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2014

Der fliegende Holländer in Berlin - John Kunkeler: Sein liebster Trainingspartner ist drei Jahre alt und heißt Artur. Der Enkel kommt wohl ganz nach dem Opa: Voll relaxed genießt Artur die 8-km-Runde durch Berlins Mitte, während über ihm Schäfchenwolken dahinziehen. ©JoAnna Zybon

Der fliegende Holländer in Berlin – John Kunkeler – JoAnna Zybon in SPIRIDON

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Hat ein Pneumothorax die Berliner Laufszene verändert? Indirekt schon. Denn erst nach seinem Lungenfellriss 1982 fing John Kunkeler mit dem Laufen an. Seitdem hat der multitalentierte Organisator viele Aufgaben und Ressorts rund um den Berlin-Maratho übernommen und geprägt. Manches ist überhaupt erst auf seinem Mist gewachsen.

Marathonläufer haben Ziele, sei es qualitative, wie zum Beispiel unter 2:30 h laufen, oder quantitative, wie hundert Marathons sammeln, oder touristische, wie den Kawaguchi-Marathon erleben.

John Kunkeler hat all diese Ziele längst erreicht, nun entwirft er Ziele für andere.

Ein Beispiel gefällig? Seit 2003 sind 360.224 Finisher durch sein Ziel gelaufen: das Brandenburger Tor in Berlin. Gemeint ist das physische Marathon-Ziel, das sich 2002 noch auf dem Kudamm befunden hatte. Die Idee zur Streckenänderung kam von John, gemeinsam mit Horst Milde setzte er sie gegen viele Widerstände durch.

„Horst und ich waren Störenfriede.

Es hat lange gedauert, das Ziel zum Brandenburger Tor zu verlegen“, erinnert sich John. „Im Verein gab es Skepsis, aber das Ziel am Kudamm war viel zu eng, nicht mehr zeitgemäß. Schließlich wurde die Strecke doch geändert und wir bekamen ein spektakuläres Duell vor einer grandiosen Kulisse.“

Es war das historische Duell Paul Tergat gegen seinen Pacemaker Sammy Korir.

Zum ersten Mal blieben zwei unter 2:05 h, der Weltrekord war gebont. Im Nachhinein erwies sich, dass die 2:04:55 h auch dem nun schnelleren Kurs zu verdanken waren. Also John. Der saß im Führungsfahrzeug, zusammen mit Korirs Trainer, einem Holländer, und mischte sich auch kommunikativ ins Renngeschehen ein …

John ist seit 1999 AIMS und IAAF A-Grad-Streckenvermesser, hat u.a. für die WM 2009 die Marathonstrecke entworfen. „Meine eigene PB hat mich zum Streckenvermessen motiviert“, lacht er, „denn meine Leistung erfolgte auf einer zweifelhaften Strecke.“

Heute sind dank John fast alle Berliner Strecken zweifelsfrei. Beim Marathon muss er jedes Jahr ein bisschen nachjustieren. „Dieses Jahr wird ein Teil der Gneisenaustraße aufgerissen, weshalb der Läuferstrom auf die Gegen-Fahrbahn ausweichen muss und
die Distanz sich dadurch geringfügig verlängert.

Da Start und Ziel feste Positionen haben, muss die Korrektur der Länge irgendwo dazwischen erfolgen.“ Also puzzeln John und der Ingenieur Siegfried Menzel so lange an der Strecke rum, bis 42 km + 195 m + 42 Karenzmeter herauskommen. Berlin hat übrigens sogar 71 „Sicherheitsmeter“, weil es wegen der jährlich wechselnden Baustellen zu aufwändig wäre, die Ideallänge zu stückeln. John würde die Strecke gerne komplett überholen und neu vermessen, so dass die Marathonis künftig auch ein paar Mauerreste unterwegs besichtigen können.

Der Chef der Ideallinie ist aber auch der Dirigent des Musik-Marathons: Dafür
organisiert und betreut John ca. 85 Bands mit 1.200 Musikern. 1998 hat er zum ersten Mal einige Berliner Musikbands zusammengetrommelt, weil es um die ursprüngliche Detmolder Trommelgruppe Ärger gegeben hatte.

Der Dirigent ist aber auch der Scharfrichter, der die Marathon-Ergebnisliste von den Schummlern säubert, 2013 haben allein im Bereich bis 3 1/2 h hundert Leute betrogen.

Der Scharfrichter engagiert aber auch die Zug- und Bremsläufer. Jedes Jahr bekommt er um die 50 Bewerbungen, davon springen wieder zehn Kandidaten ab, so dass schließlich pro 1.000 Gemeldete ein Zug- und Bremsläufer in Aktion treten kann.

„Am schwierigsten ist es, Läufer für den 3-h-Ballon zu finden, denn sie müssen
20 min leistungsfähiger sein.“

Der Boss der Zug- und Bremsläufer ist aber auch sein eigener Boss und alleiniger Inhaber des SCHLOT. Dies ist ein renommierter Jazz-Club mit Musikschule. Einmal im Jahr begrüßt John Kunkeler ein besonders ausdauerndes Publikum: Die Läuferszene versammelt sich in seinem Jazzkeller, um dem Literatur-Marathon zu lauschen.

Der Boss ist aber auch ein unermüdliches Multitalent, das viele Veranstaltungen und Traditionen (mit-)begründet hat, u.a. den Berlin-Cup, die RBB-Laufbewegung, den Potsdamer Drittelmarathon, die 5x5km TEAM-Staffel, seinen legendären Nachtlauf … um nur einige zu nennen.

Der erstaunliche Allrounder ist dennoch ein durch und durch entspannter, bescheidener und unkomplizierter Typ … und vor allem immer noch ein Läufer.

Sein liebster Trainingspartner ist drei Jahre alt und heißt Artur. Der Enkel kommt wohl ganz nach dem Opa: Voll relaxed genießt Artur die 8-km-Runde durch Berlins Mitte, während über ihm Schäfchenwolken dahinziehen. 

JoAnna Zybon in SPIRIDON – September – 9/2014

Laufmagazin SPIRIDON

Steckbrief John Hendrikus Kunkeler
* 8.11.1947 in Dordrecht, HOL
Körpergröße: 1.78 m, Gewicht: 70 kg
Geschieden, 2 Kinder, 3 Enkelkinder, 4 Geschwister
Studium Französisch, Romanistik und Sozialkunde
Seit 1970 Wahl-Berliner
Seit 1996 Jazz-Club-Betreiber der „Kunstfabrik
SCHLOT“, In den Edisonhöfen, Invalidenstraße 117,
10115 Berlin

Frühere Berufe: Französischlehrer am Gymnasium,
Teilhaber an Kneipenkollektiven
Musikinstrument: Kontrabass
Über 100 Marathons (u.a. in London, Paris, Rotterdam,
New York, Chicago, Boston)

PB: 2:26 h (1990 auf einer vermutlich etwas zu kurzen
Strecke)
1992-98 Berliner Volkslaufwart
Vereine: erst BSV 92, dann SCC Berlin
Motto: Immer offen bleiben für Neues!

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author: GRR

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