Blog
07
04
2014

Paris-Marathon und Kenenisa Bekele- Eindruck machen im Fernduell - Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ©Victah Sailer

Paris-Marathon und Kenenisa Bekele- Eindruck machen im Fernduell – Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

By GRR 0

Paris, die Stadt des Kenenisa Bekele. Der äthiopische Läufer hat am Sonntag an der Seine sein Debüt auf der Marathon-Strecke gegeben und mit der Siegeszeit von 2:05:04 Stunden bewiesen, dass auch seine Karriere auf der Straße eine große werden kann. „Dies war mein erster Marathon, ich hatte keine Erfahrung“, sagte er, nachdem er mit einem grünen Papierschnipsel unter der Nase ins Ziel gespurtet war und sich bekreuzigt hatte.

So überlegen er lief, nichts an ihm spiegelte die Ausgelassenheit, mit welcher der Paris-Marathon sich selbst feierte. Auf der Zielgeraden auf der Avenue Foch mit Blick auf den Triumphbogen war kurz vor dem Eintreffen der ersten der 40.000 Teilnehmer noch Konfetti geflogen; Bekele wischte sich im Endspurt den Schnipsel nicht einmal aus dem Gesicht. Während des Rennens hatte er Manager Jos Hermens auf dem Begleitmotorrad signalisiert, dass er Schmerzen im lange verletzten Oberschenkel habe.

Kein Jubel im Ziel, kein Lachen. Der ernste Blick des 31 Jahre alten Bekele zeigte, dass er nicht nur eine schwere Herausforderung bestanden hatte, sondern weiß, dass er auch noch einige vor sich hat. „Von Kilometer 25 an habe ich Tempo gemacht, es war hart“, sagte Bekele nach dem Sieg vor seinem Landsmann Limenih Getachew (2:06:49) und dem Kenianer Luca Kanda (2:08:02). „Die Zeit ist, wie ich sie erwartet hatte.“
 
Drei kenianische Tempomacher waren eigens für Bekele verpflichtet worden, stark wie eine Leibgarde und allesamt erfahren auf der Halbmarathon- und Marathondistanz. In der zweiten Reihe, hochkonzentriert ihnen auf den Fersen: der Neuling Kenenisa Bekele. Die ersten zehn Kilometer brachten sie in 29:35 Minuten hinter sich – die hochgerechnete Endzeit lag da zehn Sekunden unter 2:05 Stunden.

Das sechstbeste Debüt, das je ein Marathonläufer gegeben hat

Den Halbmarathon hatte Bekele in 1:01:40 Stunden schaffen wollen, fast eine halbe Minute später passierte er die Markierung. Dann stiegen zwei seiner Tempomacher aus, und einige Anstiege zermürbten die Läufer. Als bei Kilometer 25 auch der dritte Helfer ausstieg, testete Bekele an einer solchen Steigung zum ersten Mal die Widerstandsfähigkeit seiner Gruppe. Er sprengte sie damit; kurze Zeit später lief er allein dem Ziel entgegen mit seinen kraftvollen Schritten. Und obwohl er fast so spurtete wie einst auf der Bahn, kam er erst ins Ziel, als die Uhr schon 2:05 Stunden geschlagen hatte. Immerhin: 2:05:04 ist das sechstbeste Debüt, das je ein Marathonläufer gegeben hat, und das beste eines Läufers über dreißig. Schnellster Einsteiger war 2012 in Berlin Dennis Kemeto in 2:04:16 Stunden; er war damals Zweiter hinter Geoffrey Mutai.
 
Debüt über 42,195 Kilometer und gleich Sieger: Kenenisia Bekele

Und dennoch war Bekele vielleicht sogar enttäuscht. Denn der Äthiopier misst sich nicht nur mit den Konkurrenten in dem Rennen, das er gerade läuft. Auch Mo Farah galt es, mit einer hervorragenden Zeit zu beeindrucken. Der Olympiasieger und Weltmeister über 5000 und 10.000 Meter gibt am kommenden Sonntag in London sein Debüt auf den 42,195 Kilometern, da gilt es, von Anfang an Eindruck zu machen – zumal beide bei den Olympischen Spielen von Rio 2016 um die Goldmedaille im Marathon kämpfen wollen.

Auf den Vorwurf, er sei dem Briten aus dem Weg gegangen, indem er in Paris statt in London starte, erwiderte Bekele: „London hat oft die besten Läufer der Welt, und deshalb ist das Rennen unrhythmisch. Paris erlaubt mir, das Rennen zu kontrollieren und mein Tempo zu gehen. Und es ist eine Stadt, die gut zu mir war.“

Vor elf Jahren hatte der damals Zwanzigjährige bei den Weltmeisterschaften in Paris seine Karriere als Bahnläufer mit einem Paukenschlag begonnen. Über 10.000 Meter besiegte er seinen Landsmann und Mentor Haile Gebrselassie und blieb acht Jahre lang auf dieser Distanz unbesiegt. Drei Mal wurde er Olympiasieger, fünf Mal Weltmeister auf der Bahn, und obendrein gewann er von 2002 bis 2006 die Cross-Weltmeisterschaft auf der langen wie der kurzen Strecke.

Obwohl Farah der beherrschende Läufer über 5000 und 10.000 Meter ist, hält immer noch Bekele die Weltrekorde: 12:37,35 und 26:17,53 Minuten.
 

Und er misst sich immer noch mit Gebrselassie. Sein inzwischen vierzig Jahre alter Landsmann wird in London als Tempomacher an den Start gehen und nicht viel weniger Antrittsgeld bekommen als Bekele in Paris. Einmal weniger Olympiasieger als Bekele, einmal weniger Weltmeister auf der Bahn, ist Gebrselassie dennoch eine Legende des Langstreckenlaufs. Allein bei seinen neun Marathon-Siegen verbesserte er zwei Mal den Weltrekord, zuletzt 2008 in Berlin auf 2:03:59 Stunden (inzwischen 2:03:23). Vor allem aber freute er sich bei jedem seiner Siege so, dass das Publikum sich mitfreute.

Ein Schatten auf seiner Seele

Im Vergleich der Marathon-Debüts hat Bekele den großen Haile übertroffen. 2:06:35 Stunden brauchte Gebrselassie für seinen ersten, anderthalb Minuten mehr als Bekele. Doch die sportliche Leistung ist nur ein Teil der Herausforderung. „Er misst sich auch außerhalb der Rennen mit Haile, und das sollte er nicht tun“, sagte Hermens, der Manager der beiden, der „New York Times“. „Sie sind nicht wirklich Freunde, und das kommt mehr von seiner Seite als von Hailes.“

Sich in der öffentlichen Beliebtheit mit dem Mann zu messen, der jahrelang das Gesicht des Langstreckenlaufs war, der die Sonne im Herzen trägt und mit seinen zahlreichen Unternehmungen eine glückliche Hand hat, der im Gespräch Menschen an seinem Glück teilhaben lässt, ist für Bekele unmöglich. Für den schüchternen und leisen Bekele dürfte es sich als Garantie zum Unglücklichsein entpuppen, die Leichtigkeit und Beliebtheit Gebrselassies herauszufordern.

Zumal jeder in der Laufwelt den tragischen Hintergrund seiner Schwermut zu kennen glaubt. 2005 starb Bekeles achtzehnjährige Verlobte Alem Techale beim gemeinsamen Lauftraining an Herzversagen. Seitdem, so scheint es, liegt ein Schatten auf der Seele von Kenenisa Bekele.

 

Michael Reinsch in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dem Montag, dem 7. April 2014

author: GRR

Comment
0

Leave a reply