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02
2014

2013 IAAF World Outdoor Championships Moscow, Russia, August 10-18 2013 Photo: Victah Sailer@PhotoRun Victah1111@aol.com 631-741-1865 www.photorun.NET

Nahrungsergänzungsmittel „Ich kann doch nicht zwölf Steaks essen“ – Michael Reinsch, Leipzig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Nahrungsergänzungmittel sind in aller Munde. Evi Sachenbacher-Stehle erklärt ihre positive Doping-Probe in Sotschi damit, Funktionäre warnen vor deren Gebrauch – und Athleten schlucken sie. „Ich kenne wenige Spitzensportler, die keine Nahrungsergänzungsmittel nehmen“, sagt Robin Schembera, der deutsche Meister über 800 Meter, bei den Hallen-Titelkämpfen in Leipzig.

„Oft sind sie die Antwort auf die Frage, ob ich nach dem Training Nudeln esse oder einen kurzen Shot nehme.“
 
Eine Abkürzung bei der Nahrungsaufnahme: So erklären Athleten und Trainer, dass sie zu konzentriertem Eiweiß greifen, zu Mineralgetränken, zu Kohlenhydratgemisch – Produkten aus der riesigen Palette von Nährstoffkonzentraten, wie sie in Therapie und Geriatrie benutzt werden. „Leistungssport ist Raubbau am Körper“, erklärt der Sprinter Lucas Jakubzcyk, der Zweite über 60 Meter.

„Wir können unseren Körper nicht so belasten, wenn wir nur Essen aus dem Supermarkt zu uns nehmen.“ Er benutze zusätzlich, unter anderem, Omega-3-Fettsäuren und Kreatin. Das Thema sei schwierig, räumt Jakubzcyk ein. Wer aber generell Verzicht fordere, mache es sich zu einfach. „Klar vermeiden wir jedes Risiko, wenn wir nur von Wasser und Brot leben“, sagt er. „Aber so können wir nicht Spitzensport treiben.“

Das zielt auch auf den Präsidenten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Clemens Prokop. Der postulierte in Leipzig: „Unsere klare Empfehlung ist, von Nahrungsergänzungsmitteln insgesamt die Finger zu lassen.“ Das Risiko, an Produkte zu geraten, die mit Dopingsubstanzen verunreinigt seien, sei unkalkulierbar. Außerdem widerspreche ihr Gebrauch der Grundethik des Sports, wenn er der Erzielung von Leistungsvorteilen diene. „Leichtathletik ist die Summe aus Training und körperlichem Talent“, sagte Prokop. „Wir wollen nicht, dass die Leistung als weiteren Faktor chemische Zusätze hat.“

Banane, Apfelschorle und einen Eiweißriegel

Die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) nimmt den deutschen Dopingfall von Sotschi zum Anlass für die Nachricht: „Es ist seit langem bekannt, dass immer wieder verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel entdeckt werden. Die Nada warnt deshalb seit Jahren generell vor der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln im Sport.“ Sie rate dringend von der oft übertriebenen Nutzung der Mittel ab, „selbst wenn sie ausschließlich erlaubte Substanzen enthalten“.

Diese Grundsätze halten dem Realitäts-Check nicht stand. „Es geht nicht ohne“, sagt Stabhochspringerin Silke Spiegelburg, die nach Titelgewinn und Kollaps zusätzlich zu Banane und Apfelschorle einen Eiweißriegel brauchte, um wieder auf die Beine zu kommen. Die frühere Sprint-Europameisterin Verena Sailer, auch sie siegreich, nimmt Eiweiß und Aminosäuren. „Ich glaube, das ist richtig in gewissem Maße“, sagt sie, „weil man seinem Körper unheimlich viel abverlangt.“

„Nahrungsergänzungsmittel gehören dazu“

Und Sprinter Alexander Kosenkow, der mit bald 37 Jahren das Finale von Leipzig nur um eine Hundertstelsekunde verpasste, ist überzeugt, dass er acht seiner 78 Kilo Körpergewicht der konzentrierten Nahrungsergänzung zu verdanken habe: Eiweiß, Kohlenhydrate, Aminosäuren, Kreatin. „Ich bin ein Leichtgewicht“, sagt er. „Für mich sind sie unvermeidlich.“

Kugelstoß-Weltmeister David Storl explodiert geradezu bei dem Thema. „Ich kann doch nicht zehn, zwölf Steaks essen am Tag“, schimpft er, nachdem er Meister geworden ist. „Nahrungsergänzungsmittel gehören dazu. So hoch kann man seine Ernährung doch gar nicht fahren. Ich müsste den ganzen Tag essen! Wer fordert, darauf zu verzichten, hat nie Leistungssport gemacht. Das ist, als ob man einem Formel-1-Fahrer den Reifenwechsel verbietet.“

„Es ist nicht schlimm, etwas zu nehmen“

Sein Trainer Sven Lang treibt großen Aufwand dafür, dass Storls Zusatznahrung kein Risiko birgt in Form von beigemischten Aufputschmitteln oder Muskelhormonen. Er hat Eiweiß und Kreatin nicht allein nach der sogenannten Kölner Liste ausgewählt, die der Olympiastützpunkt Rheinland im Internet unterhält. Nicht einmal die Versicherung der Unbedenklichkeit durch den Hersteller reicht ihm.

Für jede einzelne Charge erwartet Lang von seinem Lieferanten und Sponsor das Zertifikat eines Labors. Sein Kollege Werner Daniels, Trainer von Speerwurf-Weltmeisterin Christina Obergföll, spricht sich ebenfalls pro zeitweise Nahrungsergänzung durch Eiweiß,  Mineralien und Kreatin aus.

„Es ist nicht schlimm, etwas zu nehmen“, sagt er. „Die Athleten trainieren zeitweise wie die Ochsen.“

 

Michael Reinsch, Leipzig in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, Sonntag dem 23.02.2014  

author: GRR

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