd; das war in Berlin vor zwei Wochen übrigens ganz ähnlich.

Mit den beiden Leistungen an der Spitze verbesserte sich Chicago im Zehnermittel – ein Maßstab für den Leistungsstandard eines Kurses – auf 2:05:04 und konnte damit London auf Pltz 5 verdrängen. Vorne liegen nach wie vor Berlin (2:04:18), Dubai und Rotterdam. Die Aufholjagd Chicagos hat aber in diesem Jahr eindrucksvoll begonnen.

Für den Sieger Dennis Kimetto war der Lauf die Fortsetzung einer kurzen, aber eindrucksvollen Karriere, die erst Anfang 2012 mit seinem Sieg in 60:40 beim Halbmarathon in Ras Al Khaimah begann. Dort startete er noch als „Denis Koech" und gewann im April in 59:14 den Berliner Halbmarathon. Das wäre Junioren-Weltrekord gewesen, wenn nicht Zweifel angesichts seines Alters aufkamen. Nun tauchte ein Pass auf, der ihn als „Dennis Kimetto" auswies und ihn 10 Jahre älter machte (* 22.1.1984).

Wie alt der gute Dennis wirklich ist, bleibt ungeklärt, vermutlich liegt das wahre Alter in der Mitte. Und das spielte einen Monat später keine Rolle, als er in einem Lauf der Superlative den Weltrekord über 25 km gleichfalls in Berlin (BIG 25) auf sensationelle 1:11:18 drückte. Als Tempomacher für seinen Trainingspartner Geoffrey Mutai (der startet im November beim New York Marathon) beim Berlin-Marathon 2012 vorgesehen, lief er dort ein glanzvolles Debut in 2:04:16 direkt hinter Mutai, wobei eine schlechte Renneinteilung eine noch bessere Zeit verhinderte.

In beiden Rennen in Berlin fiel er durch seinen extrem effizienten und lockeren Laufstil auf, mit dem er dann auch bei widrigen Verhältnis seinen nächsten Marathon in Tokyo im Februar 2013 in 2:06:40 gewann. Der Sieg in Chicago dürfte nur ein weiterer Höhepunkt seiner noch jungen Karriere sein, Kimetto ist sicher ein erster Aspirant auf eine Zeit unter 2:03.

Bei den Frauen verlief das Rennen zunächst weniger spektakulär, mit 5km-Abschnitten zwischen 16:50 und 17:00 erreichten knapp 10 Läuferinnen den Halbmarathon nach 1:11:15, wobei vor allem die 39jährige Russin Anna Konovalova das Tempo machte. Nach 30 km fiel dann die Entscheidung durch die Vorjahreszweite, Rita Jeptoo (KEN), die von dort mit 5km-Abschnitten von 16:05 und 15:58 in Radcliffe-Regionen agierte.

Nur ihre Landsfrau Jemima Jelegat konnte noch halbwegs folgen, musste dann aber noch vor 40 km eine wie entfesselt laufende Jeptoo ziehen lassen. Die erreichte unangefochten in 2:19:57 das Ziel im Grant Park und war damit die erste Läuferin des Jahres 2013 unter 2:20. Zweite wurde Jelegat in 2:20:48, und Konovalova wurde für ihren Einsatz mit tollen 2:22:46. Wäre die Russin ein Jahr älter, hätte Irinia Mikitenko ihren Masters-Weltrekord von Berlin schon wieder verloren.

Der Lauf von Jeptoo im zweiten Teil in 1:08:45 war in der Tat ähnlich spektakulär wie die Leistung von Kimetto. Das waren schon fast die Dimensionen einer Paula Radcliffe, deren Marathon-Weltrekord schier unantastbar erscheint. Und erst richtig schnell wurde Jeptoo nach 30 km, von wo sie noch 39:05 bis ins Ziel benötigte. Hier war Kimetto in 35:41 natürlich viel schneller, aber einige Herren brachen hier doch sichtbar ein: Kogo 38:51, Abshero 42:05 oder Mosop 43:13!

