Dem Leben Sinn geben – auch mit Sport? Über „Die Liebe zum Sport“ als Massenphänomen - Prof. Detlef Kuhlmann ©Suhrkamp
Dem Leben Sinn geben – auch mit Sport? Über „Die Liebe zum Sport“ als Massenphänomen – Prof. Detlef Kuhlmann
Zugegeben – um Sport im engeren Sinne geht es in diesem Buch nur in ei-nem einzigen Kapitel, und das kommt erst nach über 300 Seiten. Aber: Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist wohl die zentralste aller Fragen, die wir uns als Menschen und im Gegensatz zu anderen Lebewesen stellen und über die wir nachdenken und „eigenmächtig“ entscheiden können.
So gesehen ist es erfreulich bis nahe liegend, dass der Sport als Sinngeber in dieser Abhandlung vorkommt – sogar von der „Die Liebe zum Sport“ ist die Rede.
Der Berliner Philosoph Prof. Wilhelm Schmid ist der Begründer der modernen Philosophie der Lebenskunst. Zu seinen bedeutendsten Werken gehören u.a. „Schönes Leben? Einführung in die Lebenskunst“ (2000) und „Die Kunst der Balance. 100 Facetten der Lebenskunst“ (2005). Auch in Sportkreisen ist Wilhelm Schmid kein Unbekannter: Beim bundesweiten Sportlehrerkongress des Deutschen Sportlehrerverbandes vor einigen Jahren in Augsburg hielt Schmid den Eröffnungsvortrag und stieß damit auf große Resonanz, zumal die Frage nach dem Sinn des Sports durchaus mit der Lebenskunst korrespondiert:
„Was suchen die Menschen im Sport?“ – zu dieser bedeutsamen Frage hatte einst der Bielefelder Sportpädagoge Prof. Dietrich Kurz sechs sog. Sinngebungen vorgelegt, die beim großen Kongress des damaligen Deutschen Sportbundes 1987 in Berlin erstmals weite öffentliche Resonanz gefunden hatten und inzwischen als sog. pädagogische Perspektiven curricularen Bestand in den Lehrplänen für das Fach Sport im In- und Ausland gefunden haben.
Dem Leben Sinn geben – auch mit Sport? Das ist eine Frage, die wir uns alle ein ganzes Leben lang stellen können. Zurück zum neuen Buch von Wilhelm Schmid: Im großen Kapitel „Von der Liebe zu Wesen und Dingen, zur Welt“ gibt es insgesamt sieben „Lieben“, darunter die zu Tieren und zur Kunst, zur Natur und zur Heimat – und eben: „Die Liebe zum Essen und Trinken, zu Sport, Spiel und Technik“ (Kapitel-Überschrift). Warum das alles bei Schmid in genau diesem „Liebesensemble“ zusammengeführt wird? Bitte selbst bei der Lektüre herausfinden! Für Schmid, über dessen Sportbiografie wenig bekannt und schon gar nicht im Buch die Rede ist, reüssiert die „Liebe zum Sport“ als Massenphänomen und Sinngeber. An einer Stelle führt er dazu wörtlich aus: „Viele geben mit dieser Liebe ihrem Leben Sinn, meist in Form von Leidenschaft für eine bestimmte Sportart wie Schwimmen, Laufen, Skifahren“.
Schmidt grenzt aber sodann das aktive Sporttreiben vom passiven ab. Den Sport passiv zu pflegen und ihm dadurch Sinn zu verleihen, heißt für Schmid „mit denen mitzufiebern, die ihn intensiv betreiben, sich mit ihren Techniken und Kunstgriffen, Problemen und möglichen Lösungen zu befassen, um sich an den Feinheiten der praktischen Ausübung zu erfreuen“. Willkommen als Sportfan! Dem Fansein einen „neuen“ Sinn geben – das möchte man all denen zurufen, die ganz anderes beim Sportkonsum im Sinn haben und sich nicht (nur) an den Feinheiten des Sports erfreuen, sondern sich selbst zuweilen unaufgefordert Grobheiten wegen des Sports hingeben, sei es im Stadion oder außerhalb. Apropos Fansein: In der Rolle des Fußballfans scheint sich auch Wilhelm Schmid zuhause zu fühlen. Seine Fußball-Sinnphilosophie geht so: Die Spannung eines Spiels resultiert nicht aus der Frage von Sieg oder Niederlage, sondern „aus dem Wechselspiel der Gefühle auf dem Weg dorthin, diesem zwanglosen Hin- und Hergerissensein zwischen Hoffen und Bangen, Freude und Ärger, Triumph und Enttäuschung“.
Schon in einer früheren Veröffentlichung war von ihm wörtlich zu lesen, wie der Fußball ihn bewegt – denn: „Fußball wird nicht wirklich auf dem Rasen, sondern in der Brust jedes Einzelnen gespielt“ – womit freilich jeder einzelne Fan bzw. Zuschauer gemeint ist, der sich ein Fußballspiel (wie Wilhelm Schmid vornehmlich bei der Hertha in Berlin) ansieht und mitgeht.
Im Nachsatz: Der Abschnitt über die Liebe zum Sport geht im Buch von Schmid über in einen über die „Liebe zur Heimat“. Heimat wird hier auch verstanden als ein Raum bzw. Ort, der einen Menschen prägt, den man sich aber in aller Regel nicht selbst aussuchen kann. Ob man irgendwo heimisch geworden ist, weiß man erst hinterher. Vom Sportverein als eine sportliche bzw. soziale Heimat ist hier nicht die Rede – was auch nicht per se zu erwarten war.
Aber man kann die Schmidsche Definition von Heimat schön umkehren, um den Sportverein als Heimatort ins Gespräch zu bringen: Den Sportverein kann man sich aussuchen, ihn kann man sogar mitgestalten … und wenn man in ihm doch nicht heimisch wird? Dann sucht man sich (heimatnah) den nächsten.
Wilhelm Schmid: Dem Leben Sinn geben. Berlin 2013: Suhrkamp. 476 S.; 22,95 €
Prof. Detlef Kuhlmann