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09
07
2014

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89. Comrades Marathon 2014 -18.000 Starter, 11.988 Finisher. Ein kleiner Bericht im Rahmen des AIMS–Congress in Durban, Südafrika – Günter Ernst berichtet

By GRR 0

Nach Alexander von Ulenieckis Erfahrungsbericht über den COMRADES publizieren  wir heute den Beitrag von Günter Ernst. Das ist schon sehr erstaunlich, daß er – unvorbereitet wie er war (kein gutes Beispiel!) diesen Lauf in dieser Zeit überstand.

Günter Ernst ist Race Director des Sparkasse Dreiländermarathon am Bodensee und des Montafon-Arlberg-Sparkasse-Marathon, da muss man nicht unbedingt gut laufen können. Aber er hat schon oft als Veranstalter bewiesen, daß er nicht nur gut organisieren, sondern auch außerordentlich gut laufen kann.

Beim alljährlichen AIMS-Symposium in Athen läuft er mal so ebenso, nach den stundenlangen Sitzungen,  den Athen-Marathon "so aus der Hose", alle anderen Teilnehmer "hängen" durch und sind froh, wenn sie wieder heil im Hotel sind.

Da ist wohl eine Langstrecken-Karriere unentdeckt geblieben.

Horst Milde

 

Ich dachte mir: „ Wenn ich schon einmal in Südafrika bin und die Chance habe, den „Comrades“ zu laufen, muss ich das auch tun!“. Allerdings wäre eine entsprechende sicherlich Vorbereitung von Vorteil gewesen.

Ursprünglich war ich der Meinung, dass es mir aufgrund meiner langjährigen Lauferfahrung möglich sein müsste, zwei Drittel des Comrades Marathons ohne größere Probleme zu absolvieren. Ich konnte mich leider nicht mehr für den Lauf einschreiben, bekam aber glücklicherweise noch eine Startnummer von einer Kongress-Kollegin aus Kanada. Ihr Name war Bonnie. Dieser Name stand auch ganz groß auf der Startnummer. Mit dem OK des Rennleiters bzw. CMA Chairman ging ich mit dieser Nummer an den Start.

Als die Tagwache um 02:30 Uhr anbrach, fuhren wir alle zusammen mit dem Bus nach Pietermaritzburg zum Start. Um 05:30 Uhr ging es dann los.

Die Temperatur, 12 Grad, war aufgrund der frühen Uhrzeit perfekt, wenn nicht zu sagen frisch – vorausgesetzt, man trug kein Langarmshirt. Die Startblocks waren mit hohen Gittern versehen und in alphabetischer Reihenfolge von A-H eingeteilt.

Auf meiner,  beziehungsweise Bonnies Startnummer,  stand Startblock G. Eine kleine Information am Rande: Mit dem Startschuss fängt die Uhr  für alle 18.000 Starter zu ticken an – jeder hat genau 12 Stunden Zeit, ins Ziel zu kommen, nicht mehr und nicht weniger.

Glücklicherweise war es mir möglich, mich vom VIP Bereich aus direkt in den Startblock A zu schummeln. Ich war bereits nervös und fragte mich, ob es eine gute Idee war, den Marathon mitzulaufen, doch nun gab es kein Zurück mehr.  87,9 km, die meisten davon abwärts, und einige HM lagen vor mir.

Wir alle waren noch 2 Minuten von dem Startschuss entfernt. Plötzlich wurde es ruhig; kein Mucks war mehr zu hören. Anschließend fingen alle anderen Teilnehmer an, eine Art Hymne zu singen – dann der berühmte Hahnenschrei! Es war ein unglaubliches Gefühl!

Ein Countdown wurde ausgerufen: „10-9-8-7-6-5-4-3-2-1“ und los ging es!

Meine Taktik sah folgendermaßen aus: Langsam und entspannt loslaufen, einen guten Rhythmus  finden und diesen so lange wie nur möglich halten.

Nach 3 Kilometern warf ich mein Langarmshirt – (ein neues Shirt vom Sparkasse des 3- Länder- Marathon, wohlgemerkt) einem Jungen zu, der alle Kleidungsstücke freudig einsammelte und dabei immerzu vor sich hin sprach: „I am a lucky guy,  I am such a lucky guy…“

Riesige Kilometer-Schilder waren so aufgestellt worden, dass sie von oben nach unten, also von 89 km bis ins Ziel, zählten. Jedoch muss ich zugeben, dass mich diese Schilder nicht wirklich interessierten – ich bin meinem Plan gefolgt und locker gelaufen. Währenddessen habe ich mich noch mit freundlichen Einheimischen, Schweden und auch Österreichern unterhalten.

