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2005 World Marathon Majors Boston Boston, Ma January 23, 2005 Photo: Victah@Photo Run Victah1111@aol.com 631-741-1685

Horst Milde wird Fünfundsiebzig – Der „Erfinder des Berlin-Marathon“ ist als GRR-Vorsitzender im permanten Unruhe-Zustand mit vielen Ideen und Aktivitäten

By GRR 0

Am 24. Oktober 2013 wird Horst Milde fünfundsiebzig. Er gilt allgemein als der "Erfinder" des Berlin-Marathon, aber auch Trendsetter mit bedeutsamen Veranstaltungen wie dem Crosslauf am Teufelsberg, dem Frauenlauf im Tiergarten, dem Halbmarathon und, und, und…

Das Gespräch mit dem Vorsitzenden der Interessengemeinschaft German Road Races e.V. (GRR) gestaltet sich aber zusehends zu einer Replik auf 50 Jahre Laufsport in Deutschland – der zudem am 21. September in Bobingen mit den Deutschen 10 km-Straßenlaufmeisterschaften auch seitens des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) eine besondere Würdigung erfahren hat.

"Für mich ist Horst der Vater des Laufsports", charakterisiert GRR-Vorstandskollege Derk Kogelheide den überaus umtriebigen und geschätzten Macher aus Berlin. "Besonders wichtig ist dabei für mich, dass er viele Entwicklungen gefördert und vorangetrieben hat. Und dieses früher wie heute!"

Als einen besonderen Wesenszug bezeichnet Derk Kogelheide, der mit ihm bereits seit den 80er Jahren auf unterschiedlichen Ebenen zusammenarbeitet, dabei die Fähigkeit, "nicht nur seine eigene Veranstaltungen zu sehen, sondern immer auch über den Tellerrand hinaus zu blicken".

Dem Konditormeister, Diplom-Kaufmann und passionierten Läufer aus Berlin ist es nämlich gelungen, mit einem unbändigen Einsatzwillen, einer großen Beharrlichkeit und mit dem Mut für Innovationen in maßgeblicher Weise den Laufsport in Berlin, in Deutschland, aber auch weltweit mitzugestalten.

"Horst Milde ist per Du mit dem internationalen Laufsport!"

Auf der eigenen sportlichen Habenseite stehen für den eigentlichen Mittelstreckler mit einer Bestzeit von 1:49,8 Minuten über 800 m (1965) zwei deutsche Meistertitel für den SCC Berlin in der 3 x 1000 m-Staffel mit Bodo Tümmler und Gerhard Kopp in den Jahren 1964 und 1965. Doch der eigenen Entwicklung zum Spitzenläufer fehlte Horst Milde eigentlich nur die Zeit, denn nach einem Acht-Stunden-Tag in der Backstube war an ein effektives Lauftraining kaum zu denken.

Doch Horst Milde entwickelte sich schon in jungen Jahren als ausgewiesener Meister des Spagats. Denn schon während seiner aktiven Läuferkarriere organisierte er mit dem Sportreferat der Freien Universität (FU Berlin) den ersten Berliner Crosslauf. Geprägt von den offensichtlich nachhaltigen Erlebnissen als Teilnehmer bei Crossläufen in Le Mans (1964) oder im antiken Olympia (1965) wollte Horst Milde unbedingt auch in seiner Heimatstadt einen Cross-Country-Lauf ausrichten.

Leitend dabei die Idee "Alle Berliner können mitmachen" und lag damit im Disput mit dem Berliner Leichtathletik-Verband, der eigentlich nur Vereinsläufer am Start sehen wollte. Doch geplant und flugs getan – schon bei der Premiere tummelten sich im Jahr 1964 bereits 700 (!) Sportler. Studenten, Vereinsläufer und auch Hobbyläufer. Mit Bodo Tümmler – dem späteren Europameister über 1500m – im Cross der Asse und dem Steher-Radweltmeister Rainer Podlesch im Volkslauf gab es zudem überaus prominente Sieger.

