Blog
18
12
2013

Gustav Schwenk zum 90. Geburtstag - Michael Gernandt gratuliert ©privat

Gustav Schwenk zum 90. Geburtstag – Michael Gernandt gratuliert

By GRR 0

Ein flüchtiger Blick auf die überschaubar besetzte Pressetribüne im Ulmer Stadion genügte, um seine Absenz zu bemerken. Bekannte Gesichter dort, das schon, aber das bekannteste fehlte. Was sollte man davon halten: Das Hochamt der deutschen Leichtathletik ohne seinen Hohepriester?

Konnten sie überhaupt funktionieren: die „Deutschen" ohne Gustav Schwenk, diese Institution der Leichtathletik, ihr Erfinder gar, wie es zuweilen nicht sarkastisch, sondern in Anbetracht seines immensen Wissens, seiner grenzenlosen Erfahrung respektvoll hieß. 

 Nur dreimal nach dem Krieg hatte er das Championat des DLV verpasst; möglicherweise einmal gleich nach 1945, als im Chaos der Jahre nach dem Zusammenbruch die Reise von seiner Heimatstadt Düsseldorf beispielsweise in den Süden des Landes an den Unwägbarkeiten jener Zeit scheiterte; oder einmal Anfang der 1980er-Jahre, als ihm nach einem schwerer Autounfall in der heimischen Garage das Arbeiten nicht möglich war; bestimmt jedoch 2012 und eben 2013, als gesundheitliche Probleme die Anwesenheit am Meisterschaftsort nicht zuließen.

Weit mehr als ein halbes Jahrhundert Berichterstattung vom Bemühen der Besten um das höchste Diplom: eine gewaltige Lebensleistung in einem unfassbaren Zeitraum!

Wie man eine derartige Distanz so ausdauernd bewältigen kann? Gustav Schwenk wird vermutlich verweisen auf seine Hingabe zum Journalistenberuf, den er 1947 ergriffen hatte, die nie erlahmende Faszination der Leichtathletik, die ihn schon 1950 bei der EM in Brüssel gefangen nahm und, ganz wichtig, der Rückhalt in der Familie.

Frau Marlene war auch im Beruf die stets hilfreiche Partnerin an seiner Seite, Sohn Joachim zog es früh zum Beruf des Vaters und selbst dessen Bruder Wolfgang, der Mediziner wurde (er ist heute einer der bekanntesten Viszeralchirurgen des Landes), brachte indirekt eine Verbindung zum Sportjournalismus zustande – wenn der Vater gelegentlich seine Berichte mit dem Pseudonym Joachim Wolfgang zeichnete, den Vornamen seiner Kinder. 

Der Autor dieses Berichts traf Schwenk Ende der 1950er-Jahre erstmals, flotte Rennen des Juniorensprinters hatten die Neugier des Journalisten geweckt. Aber erst der Wechsel von der Bahn auf die Pressetribüne machte aus der anfangs flüchtigen Bekanntschaft eine über viele Jahre währende freundschaftlich-berufliche Partnerschaft (die allerdings nach fast drei Jahrzehnten aufgrund eines berufsbedingten Zerwürfnisses jäh endete, später gottlob dank Schwenkscher Charakterstärke wenigstens wieder in einen Zustand gegenseitigen Respektierens versetzt wurde).

Gemeinsam mit Schwenk zu arbeiten war stets unterhaltsam, vor allem aber: sehr lehr- und hilfreich. Von seiner immensen Erfahrung im Umgang mit Sportlern, Trainern, Funktionären und Veranstaltern, von seinem Wissen über Berufsständiges haben junge Kollegen eine Menge profitieren dürfen.

Gustav Schwenk, wie häufig geschehen, als „wandelndes Lexikon" der Leichtathletik zu kategorisieren, wird dem Format seiner Arbeit nicht gerecht. Zur Edelfeder der Schreiber aus den Feuilletonistenflügeln zu greifen, entsprach nicht seiner Vorstellung von Journalismus, er bevorzugte den gediegenen Anschlag des Fachmanns.

Schwenk schrieb, was Sache war, schnörkellos, faktenreich. Seine Expertisen waren selten zu widerlegen, zumal er sie stets belegen konnte; unter anderen mit Hilfe seines sagenhaften Archivs und seines Gedächtnisses, das einem Megaspeicher für Informationen gleichkam. Unschlagbar auch sein handliches schwarzes Ringbuch für Notizen. Dort trug er nur mit Bleistift ein, ich sah ihn nie einen Kugelschreiber benutzen. Zu lesen war Schwenk in der Hochzeit seines journalistischen Schaffens in renommierten Blättern: der Rheinischen Post aus Düsseldorf, die gleichsam sein Zuhause war, der Süddeutschen Zeitung, im Hamburger Abendblatt und, dort besonders intensiv, im Kicker. 

Weiteren Vorsprung verschaffte er sich durch sein Interesse an der Jugend- und Juniorenleichtathletik. Er lernte die Talente schon als Jungspunde kennen und musste nicht lang recherchieren, wenn sie ins richtige Leichtathletikleben eintauchten. Usain Bolt sah er schon 2002 als 15-Jährigen schneller rennen als die globale Konkurrenz. Oft Gast bei DDR-Meisterschaften und dem Ostberliner „Olympischen Tag" füllte er so sein Arsenal mit Daten mitteldeutscher Asse auf.

Schwenk veröffentlichte nicht nur mehr Zeitungszeilen über die Leichtathletik als andere deutsche Journalist, er übertraf sie zudem in der Anzahl der Verbandsauszeichnungen um Längen: Vom DLV gab es den Diem-Schild, den Cavalier-Preis, die Goldene Nadel, von der IAAF die „Plaque de Merite" und den Titel „World Athletics Journalist", den er als Erster erhielt.

Was diese Ritterschläge betrifft, widerlegte Schwenk im Übrigen die Journalistenweisheit: Bekommst du Ehrungen vom Verband, hast Du was falsch gemacht. DLV und IAAF dekorierten ihn, obwohl er sie gelegentlich beschimpfte wie ein Kesselflicker. Gut erinnerlich, dass Frau Marlene ihm ab und zu die rhetorische Frage stellte: Gustav, biste wieder am Meckern? Dann war klar: Funktionäre, zieht euch warm an!

Zu sagen bleibt noch, er möge den 17. Dezember im Kreis seiner Lieben genießen, den Tag, an dem er Ehrfurcht gebietende 90 wird – und im Sommer 2014 bei der DM seinen Platz im Ulmer Stadion wieder einnehmen.

 

Michael Gernandt                        

Der Autor war Ende der 1950er-Jahre mehrmals deutscher Junioren-, Württemberg- und Bayernmeister im Sprint, seit 1960 Redakteur der Süddeutschen Zeitung und deren Sportchef von 1981-2002.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

author: GRR

Comment
0

Leave a reply