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19
11
2013

Prof. Dr. Sebastian Braun in "SPORT in BERLIN" - Gesellschaftlicher Wandel verändert auch das Ehrenamt ©LSB Berlin - SPORT IN BERLIN

Gesellschaftlicher Wandel verändert auch das Ehrenamt – Prof. Dr. Sebastian Braun in „SPORT in BERLIN“

By GRR 0

Auf dem Kongress der Deutschen Sportjugend „Junges Engagement im Sport" in Frankfurt am Main erläuterte Prof. Dr. Sebastian Braun von der Humboldt-Universität Berlin seine neue Studie über das freiwillige Engagement von Jugendlichen im Alter von 14 bis 24 Jahren im Sport:

Was zeigen die Ergebnisse des Berichts?

Dass im Sport die Aktivitätsquote der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland über den Zehnjahreszeitraum hinweg bei über 50% liegt. Unter quantitativen Gesichtspunkten bildet der Sportbereich damit konstant und mit deutlichem Abstand vor allen anderen untersuchten Handlungsbereichen den wichtigsten Raum zivilgesellschaftlicher Aktivitäten von Jugendlichen in Deutschland.

Sie berichten aber auch, dass gerade im Sportbereich das Engagement rückläufig ist.

Im Sportbereich hat das freiwillige Engagement der 14- bis 24-Jährigen von 1999 bis 2009 deutlich abgenommen: Die Engagementquote sinkt im Zehnjahreszeitraum um 2,6 Prozentpunkte von 14,8% auf 12,2% und damit dynamischer als in dieser Altergruppe im bundesweiten Durchschnitt insgesamt. In Absolutzahlen ausgedrückt sind in diesem Zeitrahmen ca. 265.000 Jugendliche dem Sport als freiwillig Engagierte verloren gegangen; kein anderes Handlungsfeld hat eine vergleichbare Zahl an jugendlichen Engagierten eingebüßt. Gleichwohl bildet der Sport mit seiner zweistelligen Engagementquote bei den 14- bis 24-Jährigen weiterhin den mit Abstand größten Engagementbereich in Deutschland.

Gibt es dabei besonders auffällige Gruppen?

Die rückläufigen Engagementquoten sind z. B. bei den Studierenden in der untersuchten Altersgruppe besonders bemerkenswert. Ihre Quote sinkt im Sportbereich von 21,9% im Jahr 1999 auf 13,4% im Jahr 2009. Aber auch bei den Schülern sind Rückgänge in moderaterer Form unübersehbar. Die Annahme erscheint nicht unbegründet, dass diese auffälligen Rückgänge auch durch Strukturveränderungen im Schul- und Hochschulsystem in den 2000er Jahren mitverursacht wurden. Exemplarisch dafür stehen die Bologna-Prozesse im Hochschulsystem, die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur (G8) oder die zunehmende Verbreitung der Ganztagsschule – strukturelle Veränderungen, die u.a. auf die zeitlichen Handlungspielräume von Jugendlichen für ein freiwilliges Engagement im Sportbereich limitierend gewirkt haben dürften.

Gilt das auch für das Engagement in Leitungs- und Vorstandsfunktionen?

Nein. Der Anteil der Jugendlichen, die im Sportbereich Leitungs- und Vorstandsfunktionen wahrnehmen, hat im Zehnjahreszeitraum dynamisch zugenommen: von 21,1% im Jahr 1999 über 23,1% in 2004 auf 28,1% im Jahr 2009. Dieser Anstieg um 7 Prozentpunkte ist einerseits bemerkenswert, weil er im Kontrast zur allgemeinen Tendenz im Sportbereich steht, in dem eine rückläufige Quote unter den Engagierten in Leitungs- und Vorstandsfunktionen zu erkennen ist. Andererseits ist er auffällig, weil der Anstieg des prozentualen Anteils unter den freiwillig engagierten 14- bis 24-Jährigen, die in Leistungsund Vorstandsfunktionen tätig sind, insgesamt deutlich geringer ausfällt als im Sportbereich.

Sie haben einmal von einem „PISA-Effekt" im Zusammenhang mit dem freiwilligen Engagement gesprochen. Zeigt sich so ein Effekt auch beim jungen Engagement im Sport?

Durchaus kann man die PISA-Studien als Referenz heranziehen, um die markanten bildungsspezifischen Ungleichheiten beim freiwilligen Engagement von Jugendlichen weitergehend zu interpretieren. So weisen im Jahr 2009 rund zwei Drittel der freiwillig engagierten Jugendlichen im Sportbereich ein hohes Bildungsniveau auf bzw. streben hohe Bildungsabschlüsse an, während gerade einmal 5,7% von ihnen niedrige Bildungsqualifikationen erworben haben oder voraussichtlich erwerben werden.

Die Chance für einen Jugendlichen, der ein hohes „Bildungskapital" aufweist, sich im Sportbereich freiwillig zu engagieren, lag im Jahr 2009 um das 2,2fache höher als für einen Jugendlichen mit niedrigem Bildungskapital. Diese Ergebnisse lassen sich in Orientierung an den französischen Soziologen Pierre Bourdieu so interpretieren, dass die bildungsaffinen Jugendlichen ihr Engagement als Bestandteil eines bildungsorientierten Lebensstils und kulturelle Praxis im öffentlichen Raum betrachten, der individuelle Erfahrungs- und Perspektiverweiterungen wie auch Selbstverwirklichungspotenziale in der zivilgesellschaftlichen Wirklichkeit eröffnet. Denn analog zur bevorzugten Literatur oder Musik lässt sich ein freiwilliges Engagement im Sportbereich immer auch als Ausdruck eines bestimmten Lebensstils mit den entsprechenden Praktiken und Objekten der symbolischen Lebensführung deuten.

Was bedeutet das für die Sportverbände?

Für eine sportbezogene Engagementpolitik für und von Jugendliche/n ist es sinnvoll, sportbezogene und engagementbezogene Debatten enger miteinander zu verzahnen und politische Konzepte, praktische Ansätze und Erfahrungen wie auch Forschungsfragen und -ergebnisse systematischer aufeinander zu beziehen. Exemplarisch dafür stünde der Versuch, die Diskussionen über freiwilliges Engagement und Möglichkeiten staatlicher Engagementförderung zugunsten von Jugendlichen im Sport enger mit den Debatten über individuelle Teilhabechancen zu verbinden; denn eine zentrale Herausforderung von Staat und Politik dürfte darin bestehen, das wohlfahrtsstaatliche Arrangement so weiterzuentwickeln, dass der individuelle Anspruch auf bürgerschaftliche Teilhabe an den Lebensmöglichkeiten der Gesellschaft für Jugendliche garantiert werden kann – und dazu dürften auch Teilhabechancen an kulturellen Praktiken im Sport gehören.

In diesem Kontext könnten innovative Modellprogramme in Kooperation zwischen Akteuren staatlicher Engagement- und Sportpolitik einerseits und Sportvereinen andererseits als mögliches Korrektiv zu wachsenden sozialen Ungleichheiten bereits im Jugendalter zweckmäßig sein und systematisch erprobt werden.

 

Prof. Dr. Sebastian Braun in "SPORT in BERLIN" – Oktober/November 2013

 

Informationen zur Studie: www.sportsoziologie-berlin.de; www.sportverlag-strauss.de

author: GRR

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