Und hatte die Presse auf seiner Seite. Kontakte zu den Berliner Tageszeitungen taten ein Übriges, der Laufsport hatte seinen Einzug auf den Sportseiten gehalten.

Öffentliches Lauftraining am Teufelsberg ab 1964 (Vorgänger des jetzigen Lauftreffs) sorgte ebenso für Aufsehen wie die ersten Volksläufe, die wie Horst Milde zugab, "eigentlich Waldläufe waren". Letztlich dauerte es noch zehn Jahre nach der Cross-Premiere, bis Horst Milde, längst erster Volkslaufwart des Berliner Leichtathletik-Verbandes und Mitglied im Ausschuss für Breitensport des LSB Berlin, mit wenigen Helfern den ersten Marathonlauf organisierte.

In Anzeigen in Fachzeitungen ("Auch das war ein Novum!") warb Milde für "seinen" ersten Marathon – und hatte mit 286 Teilnehmern – 244 Finisher –  auf Anhieb eine Beteiligung, die weit über den bisherigen Standards lagen. "Im Jahr zuvor hatte der Verband vor unserer Geschäftsstelle einen Marathonlauf organisiert – mit 90 Teilnehmern. Da habe ich mir gesagt: Das kannst du besser!"

Die Premiere des Berlin-Marathon am 13.10.1974 war gelegt, auch wenn die Strecke  noch fernab jeglicher Öffentlichkeit vom Mommsenstadion aus ins Waldgelände an der AVUS zu einem Wendepunkt am Strandbad Wannsee über insgesamt zwei Runden führte. "Uns fehlte natürlich die Erfahrung, aber unsere Helfer waren euphorisch. Es gab zwei Wasserstellen mit Salztabletten und im Ziel heiße Brühe!" erinnert sich Horst Milde und denkt an die heute gängigen lukullischen Genüsse auf der Strecke oder im Ziel, die heutzutage einen Marathonlauf charakterisieren.

Und ergänzte in gleichem Atemzug: "Und es stand in der Ausschreibung: Ohne Training kein Marathon!"

Früher wie heute wichtiges Credo für den einstigen Mittelstreckler und späteren Organisator. Unter seiner Leitung kamen sieben Deutsche Meisterschaften zur Durchführung (u.a. Drei Marathon- und Zwei Deutsche Cross-Meisterschaften).

Der Aufstieg des Berlin-Marathon gelang 1981 mit dem Umzug in die Innenstadt zum Reichstag und letztlich 2003 ans Brandenburger Tor. Trotz oder wegen der permanenten Kämpfe mit den Ordnungsbehörden hat der Marathon gesiegt. 3.200 Läufer und 100.000 Zuschauer waren für Milde und Co. ein Einstieg nach Maß. Nein, ein Durchbruch für den Stadtmarathon.

Er selbst ist achtmal Marathon gelaufen, seine Premiere dabei in New York abgeliefert und hat auch auch u.a. in London und Boston teilgenommen. "Zu mehr fehlte mir einfach die Zeit. Mit einer Bäckerei-Konditorei mit 20 Angestellten, 3 Kindern und einem Garten…." sagt Horst Milde in seinem typisch Berliner Humor.

Der Berlin-Marathon ist früh zu einem Giganten der Szene geworden von den hohen Teilnehmerzahlen bis zu den vielen Weltrekorden. "An diese Entwicklung habe ich nie im Traum gedacht. Wir haben alles im Gegensatz zu heute ehrenamtlich gemacht und immer mit großen Augen zu Fred Lebow nach New York geschaut!"

Bis die Politik ins Spiel kam. Und drei Tage vor der Wiedervereinigung am 30. September 1990 liefen 25.000 durch West- und Ostberlin. Als Sieger wurden dabei überschwänglich der Australier Steve Moneghetti mit erstmals unter 2:10 Stunden (2:08:16) und die aus dem Ostteil des bislang geteilten Berlins stammenden Uta Pippig (2:28:37) gefeiert.

