Jens Kegel: Leben in Ost-Berlin. Alltag 1945-1990. Berlin: Verlag Elsengold 2013. 464 S. (im Schuber); 49,95 €. ©Verlag Elsengold
Bewegung, Spiel und Sport im Leben der Menschen „damals“ – Drei neuere historische Bildbände über Berlin enthalten Zeugnisse – Prof. Detlef Kuhlmann stellt vor
Bände mit historischen Bildern gibt es zuhauf von Städten und Dörfern. Diese Bücher erzählen etwas über das Leben der Menschen in ihrer Zeit. Sie zeigen Orte und Plätze, wo sich das Leben der Menschen „damals“ abspielte.
Die Bilder handeln genauso vom Sonntag und mehr noch vom Alltag der Menschen und spiegeln so etwas von den großen Sorgen und kleinen Nöten genauso wider, wie sie zuweilen muntere Szenen von Feier und Fröhlichkeit fotografisch festhalten. Gibt es in diesen zahllosen Bänden denn auch Bilder vom Leben der Menschen mit Bewegung, Spiel und Sport „damals“?
Wer so fragt, muss solche Bände nur aufmerksam genug durchblättern und wird mit hoher Wahrscheinlichkeit hier und da fündig. Exemplarisch seien (nur) drei neuere Bildbände kurz vorgestellt, die in der Geschichte Berlins „spielen“ und allemal taugen, um sich in zeithistorischer Distanz zu vergegenwärtigen, welche Rolle „damals“ bzw. in der jeweiligen Epoche der „moderne“ Sport im Leben der Menschen gespielt hat. Sie werden auch stellvertretend für die zahlreichen anderen Bildbände über andere Städte und Dörfer in Deutschland präsentiert:
Der chronologisch erste Bildband mit dem Titel „Alltag in Berlin“ bringt ausschließlich Fotos der Gebrüder Otto und Georg Haeckel, die zu den bekanntesten Fotografen Berlins und in Deutschland um 1900 gehörten.
Das fast 20-seitige Kapitel „Sport zur Kaiserzeit“ wird eröffnet mit einem (Schwarz-Weiß) Bild von der Einweihung des Grunewaldstadions, dem Vorläufer des heutigen Olympiastadions, das als Anlage für die Olympischen Sommerspiele 1916 in Berlin geplant war, die dann aber wegen des Krieges ausfielen. Es geht weiter mit Pferderennen in Karlshorst, Leichtathletikwettkämpfen und Szenen von Fußballspielen sowie dem ersten Baseballspiel in Berlin (vermutlich auch in ganz Deutschland) am 29. Juni 1912. Tauziehen (damals sogar olympische Disziplin) und Staffelläufe vor Hunderten von Zuschauern mitten in der Stadt (hier: das Zielfoto des Schlussläufers der Hohenzollern-Oberrealschule in Berlin Schöneberg) sind weitere Motive – ganz abgesehen von den diversen Hindernis-Rennen (z.B. beim Jahn-Sportfest 1911), die heute längst eine Renaissance z.B. als „Tough Mudder“ gefunden haben.
Der zweite Bildband mit dem Titel „Berlin in frühen Farbdias 1936 bis 1943“ mit sieben zumeist geografisch titulierten Kapiteln (z.B. „Vom Reichstag zum Potsdamer Platz“) erweist sich ebenfalls als Fundgrube für Sportmotive von „damals“ – namentlich im fünften Abschnitt, der vom „Funkturm und Olympiastadion“ handelt.
Das Messegelände am Funkturm in Charlottenburg mit seinem fast wie ein Stadion angelegten Sommergarten war „damals“ ein beliebtes Ausflugsziel für Familien: Gartenbauarchitekt Ludwig Lesser als „Vorkämpfer für Sportfreiplätze“, der wegen seiner jüdischen Abstammung später von den Nationalsozialisten Berufsverbot erhielt, hatte sich zum Ziel gesetzt, dass hier täglich Sportveranstaltungen, Spiel, Tanz und Turnen aller Art stattfinden sollten – was von den Nazis auch bald speziell im Sinne der „Wehrhaftmachung der Jugend“ bzw. allgemein der „Volksgesundheit“ umgesetzt wurde. Die abgedruckten Bilder geben ein Zeugnis davon ab.
