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31
10
2013

Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ©privat

Pechstein-Resolution: Großer Unterstützerkreis für Pechstein – Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Die Petition von und für Claudia Pechstein gegen die Athletenvereinbarung entwickelt sich zum Politikum. 55 Athletinnen und Athleten treten in dieser Zeitung mit ihrem Bekenntnis an die Öffentlichkeit, sie hätten in Unkenntnis der gravierenden Konsequenzen und unter dem Zwang, ansonsten nicht für die Nationalmannschaft nominiert zu werden, ihre Rechte abgetreten.

Unter ihnen sind elf Olympiasiegerinnen und -sieger wie die Biathletin Andrea Henkel, die Vielseitigkeitsreiterin Ingrid Klimke, die Kanutin Katrin Wagner-Augustin, der ehemalige Bobfahrer André Lange und Diskuswerfer Robert Harting. Zu den Unterzeichnern gehören auch Stabhochsprung-Weltmeister Raphael Holzdeppe, Doppel-Olympiasieger Robert Bartko (Rad), Vizepräsident für Leistungssport des Landessportbundes Berlin, sowie Boris Obergföll, der Bundestrainer der Speerwerfer.

Sie stammen aus 16 verschiedenen Verbänden, und zu ihnen gehören 28 Goldmedaillengewinner von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen.

Claudia Pechstein, fünfmal Olympiasiegerin im Eisschnelllauf, hat zur Unterzeichnung der Petition aufgerufen, um im Prozess um Schadensersatz in Höhe von 3,5 Millionen Euro für ihre zweijährige Sperre vor dem Landgericht München belegen zu können, dass Athleten sich der Schiedsgerichtsbarkeit des Sports nicht freiwillig unterwerfen. Genau diesen Druck scheint in einigen Verbänden die Kritik an der Athletenvereinbarung zu erzeugen.

Ein Manager berichtete dieser Zeitung, zwei Athleten, die er vertrete, seien von ihrem Bundestrainer darauf hingewiesen worden, dass er bei der Nominierung für die Olympischen Winterspiele im Februar in Sotschi diejenigen bevorzugen werde, die nicht so renitent seien wie die Unterzeichner der Petition. Um keine Scherereien zu bekommen, hätten sie zunächst auf die Unterschrift verzichtet.

Claudia Pechstein kommentierte: „Dass meinen Kollegen damit gedroht wird, sie nicht für Olympia zu nominieren, wenn sie die Erklärung unterschreiben, ist ein Skandal. Ich schäme mich dafür, dass so etwas in unserem Land möglich ist. Unser IOC-Präsident sollte den Verantwortlichen in den Verbänden mal die Olympische Charta vorlesen.“ Von der Nummer eins bis zur Nummer 55 zeuge diese Liste von großem Charakter, sagte sie. „Ich bin jedem dankbar, der meinen Vorstoß unterstützt, weiß aber auch, dass die Zahl derer, die eine Reform des Sportrechts wünschen, noch viel größer ist. Aber viele haben Angst, sich öffentlich dazu zu bekennen.“

„Horizontöffnend“

Auf die Frage, ob Rodlerinnen unter Androhung, nicht für Sotschi nominiert zu werden, aufgefordert worden seien, die Pechstein-Resolution nicht zu unterschreiben, erwiderte Thomas Schwab, der Generaldirektor des Bob- und Schlittenverbandes: „Das stimmt nicht. Ich habe selbst mit den Rodlerinnen darüber gesprochen. Ich habe ihnen gesagt, dass wir als Verband den Kodex der Nationalen Anti-Doping-Agentur akzeptiert haben. Teil des Kodex ist die Verpflichtung auf eine Schiedsgerichtvereinbarung, die wiederum Teil der Athletenvereinbarung ist. Ich habe die Athleten informiert, aber sicher nicht unter Druck gesetzt.“
 

Hartings Erklärung

In einer E-Mail fordert Schwab vor knapp zwei Wochen die Bundestrainer seines Verbandes auf: „… bitte alle Athleten aufklären, dass der Bitte von Claudia Pechstein nicht nachgegangen wird. Wenn wir die Schiedsgerichtsbarkeit bei möglichen Doping-Fällen aufheben, bedeutet dies aufgrund der Länge, die eine Verhandlung durch ein ordentliches Gericht mit sich bringen kann, das Ende der Sportförderung durch die öffentliche Hand.“ Claudia Pechsteins Manager Ralf Grengel glaubt dennoch an weiteren Zulauf: „Dies ist nicht das Ende der Fahnenstange“.