Bewegende Momente – auch für den weltweit in Sachen Marathon reisenden Race-Director Horst Milde. Als Veranstaltungsleiter und späterem Geschäftsführer der SCC Event GmbH hat er 40 Jahre lang gearbeitet, bis er, wie es Horst Milde umschrieb, "mit Fünfundsechzig aufgehört und gekündigt habe".

Doch Horst Milde beließ es nicht bei seinem vielfältigen Aufgaben in der seinerzeit geteilten früheren Reichshauptstadt mit dem Vorsitz der SCC-Leichtathletik-Abteilung (1969 -1982) oder dem langjährigen Job als Volkslaufwart des Berliner Leichtathletik-Verbandes (BLV).

1994 war er – als Initiator – zusammen mit herausragenden Persönlichkeiten der Veranstaltungsszene wie Wolfgang Kucklick (Hamburg), Irmgard Heckelsberger (Frankfurt), Horst Wiczynski (Paderborn) oder Bernd Düngen (Duisburg) Gründer von German Road Races, der Interessengemeinschaft der großen deutschen Läufe, 1998 wurde er zudem in den Vorstand der Internationalen Lauf-Vereinigung AIMS (Association of International Marathons and Distance Races) gewählt.

Horst Milde ist sicherlich eine Spezies Funktionär, die heute in dieser Intensität Seltenheit ist, denn für ihn war Ehrenamtlichkeit groß geschrieben. "Ich war halt ein lupenreiner Amateur-Veranstalter. Selbst mein Telefon habe ich bezahlt! Das ist natürlich in unserer heutigen Zeit mit den vielfältigen Anforderungen kaum machbar!"

Seine Familie als Unterstützung im Rücken und mit der Hilfe der auch läuferischen aktiven Ehefrau Sabine und den drei Kindern Karsten, Mark und Gesine gingen der “Ideenfabrik“ die Einfälle nicht aus.

Erst nach dem Verkauf seines Konditorei-Geschäftes ließ er sich 1998 fünf Jahre als Geschäftsführer der SCC Event GmbH anstellen. Als "Pensionär" ist Horst Milde rast- und ruhelos wie einst. Als GRR-Chef führt er die Interessengemeinschaft von aktuell über 60 Veranstaltern, gestaltet mit enormer Ausdauer die zweisprachige GRR-Website www.germanroadraces.de und treibt nach wie vor Entwicklungen voran.
Sein großer Erfahrungsschatz wird auch weiterhin beim "Bundesausschuss Laufen" des DLV  geschätzt.

Es sollte angefügt werden, er läuft auch jetzt noch jeden zweiten Tag morgens um 7.00 Uhr durch die umliegenden Tempelhofer Parks oder Straßen, fährt Rad auf dem ehemaligen Tempelhofer Flughafen – und hat das Deutsche Sportabzeichen 50-mal erfolgreich abgelegt.

Bei aller Anerkennung spart Horst Milde auch nicht mit Kritik. "Ich verstehe es heute noch nicht, weshalb wir 1964 und 1965 keine Frauen bei unserer Cross Veranstaltung zugelassen haben!"
Aber auch gegenüber seinen Nachfolgern beim Berlin-Marathon: "Leider wird die Arbeit unserer Generation teilweise nicht gewürdigt. Als Pioniere und Visionäre haben wir schließlich ein Gesamtwerk geschaffen, das beispielhaft ist!"