Ein Südafrikaner sprach mich auf deutsch an: „Hallo, Bonnie!“, sagte er. Um den peinlichen Moment zu überbrücken, erzählte ich ihm, wie ich als Österreicher nach Südafrika gekommen bin und nun mit einer Frauenstartnummer aus Kanada und der kanadischen Flagge am Arm den „Comrades“-Marathon in Angriff nehme. Im Gegenzug erzählte er mir von seinen österreichischen Wurzeln.

Als ich ihn nach seiner Zeit fragte, sagt er, dass er gerne so um die 7:30 herum laufen würde, was mich optimistisch stimmte – immerhin war er etwas älter (und stämmiger) als ich. Dadurch war ich im Glauben, diese Zeit gut erreichen zu können.

Jedoch täuschte ich mich: Die Strecke hatte es in sich!  Immer wieder ging es rauf und runter, und langsam begann ich meine Beine zu spüren – das ständige Abwärtslaufen tat ihnen nicht gut.

Der Südafrikaner, der noch auf gleicher Linie mit mir war, sagte zu mir: „ Siehst du den Funkmasten da drüben, Bonnie?  Das ist der höchste Punkt, danach folgt noch 1 km, und wir haben die halbe Strecke schon geschafft. Anschließend gibt es noch mehr Strecken, die abwärts verlaufen“.

Na toll!

Was mich gewundert hat, war, wie viele Zuschauer an der Strecke gestanden und uns angefeuert hatten. Sie dankten uns außerdem dafür, dass wir in ihr Land gekommen waren und nun an diesem Lauf teilnahmen – eine Geste, die mich besonders freute.

Als ich das Schild mit der Aufschrift km 47 sah, war es war nun wirklich mühsam: Ich spürte meine Oberschenkel immer mehr, und das Tempo vom Anfang konnte ich nicht mehr wirklich halten – jedoch war mir das in diesem Moment herzlich egal. Mein nächstes Ziel war der 3-er auf dem km Schild.

Von nun an begann die Kopfarbeit.

Um so härter es wurde, je mehr Leute an der Strecke standen, jubelten, grillten, verteilten Getränke und trieben die Läuferinnen und Läufer regelrecht an.

Ich hörte nur noch ihr lautes Rufen: „ Go, Canada, go! Run, Bonnie, run!“

Jeder Städtemarathon bietet Zuschauer ohne Ende, aber oft stehen die meisten nur an der Strecke und schauen zu. Hier war es eine sensationelle Erfahrung: Die Leute trieben  einen an und motivierten, einerseits mit Herzlichkeit, andererseits aber auch mit Strenge. Man merkte ihnen an, dass sie wollten, dass ich es schaffe.

Bei km 64  sah ich einen älteren Mann, der es sich mit einem Glas Rotwein in der Hand an einem Tisch bequem gemacht hatte. Er sprach mich sofort an: „Hey Bonnie, thank you for running this race!“

Darauf drehte ich um – ich war schon fast an ihm vorbeigelaufen – und fragte ihn, ob ich auch ein Glas Wein bekommen könnte.
Es war der beste südafrikanische Wein, den ich je getrunken hatte!

Danach ging es abwärts in Richtung Durban, steiler als je zuvor; Die Strecke glich einer Autobahn. Mir war meine Zeit mittlerweile egal – ich wollte nur noch ins Ziel.

Bei jeder Verpflegungsstelle gab es kaltes Wasser in länglichen Plastikbeuteln, die originell konstruiert waren: lediglich ein kleines Loch diente als Trinkhilfe, den Rest schüttete man sich einfach über die Beine.

Zwischendurch gab es auch Stände, wo man mit Eisstücken massiert wurde, was mir den Lauf stellenweise erleichterte.

Als ich das km 9 km-Schild sah, wusste ich, dass es nicht mehr weit war. Ich hatte nur noch einen Gedanken im Kopf: „Nie mehr wieder…“

Als ich nur noch einen Kilometer vom Ziel entfernt war, hörte ich den Stadionsprecher bereits und zwang mich, aufrecht zu bleiben, mich zusammenzureißen und möglichst locker ins Ziel zu laufen. Der Zieleinlauf in dieses Cricket-Stadion war unglaublich – es war voll bis auf den letzten Platz!

Als ich schließlich über die Ziellinie lief, zeigte meine Uhr 8:30 an. Endlich hatte ich es geschafft!