Patrick Hausding, Welt- und Europameister im Wasserspringen, nannte die Erklärungen von Claudia Pechstein, die er wie die meisten anderen Unterzeichner per E-Mail erhielt, „horizontöffnend“. „Ich hatte das nicht in dieser Größenordnung eingeordnet“, sagte er dieser Zeitung, „und war erstaunt, dass Sportler gar nicht vor ordentlichen Gerichten klagen dürfen.“ Für Hausding ist die Petition von und für Claudia Pechstein „ein guter Anstoß, auf die Formulierung der nächsten Athletenvereinbarung einzuwirken.“

GdP steht hinter Pechstein

Die Gewerkschaft der Polizei hat am Montag die achtzig Mitglieder der Sportfördergruppe der Bundespolizei aufgefordert, ebenfalls die Resolution zu unterzeichnen. Die Athletenvereinbarung sei vollkommen unakzeptabel, weil sie das Rechtsstaatsgebot außer Kraft setze, sagte Josef Scheuring, der Vorsitzende der GdP, Bezirk Bundespolizei. Er halte sie für sittenwidrig. „Wir rufen die Spitzensportler auf“, sagte er, „sich gegen die Unterwerfung zu wehren.“
DM Eisschnelllauf © dpa

Unermüdliche Kämpferin: Claudia Pechstein hat mit ihrer Petition einiges ins Rollen gebracht

Die GdP engagiert sich für Gewerkschaftsmitglied Pechstein, seit der damalige Innenminister Thomas de Maizière infolge der Sperre wegen anomaler Blutwerte ein Disziplinarverfahren gegen die Sportlerin einleitete. Das Verfahren erwies sich als Glücksfall für Claudia Pechstein, denn der Rechtsgutachter kam zu dem Schluss, dass die Sportgerichtsbarkeit in ihrem Fall nicht rechtsstaatlichen Prinzipien gefolgt sei. „Ich würde mir wünschen, dass Herr de Maizière sich noch einmal mit dem Fall befasst“, sagt Scheuring. „Irgendwann ist eine Entschuldigung fällig.“

„Womöglich gibt es das ein oder andere Informationsdefizit“

Neun Unterzeichner sind Leichtathleten, unter ihnen Christina Obergföll, Robert Harting und Raphael Holzdeppe, drei der vier Weltmeister des Verbandes. DLV-Präsident Clemens Prokop, Direktor des Amtsgerichts Regensburg, lässt Verständnis erkennen. „Die Solidarität der Sportlerinnen und Sportler ist nachvollziehbar. Sie ist vermutlich mit der Angst vor übermächtigen Verbänden verbunden und dem Gefühl, möglicherweise nicht fair behandelt zu werden“, sagt er. „Diese Ängste sind weitgehend unbegründet.“ Prokop legt Wert auf die Differenzierung zwischen der Athletenvereinbarung, die etwa die Verpflichtung zur Teilnahme an internationalen Wettbewerben und die Leistungen des Verbandes regele, und der Schiedsgerichtsvereinbarung, einem Zusatz, der gesondert unterzeichnet werden muss. Um ihn geht es in der Diskussion.

„Womöglich gibt es das ein oder andere Informationsdefizit“, sagt Prokop gelassen.
Um schnell und kostengünstig zu Entscheidungen zu kommen, nicht um Athleten zu knebeln, habe sich der Sport für die Schiedsgerichtsbarkeit entschieden; ein rechtsstaatlich anerkanntes Verfahren, das sich auf eine Instanz und die Berufung beim Cas in Lausanne beschränkt. Sich der Schiedsgerichtsbarkeit zu unterwerfen, verlange im Übrigen das Internationale Olympische Komitee (IOC). Wer das nicht tue, könne nicht an Olympischen Spielen teilnehmen.
 