Es folgen zwei Aufnahmen vom Olympiastadion anlässlich eines großen Aufmarsches von Angehörigen des NS-Reichskriegerbundes 1938, während wir im Text erfahren, dass das Stadion nach den Olympischen Spielen 1936 auch weiterhin für Turniere sowie für „Kriegsmeisterschaften“ genutzt wurde. Zwei Dias aus dem Schlusskapitel „Berliner Alltag“ zeigen beiläufig eine größere Gruppe junger Mitglieder der 1930 gegründeten Ortsgruppe Berlin des „Bund deutscher Mädel“ in Bewegung bei Tanz und Gymnastik auf einem Rasensportplatz – körperliche Erziehung der Mädchen ganz im Sinne des nationalsozialistischen Weltbildes von der zukünftigen Rolle als Frau und Mutter.
Der dritte Berliner Bildband mit seinen über tausend Fotos ist vermutlich die umfangsreichste Sammlung über Ost-Berlin als „Hauptstadt der DDR“. Der „Alltag in Bildern 1945 – 1990“ (Untertitel) ist thematisch und zeithistorisch zugleich gegliedert, und zwar von „Auferstanden aus Ruinen“ am Anfang bis „Mauer, Opposition und Wende“ am Schluss. Bezüge zum sportlichen Leben und Alltag in Ost-Berlin findet man zwischendurch immer wieder und quasi als integralen Bestandteil vornehmlich in den Abschnitten zu „Erziehung und Ausbildung“, „Kunst und Kultur“ sowie „Arbeit und Freizeit“.
Dabei handelt es sich um Szenen aus dem „Sportunterricht im Kindergarten“, vom Boxtraining eins gegen eins und Schwimmunterricht in großer Gruppe, vom Schulsportfest im Stadion Cantianstraße (dem heutigen Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark) etc. J
Jeweils auf Fotodoppelseiten kommen sportbezogene Motive z.B. mit dem olympischen Feuer anlässlich der Eröffnung der XVII. Olympischen Spiele von Rom, mit der Turnerin Karin Janz am Schwebebalken bei den DDR-Meisterschaften daher und mit einer Spielszene vom Olympiaqualifikationsspiel der DDR-Auswahl gegen die „BRD-Amateure“ 1963 im Ernst-Thälmann-Stadion (weitere Fotoseiten aus den 1970er und 1980er Jahren sind auf S. 262 bzw. S. 286 zu sehen).
Zum Schluss: Zeugnisse vom Sport finden sich – soviel als generelles Fazit – reichlich in diesen Bänden. Das war nicht anders zu erwarten – aber: Mitunter fallen sie erst im zweiten Blick bzw. bei näherer Betrachtung auf.
Ein Beispiel: Im Ost-Berliner Band gibt es ganz vorn im Abschnitt über den Wiederaufbau eine Aufnahme aus dem Jahre 1951 mit „Oberbürgermeister Friedrich Ebert auf einer Straßenversammlung in Friedrichshain“. Abgesehen davon, dass es sich hier nur um Ernst Reuter (und nicht um Ebert) handeln kann, rankt neben ihm vor dem zerbombten Trümmergrundstück ein großes Schild mit der Aufschrift „Nicht Bunker und Kasernen, sondern Bau von Sportstätten und Wohnungen“.
Taugt diese Parole etwa heute auch noch?
Jens Kegel: Leben in Ost-Berlin. Alltag 1945-1990. Berlin: Verlag Elsengold 2013. 464 S. (im Schuber); 49,95 €.
Dirk Palm (Hrsg.): Alltag in Berlin. Fotos der Gebrüder Haeckel 1900 – 1920. Erfurt: Sutton Verlag 2007. 128 S.; 19,90 €.
Michael Sobotta: Berlin in frühen Farbdias 1936 bis 1943. Erfurt: Sutton Verlag 2013. 120 S.; 22,95 €.
Prof. Detlef Kuhlmann