Was würde ein Chef-Organisator Horst Milde heute anders machen? Unbestritten, er hat vieles, wenn nicht gar alles richtig gemacht. "Unsere Veranstaltungen sind insgesamt alles Selbstläufer geworden. Neben dem Cross und dem Marathon haben wir hier in Berlin den Halbmarathon, den AVON Frauenlauf, die Teamstaffel (5 x5 km), die 10km City-Nacht u.a.m. als hochwertige Veranstaltungen installieren können, insgesamt sind unter meiner Führung weit über 300 Veranstaltungen mit 1,3 Millionen Teilnehmern durchgeführt worden. Wir haben es in der Tat geschafft, mit diesen Lauf-Ideen die Bevölkerung aufzurütteln, damit diese vor allem an ihre eigene Gesundheit denken. Es ist uns gelungen, Jugendliche und Behinderte mit Wettbewerben für Rollstuhlfahrer und Handbiker zu integrieren. Der Mini-Marathon der Berliner Schulen mit 10.000 Teilnehmern ist praktisch schon eine eigene Veranstaltung für sich im Rahmen des Berlin-Marathon geworden".

Zudem war der Berlin-Marathon dank Horst Milde Trendsetter in den unterschiedlichsten Bereichen. Zwischen Reichstag und Kurfürstendamm wurde in am 25.09.1994 nämlich erstmals weltweit der ChampionChip eingesetzt, im Rahmenprogramm haben überkonfessionelle Gottesdienste ebenso ihren Platz gefunden, die Marathonmesse, der Inline-Marathon (seit 1997), der Frühstückslauf, Bambiniläufe, der Musik-Marathon an der Laufstrecke, Kinder-Malwettbewerbe, der Berlin-Marathon-Jubilee-Club, Film-/Theater Premieren, der Literatur-Marathon,  das ausgeklügelte Notfallrettungssystem mit der Berliner Feuerwehr oder die Ärzte-Symposien und vielen Medizin-Foren mit der Rennarzt-Legende Dr. Willy Heepe.

Als Berater ist Horst Milde im In- und Ausland ein willkommener Ansprechpartner. Seiner Initiative ist es aber auch zu verdanken die IAAF überzeugt zu haben, dass der Marathonlauf und das Gehen bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften inzwischen als eine Werbetour über mehrere Runden durch die Innenstadt fungiert. Siehe Berlin (2009), London (2012) oder Moskau (2013) – und nicht durch eher öde Landschaften mit Start und Ziel im leeren Stadion führt.

Den Berlin-Marathon führte er in die World Marathon Majors (WMM) – der Weltelite der Marathonläufe – und die Auszeichnung der AIMS für den Berlin-Marathon als „Marathon des Jahrzehnts“ aufgrund der vielen (neun) Weltrekorde gehört zu den gern gesehenen Auszeichnungen.

Bei der Association of International Marathons and  Distance Races (AIMS) gehörte der Berlin –Marathon 1982 zu den Gründungsmitgliedern.

Seit 6 Jahren  ist der Vorsitzender des AIMS Symposiums das alljährlich in Athen und in Marathon im November – in Verbindung mit dem Athens Classic Marathon – zur Durchführung kommt.

Das "AIMS Marathon Museum of Running" beim Sportmuseum Berlin im Olympiapark wurde  auf seine Initiative hin 1994 gegründet worden und hat sich zu einem Edelstein für Laufsport und Leichathletik in der Museumslandschaft entwickelt.

Anekdoten aus seiner intensiven Veranstalter-Ära würden sicherlich Bände füllen, denn Horst Milde ist auch ein charmanter Erzähler. "Es sind 1000 Sachen, die alle für sich einmalig sind. Vielleicht ist es der Neujahrslauf 1990, der ohne Wettkampfcharakter durch Ost- und Westberlin geführt hat und 20.000 Läufer auf die Beine brachte.

Vielleicht…. ".

Herzlichen Glückwunsch zum Fünfundsiebzigsten!
Deine GRR-VeranstalterkollegInnen im In- und Ausland
Wilfried Raatz

 

Mister Marathon – 40. Berlin-Marathon: Wie Horst Milde eine Stadt zum Laufen brachte – Hans Ulrich in SPORT IN BERLIN

author: GRR

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