Applaus für Pechstein: Raphael Holzdeppe hat auch unterschrieben

In der Resolution bekunden die Athleten, dass erst das Verfahren von Claudia Pechstein vor dem Landgericht München sie dazu gebracht habe, intensiv über die Folgen ihrer Unterschrift unter die Athletenvereinbarung nachzudenken. Ihnen sei zuvor nicht bewusst gewesen, dass sie auf das Grundrecht verzichteten, selbst in existentiellen Fragen ein ordentliches Gericht anrufen zu dürfen, und sich einer Rechtsprechung unterwerfen, in welcher der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ nicht gelte.

Die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) hatte in einer Erwiderung, die vom Deutschen Olympischen Sportbund an alle Verbände ging, ausgeführt, dass die Anerkennung der Schiedsklausel Voraussetzung für die Teilnahme an Olympischen Spielen und internationalen Wettbewerben sei. Den Athleten sei bewusst, dass die Schiedsvereinbarungen in „(grund)rechtliche Positionen“ eingriffen; sie akzeptierten auch das Prinzip der Umkehr der Beweislast (strict liability). Im Fall einer positiven Doping-Probe muss der Athlet seine Unschuld beweisen.

Kein Athlet, den diese Zeitung zu seiner Unterschrift unter die Pechstein-Resolution befragte, wollte diese im Übrigen als Kündigung seiner Schiedsgerichtsvereinbarung verstanden wissen. Ein Paukenschlag ist der breite Zuspruch unter prominenten Athleten gleichwohl.

 

Michael Reinsch, Berlin in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Dienstag, dem 29. Oktober 2013
 

„Wir haben unterschrieben“

1. Friedrich, Ariane (Hochsprung) . 2. Lange, André (Bob) . 3. Klimke, Ingrid (Vielseitigkeitsreiten) . 4. Ottke, Sven (Boxen) . 5. Holzdeppe, Raphael (Stabhochsprung) . 6. Viehweg, Alexander (Speerwurf) . 7. Hacker, Marcel (Rudern) . 8. Obergföll, Boris . 9 Obergföll, Christina (beide Speerwurf) . 10. Wagner-Augustin, Katrin (Kanu) . 11. Schrader, Michael (Zehnkampf) . 12. Stäbler, Frank (Ringen) . 13. Hoff, Max (Kanu) . 14. Schönfelder, Gerd (Paralympics) . 15. Vogel, Kristina (Rad) . 16, Thiele, Anne Kathrin (Rudern) . 17. Dehmlow, Carsten (Schwimmen) . 18. Kraus, Bente . 19. Angermüller, Monique (beide Eisschnelllauf) . 20. Enders, René (Bahnrad) . 21. Schwarz, Samuel . 22. Ihle, Nico . 23. Ihle, Denny (alle Eisschnelllauf) . 24. Henkel, Andrea (Biathlon) . 25. Hesse, Judith (Eisschnelllauf) . 26. Hübenbecker, Marko (Bob) . 27. Harting, Robert (Diskuswurf) . 28. Leipold, Alexander (Ringen) . 29. Lehmann, Robert (Eisschnelllauf) . 30. Tscharnke, Tim (Langlauf) . 31. Förstemann, Robert (Bahnrad), 32. Munkhbayar, Dorjsuren (Schießen) . 33. Felski, Sven (Eishockey) . 34. Hettich, Georg (Nordische Kombination) . 35. Hausding, Patrick (Wasserspringen) . 36. Welte, Miriam (Bahnrad) . 37. Klaas, Katrin (Hammerwerfen) . 38. Bönisch, Yvonne (Judo) . 39. Phan, My (Wasserspringen) .40. Teichmann, Axel (Langlauf) . 41. Kiriasis, Sandra (Bob) . 42. Spank, Raul (Hochsprung) . 43. Richter, Julia (Rudern) . 44. Birnbacher, Andreas (Biathlon) . 45. Plate, Jennifer (Eisschnelllauf) . 46. Klein, Sascha (Wasserspringen) . 47. Warnecke, Mark (Schwimmen) . 48. Bartko, Robert (Bahnradsport) . 49. Görges, Julia (Tenis) . 50. Haseney, Sebastian (Nordische Kombination) . 51. Dorsch, Nico . 52. Pflug, Jonas (beide Eisschnelllauf) . 53. Baxmann, Jens . 54. Hördeler, Frank . 55. Rankel, André (alle Eishockey).

author: GRR

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