Achtbar schlugen sich die Amerikaner Dathan Ritzenhein in 2:09:45 und Matt Tegenkamp in 2:12:28 bei seinem Debut, wobei beide im Vorfeld bessere Zeiten erhofft hatten. Bemerkenswert die Leistungsdichte ihrer Landsleute, allein in Chicago liefen 12 unter 2:20 Stunden. Und ähnlich beeindruckend waren die Finisherzahlen: von gut 40000 gestarteten Teilnehmern erreichten 38846 bis 7:37:52 das Ziel, 21469 davon waren Männer. Die „Frauenquote" war somit auch diesmal in Chicago wieder beachtlich.

Und beachtlich waren auch die Sicherheitsmaßnahmen, die in Reaktion des Anschlags beim Boston-Marathon im April in Chicago umgesetzt wurden. In dem leider in den USA verlorengegangene Augenmaß für die Dinge wurden diese in einer Weise betrieben, dass man sich Sorgen um die Zukunft solcher Großveranstaltungen machen muss.

Während beim Berlin-Marathon diese Maßnahmen für den Zuschauer kaum sichtbar waren und störten, kannte man in Chicago kein Pardon. Der Start verlief so gut wie unter Ausschluss der Öffentlichkeit, in der Schlussphase waren die Bürgersteige auf einer Seite völlig gesperrt. Polizei, FBI und was sonst noch in den USA Sicherheit produziert war aufgeboten. Angesichts dieser Präsenz grenzte es fast ein Wunder, wie grandios innerhalb der Stadt die Stimmung und das Publikumsinteresse auch in diesem Jahr wieder waren.

Wenn man den Machern des Chicago-Marathons auch für die folgenden Jahre allen erdenklichen sportlichen Erfolg gönnt, eine solche Manie an sicherheitsmotivierten Attitüden hat bei einem Fest des Laufsports nichts zu suchen.

Und nicht nur dort!

 

Helmut Winter

 

Ergebnis der Männer

1. Kimetto, Dennis (KEN)  2:03:45  (CR)
2. Mutai, Emannuel (KEN)   2:03:52  (PB)
3. Kitwara, Sammy (KEN)    2:05:16
4. Kogo, Micah (KEN)          2:06:56
5. Ritzenhein, Dathan (USA) 2:09:45
6. Abshero, Ayele (ETH)       2:10:10
7. Sano, Hiroaki (JPN)           2:10:29
8. Mosop, Moses (KEN)        2:11:19
9. Oda, Yoshinori (JPN)         2:11:29
10. Tegenkamp, Matt (USA)  2:12:28
11. Kigen, Mike (KEN)          2:12:42
12. Shelley, Michael (AUS)   2:13:11
13. Leon, Craig (USA)           2:13:53
14. Higashino, Kenji (JPN)    2:13:53
15. Fujimori, Norihide (JPN)  2:13:55

  

(inoffizielle) Splits der Männerspitze:

  5 km 14:45  (3:00, 2:57, 2:54, 2:57, 2:57)

10 km 29:21 (14:36)  (2:56, 2:54, 2:57, 2:53, 2:56)

15 km 44:00 (14:39)  (2:57, 2:54, 2:54, 3:02, 2:52)

20 km 58:39 (14:39)  (2:54, 3:02, 2:53, 2:55, 2:55)

  HM   1:01:52

25 km 1:13:16 (14:37)  (2:55, 2:55, 2:56, 2:54, 2:57)

30 km 1:28:04 (14:48)  (3:01, 2:59, 2:57, 2:59, 2:52)

35 km 1:42:38 (14:34)  (2:55, 2:53, 2:53, 2:55, 2:58)

40 km 1:57:18 (14:40)  (2:51, 2:51, 3:04, 2:56, 2:58)

  Ziel   2:03:45  (6:27)  (2:54, 2:59)

 

Ergebnis der Frauen:

1. Jeptoo, Rita (KEN)          2:19:57
2. Jelegat, Jemima (KEN)       2:20:48
3. Konovalova, Maria (RUS)  2:22:46
4. Duliba, Aliaksandra(BLR)  2:23:44
5. Baysa, Atsede (ETH)           2:26:42
6. Kiros Reda, Ehitu (ETH)     2:27:42
7. Akaba, Yukiko (JPN)          2:27:49
8. Afework, Abebech (ETH)   2:28:38
9. Santucci, Clara (USA)         2:31:39
10. White, Melissa (USA)       2:32:37

 

 

author: GRR

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