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11
04
2014

Gretel Bergmann: Ikone der Leichtathletik, Mitglied der Hall of Fame – und Opfer des NS-Regimes, das ihr die Olympia-Teilnahme verwehrte - Gretel Bergmann - Poster der Ausstellung im Centrum Judaicum in Berlin aus Anlaß der Weltmeisterschaften 2009 - Foto: ©Horst Milde

Opfer eines üblen Spiels – Die einstige Hochsprung-Rekordlerin Gretel Bergmann wird 100 – MICHAEL GERNANDT in der Süddeutschen Zeitung

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Die Anrede in dem Brief des Deutschen Reichbunds für Leibesübungen, Fachamt Leichtathletik, vom 16. Juli 1936 war von herrisch-kalter Knappheit: „Frl. Gretel Bergmann". Das Schreiben endete mit einem zackigen „Heil Hitler!" und einer unleserlichen Unterschrift. Dazwischen 18 Schreibmaschinenzeilen, die als die zynischsten bezeichnet werden müssen, die je im Namen einer deutschen Sportbehörde zu Papier gebracht worden sind.

„Der Herr Reichssportführer, der und heuchlerischsten bezeichnet werden müssen, die je im Namen einer deutschen Sportbehörde zu Papier gebracht worden die Mannschaft für die Olympischen Spiele auswählte, hat es nicht vermocht, sie in die Mannschaft, die Deutschland (…) im Olympia-Stadion vertreten wird, einzureihen", heißt es da. „Sie werden auf Grund der in letzter Zeit gezeigten Leistungen wohl selber nicht mit einer Aufstellung gerechnet haben". Der Fachamtsleiter sei aber bereit, „Ihren Fleiß und Ihre Einsatzbereitschaft zu belohnen dadurch, dass er Ihnen den kostenfreien Besuch der Leichtathletik-Woche (…) ermöglicht – durch Zurverfügungstellung einer Stehplatzkarte". 

Auftraggeber des Briefs war Hitlers Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten, Verfasser seines Inhalts, aber nicht der Unterzeichnende, SA-Mitglied und Fachamtsleiter Karl Halt (von 1951 an Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für Deutschland!) und Adressatin jene Sportlerin, die noch nicht einmal drei Wochen vor der Versendung des Schreibens den deutschen Rekord im Hochsprung (1,60 m) eingestellt und sich unter die Anwärterinnen auf das olympische Gold gemischt hatte: Margaret („Gretel") Bergmann, Tochter des Juden Edwin Bergmann, Besitzer einer Haarartikel- und Frisurenfabrik im Laupheim bei Ulm. 

Die Rassenfanatiker der NSDAP hatten nach der Machtübernahme 1933 deutschen Juden das Unistudium verboten. Deshalb sah sich Bergmann gezwungen, 1934 ein Sportstudium in London aufzunehmen und ihr Hochsprungtraining dort fortzusetzen. Erfolg blieb nicht aus: Die junge Deutsche gewann die britische Meisterschaft. Da reifte bei Hitlers Handlanger der Plan für eine perfide Intrige: Zunächst erpressten sie ihre Rückkehr nach Deutschland und steckten sie dann 1935 pro forma in den Olympiakader für die Spiele in Berlin. Von Misstrauen unberührt, unterschrieb Bergmann eine Verpflichtungserklärung: „So schwer wie die Bürde der Verantwortung, so freudig, so hehr und groß ist meine Aufgabe, mein Deutschland, mein Vaterland in diesen Wettkämpfen würdig zu vertreten. Das gelobe ich!" 

Teil des üblen Spiels sollte nach NS-Vorstellung das Bremer Mannweib Dora Ratjen sein. Ihr Auftrag: Bergmann sportlich bedrängen. Dass der Sportführung schon 1935/36 das eindeutig männliche Geschlecht Ratjens bekannt war, ist allerdings nicht zweifelsfrei belegt. Man ging von einem Grenzfall aus. Erst 1938 nach ihrem EM-Sieg wurde Ratjen entlarvt. Aus Dora wurde Heinrich. 

Die Machenschaft zielte darauf ab, Bergmann als Köder zu benutzen. Ihr vom NS-Regime in Aussicht gestellter, aber nie wirklich beabsichtigter Olympiastart sollte die USA nach Berlin locken, der US-Sportverband AAU hatte mit einem Olympiaboykott gedroht, würde deutschen Juden die Olympiateilnahme verweigert.

Am 15. Juli stach SS Manhattan mit dem US-Team in New York in See, einen Tag später gab Karl Halt den Brief nach Laupheim zur Post. Er stürzte Gretel Bergmann in einen Abgrund von Hass auf Nazideutschland, bewahrte Hitler indes vor einem politischen Skandal beträchtlicher Tragweite. 

Im Mai 1937 ließ man Bergmann ohne Familie nach New York immigrieren; ihren Eltern und dem jüngeren Bruder gelang noch 1941 die Flucht in die USA, die Familie ihres Mannes Bruno Lambert wurde von den Nazis ermordet.

Sie schwor, „niemals mehr einen Fuß auf deutschen Boden zu setzen". Daran hielt sie sich 62 Jahre. 1999 nahm sie Einladungen nach Frankfurt und zu einem Besuch ihrer Heimatstadt Laupheim an. Der Historikerin Claudia Diederix, mit der sie seit 1992 in Briefkontakt stand, begründete sie die Rückkehr ins Land, in dem sie „die beste aller Zeiten und die schlimmste aller Zeiten" erlebte: Sie habe „den langen Kampf gegen die Wut in sich zu Ende bringen wollen".

Seit dem Besuch vor 15 Jahren weiß Gretel Lambert-Bergmann, „dass das heutige Deutschland meinen Hass nicht länger verdient", wie sie dem Journalist Ewald Walker sagte. 

An diesem Samstag wird die Frau, die einst befürchten musste, von den Nazis ermordet zu werden, 100 Jahre alt. Sie lebt noch immer im New Yorker Stadtteil Queens.

„Ich habe Glück gehabt, ganz einfach Glück".

MICHAEL GERNANDT  in der Süddeutschen Zeitung, Freitag, dem 11. April 2014

Themengleich:

Der Fall Gretel Bergmann: „Hitlers Angst vor dem jüdischen Gold“ – Christian Frietsch – Die Buchvorstellung der Nomos Verlagsgesellschaft

„Vergessene Rekorde – Jüdische AthletInnen vor und nach 1933" in Wiesbaden ab 27. Januar 2013 im frauen museum wiesbaden

Olympische Spiele 1936 – Der verbotene Himmel – Joachim Huber im Tagesspiegel – „Berlin 36“, 20 Uhr 15, ARD

Berlin ’36 – Jutta Braun / Berno Bahro – Das Buch zum Film – Historische Originaldokumente und -fotos werden durch Aufnahmen aus dem Film und einem Vorwort des Drehbuchautors ergänzt

"Vergessene Rekorde" eine Ausstellung vom 21. Juni bis 23. August 2009 im Centrum Judaicum in Berlin – Jüdische Leichtathletinnen vor und nach 1933 – Horst Milde berichtet

 

 

author: GRR

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