Zuerst wollte ich mich einfach nur hinlegen und mich erholen. Als ich mich 30 Minuten lang nicht mehr bewegt hatte, stand ich dann doch auf und versuchte, meine Freunde von AIMS im VIP-Bereich zu finden. Als ich dort eingetroffen war, bekam ich etwas Feines zu essen, trank ein oder zwei Gläser Wein und versuchte, meine Beinmuskulatur nicht mehr zu benutzen.

Anschließend warteten wir gemeinsam auf den so genannten „12h Gun Shot“. Eine kleine Anmerkung dazu: Jeder, der länger als 12 Stunden für den Marathon benötigt, bekommt keine Medaille und erscheint nicht in der Ergebnistabelle. Doch das ist noch nicht das Schlimmste: Nach 12 Stunden erfolgt ein Schuss, worauf sich Helfer auf die Ziellinie stellen und eine geschlossene Reihe bilden, die unmöglich zu durchdringen ist. 

Man lässt die zu spät kommenden Läufer also gar nicht mehr ins Ziel!  

Für mich ist das unvorstellbar. Es muss schrecklich sein, 12 Stunden lang zu kämpfen, sich schließlich unter Schmerzen dem Ziel zu nähern und dann doch im letzten Moment nicht durchkommen zu können, weil der Schuss bereits gefallen ist. Das Schlimme an dieser Situation ist, dass ich sie miterlebt habe.

Einige Leute waren nur noch Zentimeter von der Ziellinie entfernt gewesen und wurden nicht mehr hineingelassen, worauf sie unter Tränen zusammengebrochen sind – ein schockierender Anblick, doch jeder, der sich für diesen Marathon einschreibt, ist sich dieses Risikos bewusst.

Nun ist es bereits eine Woche her, und meine Beine haben sich halbwegs erholt. Anfangs war ich mir wirklich sicher, diesen Marathon nie wieder laufen zu wollen, doch er geht mir nicht mehr aus dem Sinn. Wer weiß-vielleicht könnte ich ihn, wenn ich mich gut darauf vorbereite, ja in unter 7 Stunden laufen.

Auf alle Fälle ist der „Comrades“-Marathon ein Rennen, das ich  jedem motivierten Läufer empfehlen kann!  Jedoch ist es wichtig, dass man das Abwärtslaufen genügend trainiert, damit die Muskulatur nicht schon nach dem 45. Kilometer aufgibt. Der Kopf selbst gibt niemals auf.

Zum Abschluss möchte ich mich noch bei einigen Leuten bedanken, vor allem bei Bonnie. Ohne ihre Nummer hätte ich diese Erfahrung nicht gemacht.

 

Verpflegung und Helfer:

Die Verpflegung bei diesem Lauf war einzigartig: alle 2 bzw. 1,5km erwartete die Läufer ein Buffet von Orangen, Zitronen, Brot, Süßigkeiten, kaltes Wasser sowie kalte Isotonische Getränke, Cola und die beste Medizin, wenn die Beine und Waden angeschlagen sind:

Eine gesalzene Kartoffel. Das ist mein Ernst! Diese Kartoffel hatte mich vor einem Krampf bewahrt!

Die Helfer, welche diese Stationen betreuten, waren für mich ebenfalls von signifikanter Bedeutung, da sie eine extrem motivierende Wirkung auf mich hatten.

Herzlichen Dank Euch allen!

 

Zuschauer

Die Zuschauer waren sensationell und ebenfalls auf eine ganz besondere Art und Weise motivierend, die ich nie vergessen werde. Danke!

 

Am Rande:

Am Tag davor war ein Kinder -und Jugendlauf veranstaltet worden (8000 Teilnehmer!). Die Distanzen waren 5 und 10 km. Siegerzeit beim 10-km-Lauf: 30:30

 

Günter Ernst

 

PS: Der 90. COMRADES Marathon findet am 31. Mai 2015 – aber ACHTUNG der Lauf ist schnell ausgebucht.

 

COMRADES MARATHON

 

Einmal im Leben musst Du den Comrades erlebt haben… Alexander von Uleniecki berichtet

 

89. COMRADES Marathon am 1. Juni 2014 – der Stolz Südafrikas – Horst Milde berichtet

 

COMRADES MARATHON – The Ultimate Human Race . Von John Cameron-Dow – Das Buch für Kenner und Liebhaber

 

AIMS – 20th World Congress in Durban, South Africa in Verbindung mit dem 89. COMRADES Marathon – Horst Milde berichtet

 

COMRADES Marathon/Südafrika am 1. Juni 2014 mit 18.000 Teilnehmern

 


COMRADES MARATHON – ZOLA BUDD läuft zum zweiten Mal beim COMRADES MARATHON am 2. Juni 2013

 

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author: GRR

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